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       # taz.de -- Kooperation mit Wissenschaft in China: Ausgenutzte Demokratien
       
       > Deutsche Universitäten arbeiten eng mit Wissenschaftlern in China
       > zusammen. Dort profitiert das Militär davon, zeigen neue Recherchen.
       
   IMG Bild: Am Rande der Militärparade am Nationalfeiertag 2019 in Peking
       
       Peking taz | Nach dem [1][russischen Angriff auf die Ukraine] war es nur
       eine Frage der Zeit, bis Deutschland endlich auch seinen Umgang mit China
       grundsätzlich auf den Prüfstand stellt. Die Naivität gegenüber
       autokratischen Regimen sollte dabei nicht nur von Politik und Wirtschaft
       debattiert werden, sondern auch innerhalb der Wissenschaft.
       
       Am Donnerstag deckte nun China Science Investigation, eine
       [2][Recherchekooperation aus elf europäischen Medien], auf, wie eng
       heimische Universitäten und Forschungsinstitute mit chinesischen Partnern
       zusammenarbeiten, die dem Militär nahestehen. Wenig überraschend zählt
       Deutschland zu den europäischen Ländern, die mit am stärksten mit der
       chinesischen Wissenschaft verknüpft sind: Mindestens 349 problematische
       Kooperationen in den letzten 20 Jahren zählten die Journalisten. Die
       Themenfelder reichen von Informatik über künstliche Intelligenz bis hin zu
       Werkstoffkunde. Die Recherche legt dabei auch offen, dass selbst scheinbar
       triviales Zusammenarbeiten moralisch ambivalente Fragestellungen aufwirft.
       
       Gleich vorweg: Nach heimischen Gesetzen handelt es sich um mutmaßlich
       legale Austauschprojekte. Wissenschaftliche Kooperationen sollten natürlich
       nicht grundsätzlich unter Generalverdacht gestellt werden. Doch gibt es
       viele Gründe, die dafür sprechen, insbesondere bei China besonders strenge
       Kriterien anzulegen.
       
       Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat Karl Popper die
       Gefahren einer offenen Gemeinschaft skizziert. Vereinfacht ausgedrückt
       meinte der Wiener Exilphilosoph, um die eigene Toleranz aufrechterhalten zu
       können, müsse man sich auch das Recht vorbehalten, Intoleranz nicht zu
       tolerieren. Was damals auf den Fall der Weimarer Republik und die
       Entwicklung hin zum „Dritten Reich“ anspielte, lässt sich auch auf den
       Umgang mit der Volksrepublik China unter Staatschef Xi Jinping anwenden.
       Der 68-Jährige hat die ideologischen Zügel in sämtlichen Bereichen der
       Gesellschaft deutlich gestrafft: [3][Die Medien sind längst
       gleichgeschaltet], die Zivilgesellschaft ist vollständig beschnitten und
       das Bildungssystem jeglicher Pluralität beraubt.
       
       ## Kern des chinesischen Systems
       
       Dabei nutzt die chinesische Regierung gleichzeitig stets die Offenheit
       demokratischer Systeme für ihre Zwecke aus. Ganz deutlich zeigt sich dies
       etwa bei der Meinungsfreiheit: Während Chinas Propagandamedien ihre
       systematischen Fake-News-Kampagnen auf westlichen Onlineplattformen wie
       Twitter und Youtube verbreiten, schottet Peking im Gegenzug die eigene
       Bevölkerung von sämtlichen kritischen Informationen aus dem Ausland ab.
       
       Auch in der Wissenschaft gibt es ähnliche Asymmetrien, und zwar in mehrerer
       Hinsicht: Während nach wie vor jedes Jahr Zehntausende Chinesen an
       deutschen Universitäten studieren, sind derzeit – offiziell pandemiebedingt
       – nur eine Handvoll deutscher Studierender an chinesischen Universitäten
       zugelassen.
       
       Die Kritik, die China Science Investigation aufgreift, zielt ebenfalls auf
       den Kern des chinesischen Systems: Im Reich der Mitte sind die
       Universitäten den – von der Kommunistischen Partei aufgestellten –
       nationalen Zielen untergeordnet. An deren oberster Stelle stehen auch die
       militärischen Ambitionen des Landes. Mithilfe seiner Volksbefreiungsarmee
       will Xi die „Modernisierung des Mutterlands“ erreichen, was unter anderem
       beinhaltet, die „abtrünnige Provinz“ Taiwan unter Zwang nach Festlandchina
       einzugliedern.
       
       ## Missbräuchliche Verwendung
       
       Dabei hilft auch die eigene Wissenschaft. Denn eines der Grundprinzipien
       des chinesischen Militärs ist die „Military-Civil Fusion“ (MCF). Das
       beinhaltet unter anderem die Aufhebung der Barrieren zu kommerzieller oder
       akademischer Forschung. Anders ausgedrückt: Chinas Militär kann – im
       Ernstfall – frei über das Wissen privatwirtschaftlicher Firmen oder auch
       wissenschaftlicher Institute verfügen.
       
       Insofern sollte auch jede deutsch-chinesische Kooperation im akademischen
       Bereich daraufhin untersucht werden, ob die entwickelte Technologie
       möglicherweise vom chinesischen Militär missbräuchlich verwendet werden
       kann. Wenn die Möglichkeit rein hypothetisch besteht, kann das
       Worst-Case-Szenario nicht ausgeschlossen werden.
       
       20 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
   DIR [2] https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/politik/wie-das-militaer-in-china-von-deutscher-forschungsfreiheit-profitiert-e843622/
   DIR [3] /Pressefreiheit-in-China/!5789305
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
       ## TAGS
       
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