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       # taz.de -- Reaktion auf Ernährungskrise: Argentinien erlaubt neuen Genweizen
       
       > Buenos Aires hat den Handel und Anbau einer genmanipulierten Weizensorte
       > genehmigt. Einige Länder haben bereits deren Import zugesagt.
       
   IMG Bild: Weizenernte in Argentinien im November 2021
       
       Buenos Aires taz | Argentiniens Regierung hat den Handel und den Anbau
       einer genmanipulierten Weizensorte genehmigt. „Unser Ziel ist, die
       Gelegenheit zu nutzen, die sich aus dem internationalen Szenario ergibt“,
       begründete Matías Lestani, Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium,
       die Entscheidung in der vergangenen Woche. Erwartet wird ein steigender
       Bedarf an Weizen, „da der Krieg in der Ukraine schon jetzt die gesamte
       globale Verwertungskette in Schach hält“, so Lestani.
       
       Bisher war in Argentinien nur die Weiterverarbeitung und der Konsum von
       Mehl aus genmanipuliertem Weizen zugelassen, aber nicht der Verkauf von
       Saatgut. Dessen Aussaat war zwar in geringem Umfang möglich, aber an
       strenge Auflagen gekoppelt. Schätzungen gehen davon aus, dass bisher
       150.000 Tonnen des Genweizens geerntet wurden – eine verschwindend geringe
       Menge im Vergleich zu den jährlich 150 Millionen Tonnen Weizen, die auf dem
       Weltmarkt gehandelt werden. Argentinien trägt dazu als siebtgrößter
       Exporteur rund 14 Millionen Tonnen bei. Der größte Teil der Exporte geht
       dabei in die südamerikanischen Nachbarländer, vor allem nach Brasilien.
       
       Bei der genetischen Veränderung handelt es sich um die sogenannte
       HB4-Technologie. Dabei wurde dem Weizengenom ein Sonnenblumen-Gen
       eingesetzt, das in Trockenperioden bis zu 20 Prozent höhere Erträge
       ermöglichen soll als konventioneller Weizen. [1][Die erfolgreiche
       Manipulation] ist der Biochemikerin Raquel Chan und ihrem Instituto de
       Agrobiotecnología del Litoral in der zentralargentinischen Stadt Santa Fe
       sowie der argentinischen Wissenschaftsbehörde Conicet zu verdanken.
       
       Chan ist es auch gelungen, das Sonnenblumen-Gen in das Soja-Genom
       einzusetzen. China hatte Ende April den Import von HB4-Soja genehmigt und
       reihte sich damit nach den USA, Kanada, Paraguay und Brasilien in die Liste
       der Staaten ein, in denen der Anbau und die Vermarktung von HB4-Soja Hecho
       en Argentina genehmigt ist und die zusammen rund 85 Prozent der weltweiten
       Produktion ausmachen.
       
       ## Landwirte und Exporteure befürchten Umsatzeinbußen
       
       Treibende Kraft bei der Kommerzialisierung und einziger Hersteller von
       HB4-Weizensaatgut ist das argentinische Gentech-Unternehmen Bioceres.
       Dabei kann das 2001 gegründete Unternehmen auf einen reichen
       Erfahrungsschatz setzen. Zu den Firmengründern gehören einige der
       [2][Pioniere des Gensojaanbaus in den 1990er Jahren]. Doch anders als bei
       Gensoja, das Argentiniens Felder ab der Jahrtausendwende nahezu
       widerstandslos eroberte, stößt der Anbau von Genweizen bei Landwirten und
       Exportfirmen auf Ablehnung. Sie richtet sich jedoch nicht gegen die
       Genmanipulation als solche. Befürchtet werden Umsatzeinbußen durch
       Importverbote in den Käuferländern wegen möglicher Kontaminierungen der
       konventionellen Weizensorten bei einem freien Anbau von HB4-Weizen.
       
       Entsprechend groß ist die Aufregung bei den Exportunternehmen und den
       Weizenproduzierenden. „Wir werden kein einziges Korn HB4-Weizen beim
       Verladen akzeptieren, das auf dem Markt auf absolute Ablehnung stößt“,
       wetterte der Vorsitzende des argentinischen Getreideexportzentrums (CEC),
       Gustavo Idígoras, gegen die Genehmigung. Nicht anders ist der Tenor beim
       Gros der Weizenanbauenden.
       
       Die Bioceres-Lobbyist*innen haben denn auch gezielt die
       Genehmigungsbehörden in den Abnehmerländern im Visier. Je mehr Länder die
       Einfuhr und den Konsum von transgenem Weizenmehl genehmigen, desto geringer
       wird der heimische Widerstand, so das Kalkül. Bisher waren sie in Brasilien
       und – vergangene Woche – in Australien und Neuseeland erfolgreich. In den
       drei Ländern ist der Import und die Verwendung von Mehl aus HB4-Weizen
       genehmigt, aber nicht der Verkauf und Anbau von HB-4-Saatgut. Auch der EU
       liegt der entsprechende Genehmigungsantrag vor.
       
       Um die Wogen in Argentinien zu glätten, hat Bioceres angekündigt, den
       Verkauf von HB4-Weizensaatgut mit besonderen Verträgen auf rund 250
       ausgewählte Betriebe zu beschränken. Nach dem Anbau muss die gesamte Ernte
       beim Saatguthersteller abgeliefert werden. Was Bioceres damit als
       Präventionsmaßnahme gegen eine Vermischung mit konventionellen Weizensorten
       preist, soll vor allem verhindern, dass die Landwirte einen Teil der Ernte
       als Saatgut zurückbehalten. Eine gängige Praxis, die vom nationalen
       Saatgutgesetz abgedeckt ist, die aber für die Saatgutfirmen nicht nur
       Umsatzeinbußen bedeutet, sondern auch die alleinige Verfügung über die
       Patente der Genmanipulation untergräbt.
       
       Bei all dem Gerangel um die Dürreresistenz geht unter, dass dem HB4-Weizen
       auch das Resistenz-Gen gegen das Herbizid Glufosinat-Ammonium eingebaut
       wurde. Die Wirkung von Glufosinat-Ammonium wird als toxischer eingestuft
       als Glyphosat, gegen das nach seinem jahrzehntelangen Einsatz zahlreiche
       Wildkräuter resistent sind. Statt „Roundup Ready“ könnte zukünftig „Basta“
       versprüht werden. Beide vertreibt die Bayer AG.
       
       19 May 2022
       
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