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       # taz.de -- Eine virtuelle Tour durch „Roblox“: Im Cabrio durchs Metaversum
       
       > 30 Millionen Menschen auf der Welt spielen täglich „Roblox“. Sie züchten
       > Haustiere, backen Pizzen oder bauen Häuser. Was treibt sie an?
       
   IMG Bild: Nike und Ralph haben bei „Roblox“ eine eigene Dependance eröffnet, Gucci hat einen Garten designt
       
       Auf der Polizeiwache traf ich Dollie. Ich hatte nichts verbrochen, ich saß
       nur mit meinem Avatar auf einer Sitzreihe fest. Dabei hatte ich nur die
       virtuelle [1][Welt von „Roblox“] erkunden wollen. Die Spieleplattform ist
       ein riesiger Freizeitpark, wo man sich mit einem klobigen Avatar bewegt.
       Eine Mischung aus Dubai und Disneyland. Marken wie Nike, Ralph Lauren und
       Vans haben dort eigene Dependancen eröffnet, das Reality-Sternchen Paris
       Hilton hat sogar eine eigene Insel gebaut. Das muss ich mir anschauen.
       Schnell registriert, Software installiert, Avatar konfiguriert. Dann ging
       es los. Mich verschlug es nach „Livetopia“, eine Cyber-City mit 29.000
       Spielern und eigenem Flughafen.
       
       Mit meinem Avatar, einem kleinen Legomännchen mit
       Mickie-Krause-Gedächtnisfrisur, lande ich auf einem großen Platz: Topia
       Plaza. Alles wirkt sauber und aufgeräumt, fast schon klinisch. Hypermoderne
       E-Fahrzeuge fahren vorbei, [2][elfenhafte Avatare] kreuzen den Weg, hinter
       einem überdimensionierten Glücksrad leuchtet das Blau der Polizeiwache. Wo
       geht’s hier weiter? Ich bin orientierungslos. Warum nicht mal bei den
       Ordnungshütern nachfragen? Ich überquere die Straße und latsche ins
       Polizeirevier. Drinnen: gähnende Leere. Kein Polizist weit und breit.
       Anscheinend haben hier alle frei.
       
       Ich kann mich mit meinem Avatar frei durch die Polizeistation bewegen, als
       wäre Tag der offenen Tür: in Büros hineingehen, die Gefängniszelle
       inspizieren. Zurück am Empfang, setze ich mich auf eine Sitzbank. Mein
       Avatar legt die Hände hinter den Kopf. Nichts geht mehr. Ich kann die
       Spielfigur nicht mehr bewegen. Bin ich jetzt verhaftet? Ich rufe im Chat um
       Hilfe. „Ich stecke in der Polizeistation fest. Kann mir jemand helfen?“ Ich
       werde erhört. Plötzlich erscheint Dollie vor mir. Weiße Stiefel, Minirock,
       Kopfhörer über dem langen braunen Haar.
       
       Im Chat schreibt sie mir, welche Taste ich drücken muss, um mich wieder
       bewegen zu können. Ich drücke auf die Leertaste, mein Avatar macht einen
       Satz nach oben – und ist wieder frei. Dollie nimmt mich mit nach draußen,
       sie möchte mir etwas zeigen. Wir gehen auf die andere Straßenseite. Unter
       dem Banner „Topia Plaza“ ist eine Bühne aufgebaut, Mikrofonständer,
       Keyboard und Schlagzeug leuchten unter bunten Scheinwerferlichtern. Dort
       singe immer Jade, erzählt Dollie, als kenne jeder ihren Namen.
       
       ## Dollie – der persönliche Guide
       
       Dollie weiß nicht, dass ich als Journalist unterwegs bin. „Livetopia“ ist
       ein [3][sogenanntes „Roleplay Game“, ein Rollenspiel], wo man wie bei einem
       virtuellen Maskenball seine wahre Identität verbirgt und in eine neue,
       spielerische Rolle schlüpft. Niemand weiß, wer sich hinter einem Charakter
       verbirgt, ob das Punk-Legomännchen in Wahrheit auch ein Punker ist, ob der
       Gangster im echten Leben bei der Polizei arbeitet. Deshalb recherchiere ich
       verdeckt. Und gewinne das Vertrauen von Dollie, sie wird mein persönlicher
       Guide.
       
       Dollie führt mich über den Platz, zeigt mir die Bank, die Schule. Auf dem
       Weg zieht sie an einem Automaten ein Glückslos, als wäre es ein Parkschein.
       Im Schwimmbad treffen wir einen Typen, der die ganze Zeit fragt, wo die
       Schwimmanzüge für Männer sind. Er folgt uns bis in die Umkleidekabine. Wir
       entscheiden uns, zu gehen, und cruisen durch die Straßen von Livetopia,
       vorbei an Neubauvierteln, Tierkrankenhäusern und hippen Barber-Shops.
       Während wir uns etwas näherkommen, schickt uns der Typ aus dem Schwimmbad
       im Chat 20 Kotz-Emojis hinterher. Woher sie komme, will ich wissen, während
       der virtuelle Fahrtwind durch ihre Haare saust.
       
       Sie sei halb Engländerin, halb Französin, erzählt mir Dollie, eigentlich
       arbeite sie in einem Café in Frankreich, aber heute habe sie frei und da
       bummele sie gerne durch „Livetopia“. Wir fahren zu einem Beautysalon, für
       ihre Maniküre. Das koste fünf Dollar. Dann bietet sie mir an, dass sie auch
       meinen Haarschnitt bezahlt. Ein bisschen Styling für den Avatar muss schon
       sein! Maniküre, Haarschnitt, Accessoires wie Taschen und Sneaker: Im
       digitalen Paralleluniversum von Roblox kann man vieles kaufen – mit Robux,
       der virtuellen Währung des Spiels. Durch solche In-Game-Käufe und
       Mikrotransaktionen hat die Spieleplattform im vergangenen Jahr ihren Umsatz
       auf 1,9 Milliarden Dollar verdoppelt.
       
       Nach dem Friseurbesuch fahren wir durch die Dunkelheit, die Straßenlaternen
       sind bereits angegangen (ein Tag-und-Nacht-Zyklus dauert 20 Minuten).
       Dollie parkt den Sportwagen am Straßenrand. Sie rennt die Treppen eines
       Clubs hoch, dort hat sie offenbar ihre Freundinnen gesucht, die sich auf
       Französisch im Chat ankündigen. Avatare tummeln sich auf der Straße, es
       herrscht wildes Durcheinander, dann lässt mich Dollie einfach stehen und
       verschwindet im Nachthimmel von „Livetopia“. Mein Abend ist hier beendet.
       
       ## Die digitale Bürgerwehr
       
       Ich reise weiter nach Brookhaven, noch so eine virtuelle Stadt auf Roblox.
       Es ist mitten in der Nacht. Gegenüber dem hell erleuchteten „Party Planner“
       spreche ich einen weiblichen Avatar an. Blonde Haare, gestreiftes Top,
       Jeans. Sie erzählt mir, dass sie erst das zweite Mal hier sei und sie die
       Leute hier total super finde. Wir tauschen ein paar Belanglosigkeiten aus.
       Plötzlich crasht ein Anzugträger das Gespräch.
       
       Er hat ein Demonstrationsschild in der Hand. Darauf steht in giftgrüner
       Schrift: „Will jemand zu meinem Militär?“. „Welches Militär?“, frage ich
       irritiert. „Meins“, antwortet der Mann trocken. Er ist Mitglied einer
       digitalen Bürgerwehr, die nachts in den Vierteln patrouilliert. Immer
       wieder rauben Gangster die Bank aus, dann ist „Bankalarm“. Es gebe hier
       aber weniger Kriminalität als im realen Leben, meint der Security, und das
       finde er gut. Weltweit spielen täglich 30 Millionen Menschen auf Roblox.
       Manch einer träumt davon, eine Uniform zu tragen und in einem SWAT-Team auf
       den virtuellen Straßen für Recht und Ordnung zu sorgen. Andere arbeiten als
       Koch oder Kassierer in einer Pizzeria und lassen sich dabei von einem
       Manager drillen, um ein paar Robux zu verdienen.
       
       Zurück in Brookhaven mache ich mit einer Gothic-Frau Bekanntschaft. Der
       Avatar ist komplett schwarz gekleidet, nur die weißen Handschuhe und
       Sneaker schaffen einen Kontrast. Sie komme aus Berlin und gehe noch zur
       Schule, schreibt sie mir, während wir in einem Pulk von Avataren vor einem
       illuminierten Springbrunnen stehen. Sie reize das „Roleplay“, das
       Rollenspiel, sie könne hier einfach jemand anderes sein. „Und was kannst du
       im realen Leben nicht machen, was du hier in der virtuellen Welt machen
       kannst?“, will ich wissen. Räuber sein oder mit einer Drohne fliegen,
       antwortet die Userin und macht mit ihrem Avatar einen Luftsprung. Die Kette
       an ihrem Avatar, die habe sie für 80 Robux gekauft, das ist umgerechnet
       etwa ein Euro.
       
       ## Im Luxuswagen durchs Metaverse
       
       Schräg gegenüber steht ein brennender Tesla auf der Straße, er gehört dem
       Gothic-Mädchen. Das sei kein Problem, so etwas komme öfter vor,
       beschwichtigt sie. Im Metaverse kann auch eine Schülerin Tesla fahren. Wir
       düsen in dem lodernden Luxuswagen durch das nächtliche Brookhaven, vorbei
       an verwaisten Starbucks-Filialen und Discotheken. Im Morgengrauen erreichen
       wir ihr Haus, Holzfassade, großzügige Gartenanlage. Sie stellt den
       brennenden Tesla in der Garage ab und bittet mich, in ihr Haus zu kommen.
       Auf einem Schild steht ihr Nutzername. Häuser seien kostenlos, sagt die
       junge Frau und für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, durch
       „Ecotopia“ zu flanieren, jene Hippie-Community, die der Schriftsteller
       Ernest Callenbach in seinem gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1975
       ausbuchstabiert hat.
       
       Im Menü sehe ich, dass ich die Mitbewohner-Erlaubnis erhalten habe. Ich
       darf jetzt offiziell hier wohnen. Ich schaue mich ein wenig in der Villa
       um, lasse mich auf das Sofa vor dem Flachbildfernseher fallen, und während
       ich durch die bodentiefen Fenster auf ein Vorstadtidyll blicke, klagt die
       Hausherrin in einem larmoyanten Anna-Sorokin-Ton, wie wenig Robux sie noch
       habe. Sie wolle doch neue Skins kaufen, eine neue Garderobe für ihren
       Avatar. Dann bricht die Verbindung ab. Es ist, als wäre ich aus einem Traum
       gerissen worden. Was Dollie jetzt wohl macht?
       
       21 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.roblox.com/
   DIR [2] /Zukunftsideen-der-Tech-Konzerne/!5789527
   DIR [3] /Nostalgie-fuer-digitale-Rollenspiele/!5683406
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Adrian Lobe
       
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