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       # taz.de -- Erstes Soloalbum von Daniel Rossen: Manchmal gelingt die Synthese
       
       > Der Musiker Daniel Rossen, Sänger und Gitarrist der Art-Rock-Band Grizzly
       > Bear hat sein Soloalbum vorgelegt. Fast alle Instrumente spielt er
       > selbst.
       
   IMG Bild: Seine Band Grizzly Bear liegt auf Eis, er macht mit einem Soloalbum weiter: Gitarrist Daniel Rossen
       
       Gleich der mäandernde erste Song, „It’s A Passage“, von Daniel Rossens
       Solodebüt „You Belong There“ weckt eine Art von Sehnsucht. Allein, wie sich
       da das Fingerpicking einer warm klingenden Gitarre zum Auftakt verästeltet,
       dann Erdung in einem verschleppten Groove findet und von elegischem und
       zugleich drängendem Gesang abgeholt wird. Sehnsucht deshalb, weil dieser
       Opener genau das Gefühl triggert, das sich immer dann einstellte, wenn die
       US-Indieband Grizzly Bear, der Rossen angehört, ein neues Album
       veröffentlichte.
       
       Die spezielle Grizzly-Bear-Magie bestand – zumindest in den Ohren der
       Rezensentin – darin, dass man es sich in ihrer Musik gemütlich machen
       konnte und sie trotzdem stets neu und anders klang: dank loser Enden und
       dem [1][wilden Oszillieren zwischen psychedelischem Art-Pop und barockem
       Folk].
       
       Diese Assoziationen müssen nicht weiter verwundern, denn der 39-jährige
       Rossen ist nicht nur einer der Komponisten des Quartetts, sondern neben dem
       Hauptvokalisten Ed Drosten auch Sänger. Allerdings muss man das in die
       Vergangenheitsform setzen. 2020 gab Drosten bekannt, sich zum Therapeuten
       ausbilden zu lassen. Grizzly Bear haben sich zwar nicht aufgelöst, liegen
       aber auf Eis.
       
       Schon bei der Arbeit am letzten [2][Album, „Painted Ruins“ (2017)], lebte
       die vormals für den Sound of Brooklyn stehende Band quer über die USA
       verstreut. Nach einsiedlerhaften Jahren in Upstate New York lebt Rossen
       inzwischen mit Frau und Kind in Santa Fe, New Mexico. 2012 hatte er die
       Solo-EP „Silent Hour/Golden Mile“ herausgebracht; abgesehen von „Painted
       Ruins“ folgte darauf lange nichts.
       
       Zwischendurch war er offenbar voller Zweifel, ob Musik noch seins ist –
       wovon auch der Eröffnungssong erzählt: „Forsaken land / You kept me when I
       couldn’t face the world / And I lost the thread / Through those wasted
       days.“
       
       ## Vertrackte Einfälle, barock anmutende Melodien
       
       Um es vorwegzunehmen: Die Sehnsucht nach einem neuen Grizzly Bear-Album
       wird von Rossen doch nicht gestillt. Warum auch sollte er einen
       Nostalgietrip unternehmen? Die Songs, in denen vertrackte Einfälle, barock
       anmutende Melodien und erhabene Momente – oder das Ringen darum – stecken,
       wecken diese Assoziation zunächst, hallen dann anders nach. Ein paar sind
       dabei sehr schön geraten.
       
       Bisweilen beharkt Rossen ein Motiv arg ausführlich, kreist lange um Ideen.
       So fehlt es der Musik an innerer Spannung – selbst wenn Rossen auf
       Textebene sehr introspektiv und durchaus spannungsreich ist.
       Pandemiebedingt wurde die Arbeit am Album einsamer als geplant. Bisher
       kannte man Rossen als Gitarristen, nun gestaltet er fast alles im
       Alleingang. Erstmals seit den Jugendtagen nahm er wieder Cello und
       Kontrabass zur Hand – und brachte sich Grundlagen neuer Instrumente bei,
       der Klarinette etwa.
       
       Ein Stück, das die Stärken und Schwächen des Albums emblematisch bündelt,
       ist das trotz knapp vier Minuten Laufzeit ausufernde „Tangle“ – übrigens
       das einzige, bei dem Rossen Unterstützung hatte: Die Beats stammen von
       Grizzly-Bear-Schlagzeuger Chris Bear. Auf einen freejazzy wirbelnden ersten
       Teil folgt ein Bruch, als habe jemand am Radio gedreht: Rossens Stimme
       schwebt nun über einem fast militärischen Beat. Tolle Momente in beiden
       Teilen stehen recht unverschränkt nebeneinander.
       
       Dem Online-Magazin Stereogum erzählte Rossen, er habe mit dem Soloalbum
       lange verschüttete musikalische Interessen wieder aufgegriffen, Jazz, aber
       auch Klassik. Und dass es ihm darum gegangen sei, den gerne behaupteten
       Gegensatz zwischen „Technical Music“ – womit die Skills gemeint sind, die
       komplexe Musik fordert – und einem emotionalen Zugang zu transformieren.
       
       Die Synthese gelingt ihm nur manchmal, an einigen Stellen verliert Rossen
       sich in der Opulenz seiner Kompositionen. Wenn es dann klappt, klingt die
       Musik toll: Ideen, das zeigt dieses Album, stecken jedoch immer noch eine
       Menge in dem Zweifler.
       
       15 May 2022
       
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