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       # taz.de -- Altkanzler Schröder hält zu Putin: Ich, ich, ich
       
       > Bisher hält der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder schweigend zu Putin.
       > Dieser Starrsinn hat auch mit seiner Aufsteigerbiografie zu tun.
       
   IMG Bild: Er bleibt an der Seite Putins – die Meinung anderer scheint ihn nicht zu kümmern
       
       Die Ampel hat einen „Maßgabenbeschluss“ auf den Weg gebracht. [1][Gerhard
       Schröder komme seinen Amtsverpflichtungen] nicht nach. Daher werden Büro
       und Mitarbeiter des Altkanzlers „ruhend gestellt“. Das Büro existiert
       allerdings de facto nicht mehr. Die Mitarbeiter haben wegen der
       Verstocktheit ihres Ex-Chefs schon vor Wochen gekündigt. Eine Heldentat ist
       dieser „Maßgabenbeschluss“ aber nicht.
       
       Er ist eher ein Ausdruck des Bedürfnisses der SPD, ein Zeichen zu setzen:
       Man möchte mit Schröder, dessen Kanäle nach Moskau vor drei Monaten noch
       viele Sozialdemokraten schätzten, nichts zu tun haben. Schröder allerdings
       dürfte [2][die Aufgabe seiner Mitgliedschaft] bei dem Zweitligisten
       Hannover 96 tiefer getroffen haben als dieser Beschluss. Es kann allerdings
       auch sein, dass er mittlerweile, was Gefühle betrifft, in dem zwiespältigen
       Stadium völliger Schmerzfreiheit angelangt ist.
       
       Schröder hält ungerührt und starrsinnig an seinen Jobs in russischen
       Staatskonzernen fest. Er paktiert mit Putin und bleibt (fürstlich bezahlt)
       Teil in dessen Machtapparat. Weder der Angriffskrieg in der Ukraine noch
       die nackte Diktatur, die in Russland herrscht, kümmert ihn. Das unmoralisch
       zu nennen, ist untertrieben. Aber ist Moral mehr als Gesetz? Helmut Kohl
       ignorierte als Altkanzler frech die Frage, woher die Million Spenden
       stammten, die er illegal zum Ausbau seiner Macht in der Union benutzt
       hatte. Büro und Mitarbeiter behielt er.
       
       Es gibt ein [3][merkwürdiges Rätsel bei Schröder und Putin]. Die Frage nach
       dem Warum. Ihr Verhalten widerspricht nicht nur jedem rudimentären
       Verständnis von Moral, sie stellt auch unsere Vorstellungen von
       zweckmäßigem, eigennützigem Verhalten auf den Kopf. Putin entfesselt einen
       Angriffskrieg, den er selbst bei militärischen Geländegewinnen politisch
       und ökonomisch verlieren wird. Schröder, der sich keinen Millimeter von
       Putin distanziert, macht sich damit selbst zu einer Art sozialem
       Leprakranken.
       
       ## Warum ruiniert er seinen Ruf?
       
       Man mag an Erich Honecker nach dem Mauerfall denken. Auf beide schaut man
       mit einer Mischung aus Abscheu, Ratlosigkeit und jenem Mitleid, das wir für
       Figuren übrig haben, die hoffnungslos aus der Zeit gefallen sind. Und es
       noch nicht mal merken. Die Vorstellung, wie kurz die Gästeliste bei
       Schröders Beerdigung sein wird, hat etwas Beklemmendes.
       
       Warum hält Schröder so altersstarrsinnig an der Männerfreundschaft mit dem
       Diktator fest? Warum ruiniert er seinen Ruf, vertreibt seine letzten
       Freunde? Vielleicht klingt in der Weigerung nachzugeben das Drama des
       sozialen Aufsteigers nach. Schröder hat sich aus subproletarischen
       Verhältnissen nach ganz oben gearbeitet, um als Kanzler im edlen Mantel zu
       posieren. Das war jene „Ich-habe-es-geschafft“-Geste, die Bildungsbürger
       peinlich finden. Sie sollte Zugehörigkeit anzeigen und demonstrierte dabei
       das Gegenteil.
       
       Die lässige Selbstverständlichkeit im Umgang mit Stil, Macht und Geld, die
       dem Großbürgertum in die Wiege gelegt ist, steht dem Aufsteiger nicht zur
       Verfügung. Sie lässt sich aber auch nicht kaufen. Der Aufsteiger ist oft
       eine prekäre Figur. Die Agendapolitik war vielleicht auch eine symbolische
       Abgrenzung von dem Unten, aus dem er selbst einmal kam. Auch auf die SPD
       schaut Schröder vom Gipfel seines sozialen Aufstiegs mit einer kaum
       verhüllten Arroganz herab. 2017 beim Parteitag in Dortmund bekundete er,
       das Wahlprogramm nicht gelesen zu haben, obwohl es doch genau darum ging.
       „Ich habe es euch nicht immer leicht gemacht, aber ganz leise sage ich: ihr
       mir auch nicht.“ Das war sehr viel Ich für jemand, der seit zwölf Jahren
       kein Politiker mehr war.
       
       Dass er sich nur ein paar Tage, nachdem er den Job des Kanzlers los war,
       als Putins Lobbyist verdingte, passte da ins Bild. Schröder gab den Rüpel
       mit Geld, den die Meinung der anderen so wenig interessiert wie das
       Koordinatensystem bürgerlicher Moral oder die Empfindlichkeiten der SPD.
       
       Bei Kohl war die Weigerung, die Wahrheit zu sagen, Ausdruck der Hybris der
       Macht. Er, der Kanzler der Einheit, glaubte zu dürfen, was andere nicht
       dürfen. [4][Schröders Verstocktheit] hat allerdings eine andere Textur. Er
       glaubt das Recht zu haben, ein Egoist zu sein. Hier spricht – oder genauer
       hier schweigt – das gepanzerte Ich des Aufsteigers, der es ganz alleine
       nach ganz oben geschafft hat. Er glaubt absolut niemand etwas zu schulden.
       Schon gar keine Erklärungen.
       
       18 May 2022
       
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