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       # taz.de -- Volksbegehren Berlin autofrei: Die Autoliebe der Innensenatorin
       
       > Autos aus der Innenstadt zu verbannen, sei grundgesetzwidrig, so die
       > Innenverwaltung. Das entspricht der „autogerechten Stadt“.
       
   IMG Bild: Protest am Brandenburger Tor von „Berlin autofrei“
       
       Ein paar Tage noch, dann sollen [1][die 9-Euro-Tickets] für bundesweit
       freie Fahrt im öffentlichen Nahverkehr in den Verkauf gehen. Prognose eins:
       Die Nachfrage wird nicht nur in den Städten hoch sein, schließlich reichen
       schon vier Standardfahrten mit Bus oder Bahn, damit sich das Ticket
       rechnet. Prognose zwei: Viele Politiker*innen werden sich verwundert
       zeigen, dass öffentlicher Nahverkehr attraktiv sein kann – wenn der Preis
       stimmt. Denn im Autoland Deutschland galt der ÖPNV vielen Landesregierungen
       lange bloß als notwendiges Übel.
       
       Selbst in Berlin, wo der ÖPNV im Vergleich zu anderen deutschen Städten
       prinzipiell paradiesisch ausgebaut ist, huldigt die Politik dem Auto, egal
       ob Verbrenner oder Elektro. Am Dienstag wurde bekannt, dass
       SPD-Innensenatorin Iris Spranger [2][die Idee einer weitgehend autofreien
       Innenstadt für – Achtung! – grundgesetzwidrig hält]. Die Innensenatorin
       scheint dem Weltbild der autogerechten Stadt aus den 1950ern verhaftet:
       Alles sollte mit dem Pkw erreichbar sein. Dafür wurden Wohnviertel
       abgerissen und Autobahnen bis an die Innenstadt herangebaut.
       
       Anlass für Sprangers Einschätzung ist die Initiative „Berlin autofrei“, die
       einen Volksentscheid anstrebt für ihren Gesetzentwurf, der von der
       Innenverwaltung zuerst auf seine juristische Zulässigkeit geprüft werden
       muss. Die Verwaltung beruft sich in ihrer Ablehnung explizit auf Artikel 2
       des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner
       Persönlichkeit“, heißt es da, mit der Ausnahme, dass „er nicht die Rechte
       anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das
       Sittengesetz verstößt“.
       
       Nun sieht auch der Gesetzentwurf der Initiative zahlreiche Ausnahmen vor:
       Von dem Verbot blieben Wirtschafts- und Einsatzverkehr unberührt; auch
       Menschen mit Einschränkungen könnten ihr Auto weiterhin nutzen, und alle
       anderen HalterInnen dürften 12-mal im Jahr private Fahrten unternehmen.
       Manche Beobachter*innen sprechen deswegen nicht mehr von autofrei,
       sondern autoarm.
       
       ## Eigentlich will auch der Senat weniger Autos
       
       Grundsätzlich ist Letzteres eine Richtung, die auch der SPD-geführte
       rot-grün-rote Senat verfolgt. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir bekennen
       uns zur gerechten Verteilung der Flächen des öffentlichen Raumes und zum
       weiteren Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zur Erhöhung der
       Lebensqualität.“ Das ließe sich übersetzen mit: deutlich weniger Platz für
       Autos, deutlich mehr für Fußgänger*innen, Radler*innen, Bus und Bahn.
       
       Aber dass die SPD – frei nach Klaus Staeck – den Arbeitern nach deren
       Villen im Tessin nun auch noch die Autos wegnehmen will: Dieses Image
       scheut die Partei wie der Teufel das Weihwasser.
       
       Die Berliner Initiative wiederum hat keine Scheu vor dem wahrscheinlichen
       Gang vor das Landesverfassungsgericht, wie sie betont. Die Chancen, dort zu
       gewinnen, schätze man als „sehr gut“ ein, hieß es. Dann käme die zweite
       Stufe der Unterschriftensammlung und bei einem Erfolg der Volksentscheid.
       
       Könnte es dabei eine Mehrheit gegen die Autos geben? Schwer zu sagen. Aber
       vielleicht überzeugt das 9-Euro-Ticket ja einige Zweifler*innen, dass man
       nicht überall mit dem Auto hinkommen muss, wenn es auch eine Bahn gibt.
       
       12 May 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Schulz
       
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