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       # taz.de -- Kulturforum in Berlin: Essensbuden statt großer Ideen
       
       > Das Kulturforum rund um Philharmonie und Staatliche Museen verdient den
       > Namen nicht. Bei einer Diskussion der Akteure fehlen mitreißende
       > Visionen.
       
   IMG Bild: Letzte große Freifläche untergraben: Baugrube für neues Museum am Kulturforum
       
       Über das Kulturforum ist schon viel diskutiert worden, seit Stararchitekt
       Hans Scharoun in der Nachkriegszeit die Idee in die Welt setzte. Bis 1990
       sollte das Areal zwischen Landwehrkanal, Großem Tiergarten und Potsdamer
       Platz mit seiner Ballung an Kulturinstitutionen als Pendant für die im
       kommunistischen Machtbereich gelegene Museumsinsel fungieren. Seitdem hat
       sich zumindest der Name gehalten, auch wenn es sich inzwischen um einen im
       Außenbereich unbelebten Ort städtebaulichen Scheiterns handelt. In der
       angrenzenden Matthäi-Kirche diskutierten Anrainer der Kulturinstitutionen
       und Behördenvertreter am vergangenen Freitag, wie man aus dem Kulturforum
       doch noch ein [1][wirkliches Forum] machen könnte.
       
       Bei der Diskussion wurde offenbar stillschweigend vorausgesetzt, dass
       eigentlich wenig Gravierendes verändert werden kann. Denn das neue
       [2][Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts] begräbt die letzte freie
       Fläche gerade unter sich. Auf der Baustelle des wohl über eine halbe
       Milliarde Euro teuren Kolosses wird schon fleißig betoniert. Der Bau soll
       bis zum Jahr 2026 fertig sein.
       
       Zusammen mit den anderen Gebäuden von Staatsbibliothek, Philharmonie, den
       Staatlichen Museen etc. bleibt nur noch wenig Außenraum übrig. Oder, wie
       die als Moderatorin fungierende Journalistin Claudia Henne formulierte: Es
       gibt eigentlich nur noch „Zwischenräume“. Ein vor Kurzem entstandener neuer
       Platz lädt – steinern, wie er ist – bislang wenig zum Verweilen einlädt.
       
       Die einzigen beiden Protagonisten, die dem Geschehen beim neuen Museum
       vielleicht noch einen anderen Dreh geben könnten (wenn sie denn wollten),
       sind zwei neu ins Amt gekommene Frauen: Claudia Roth (Grüne) als
       Kulturstaatsministerin des Bundes und Bauherrin sowie Petra Kahlfeldt,
       Senatsbaudirektorin von Berlin.
       
       ## Jeder macht sein Ding
       
       Doch Roth war nicht eingeladen und Kahlfeldt fiel krankheitshalber aus. Ihr
       Stellvertreter in dieser Diskussion, Manfred Kühne als Leiter für
       „Städtebau und Projekte“ bei der Senatsbauverwaltung, brachte immerhin die
       meiste Erfahrung mit dem Kulturforum ein („seit 44 Jahren erlebt“). Seine
       Begriffsschöpfung „Ko‑ignorante Planung“ lieferte zumindest eine plausible
       Erklärung, warum das Kulturforum nicht funktioniert: Anrainer, Behörden,
       Architekten, Planer – jeder macht sein Ding, ohne dass es den jeweils
       anderen interessiert.
       
       Dazu passte, dass die übrigen Teilnehmer der Diskussion eigentlich nur
       schilderten, wie sie für ihre eigene Institution etwas verbessern, indem
       sie die sogenannte Aufenthaltsqualität in und um ihre Häuser aufwerten.
       Meist erschöpfen sich solche Bemühungen – wie bei der Philharmonie – darin,
       dass ein Kioskwagen vor das Gebäude gestellt wird, wie Andrea Zietzschmann,
       Intendantin der Philharmoniker, stolz berichtete. Gero Dimter,
       Vizepräsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, übertraf solche
       Aussagen durch die Ankündigung eines ganzen Straußes von zukünftigen
       Aktivitäten im neuen Museum, Staatsbibliothek, der schiefen Piazzetta und
       so weiter, die alle darauf zielen, mehr Gastronomie möglich zu machen:
       außen, innen, im Kleinen wie im Großen, auch jenseits der
       Museumsöffnungszeiten.
       
       Pfarrer Hannes Langbein, Direktor der kircheneigenen Stiftung St. Matthäus
       und damit Hausherr der Kirche vor Ort, lenkte den Blick aufs Stadtgrün,
       also das, was mit dem Bau des neuen Museums gerade vernichtet wird.
       Eigentlich bleibt als Grünfläche nur der Matthäi‑Kirchplatz als grüne Insel
       im Zentrum einer Stein‑ und Asphaltwüste. Es gäbe zwar fünf Gärten am
       Kulturforum, so Langbein, aber sie würden von den Leuten nicht
       wahrgenommen. Kein Wunder, könnte man sagen, denn diese Gärten fungieren
       als Abstandsgrün wie südlich der Kunstbibliothek, dürfen gar nicht betreten
       werden wie im Inneren des Kunstgewerbemuseums oder nur im Rahmen eines
       Museumsbesuchs wie bei der Nationalgalerie.
       
       ## Kein Schwung in der Chose
       
       Die „Energie“, dass sich etwas zum Guten beim Außenraum ändert, muss von
       den Beteiligten selbst kommen, erklärte Torsten Wöhlert, Berliner
       Kulturstaatssekretär. Dann könne auch ein (Kultur‑) Management oder Kurator
       diese Energie organisieren beziehungsweise in Veranstaltungen umsetzen, die
       dann – möglicherweise – auch finanziell von seinem Hause unterstützt
       würden, wenn das Konzept überzeuge.
       
       Ephraim Gothe (SPD), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, offenbarte
       dagegen, dass man sich in seinem Bezirk Mitte offenbar wenig für das
       Kulturforum interessiert. Zuletzt habe man 2005/06 im Bezirk über den Ort
       „diskutiert“. Fragen von Moderatorin Henne nach Bürgerbeteiligung und
       Stadtvernetzung zur Belebung des Ortes konterte Gothe lapidar mit der
       Aussage, das sei „keine Strategie“. Etwas anderes fiel ihm allerdings auch
       nicht ein.
       
       Verwunderlich, dass Claudia Henne am Ende der Diskussion meinte gelernt zu
       haben, dass „Schwung in der Chose“ sei. Tatsächlich scheint die einstige
       große Vision eines Museenortes als Pendant und Fortsetzung des auf der
       Museumsinsel im 19. Jahrhundert begonnenen Konzepts perdu. Heute geht es
       nur noch um „niedrigschwellige Angebote“, wie Dimter am Freitag noch mal
       wiederholte. Es gilt, Publikum anzulocken und Quote zu machen.
       
       Dabei – und das ist das, was die aktuelle Diskussion im Grunde nur zeigte –
       fällt es ohne mitreißende Visionen schwer, selbst kleine Schritte zu gehen.
       Heute traut man sich ja noch nicht einmal, den Abriss der schiefen
       Piazzetta in Angriff zu nehmen, geschweige denn den „Autobahnverkehr“
       (Gothe) der Potsdamer Straße zu beschränken.
       
       16 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://utopie-kulturforum.berlin/
   DIR [2] /Werke-von-Gerhard-Richter-fuer-Berlin/!5758397
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ronald Berg
       
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