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       # taz.de -- Diskriminierung von Menschen mit Behinderung: Ableismus im Kurort
       
       > Drei FDP-Politiker aus Tann schreiben in einem Flugblatt, dass Menschen
       > mit Behinderung der Grund für ausbleibenden Tourismus in der Stadt seien.
       
   IMG Bild: Der Marktplatz von Tann in der Rhön
       
       Berlin taz | Am Montag, 25. April 2022 wird in der Stadt Tann in der Rhön
       ein Flugblatt verteilt. Darin beklagen drei FDP-Kommunalpolitiker*innen den
       fehlenden Tourismus in ihrer Stadt. Auch habe sich der Ort im osthessischen
       Landkreis Fulda zu einer „Sonderwelt“ entwickelt. Der Grund aus ihrer
       Sicht? Die Sichtbarkeit der Bewohner*innen des Diakoniezentrums Tann
       für Menschen mit Behinderung.
       
       Selbst „langjährige Gäste kehren dem Kurort der Rücken“, da, so schreiben
       es die FDP-Politiker*innen, es „im Marktplatzbereich eine Konzentration von
       Touristen und Klienten des Tanner Diakoniezentrums“ gebe und so
       „Berührungspunkte unausweichlich“ seien.
       
       Sätze wie diese lesen sich besonders erschreckend am 5. Mai, dem
       [1][Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit
       Behinderungen]. Das Flugblatt haben Stadtrat Klaus Dänner und Stadträtin
       Brunhilde Fischer sowie Andrea Willing unterzeichnet. Fischer ist
       FDP-Parteimitglied, Andrea Willing und Klaus Dänner wurden über die
       FDP-Liste ins Stadtparlament gewählt. Die Verfasser*innen positionieren
       sich vermeintlich „pro Inklusion.“ So steht am Ende des Flugblattes, dass
       „ein ausgewogenes Verhältnis der Bevölkerungsgruppen zu einer Akzeptanz und
       herzlichen Annahme aller Menschen“ beitrage.
       
       Unglaubwürdig sind solche Sätze aufgrund von Äußerungen, die klar
       ableistisch und diskriminierend sind: „Das mit dem Krankheitsbild der
       Menschen mit geistigen und seelischen Beeinträchtigungen einhergehende
       Verhalten, wie z. B. mangelnde Distanz, können und möchten viele Touristen
       nicht aushalten.“ Menschen mit Behinderung stören also aus Sicht der
       Lokalpolitiker*innen den Urlaub von Menschen ohne Behinderung.
       
       „Kopfschütteln“ beim Diakoniezentrum Tann 
       
       Als er das Flugblatt am 25. April im Briefkasten des Diakoniezentrums Tann
       gefunden habe, konnte er nur mit dem Kopf schütteln, sagt der
       Geschäftsführer Stefan Burkard gegenüber der taz: „Das ist etwas, das gibt
       es eigentlich nicht mehr in der heutigen Zeit. Das Unsichtbar-machen-Wollen
       von Menschen mit Behinderung im öffentlichen Raum.“ Seit 13 Jahren ist
       Burkard Geschäftsführer des Diakoniezentrums, etwas Derartiges habe er
       bisher nicht erlebt, er habe „völliges Unverständnis“ für das Flugblatt.
       
       Keine*r der FDP-Politiker*innen habe bislang nach Veröffentlichung des
       Flugblattes das Gespräch mit ihm gesucht, so Burkard. Von seiner Seite aus
       habe es immer Bemühungen gegeben, im persönlichen Gespräch
       Lokalpolitiker*innen die Arbeit des Diakoniezentrums näher zu
       bringen, „offensichtlich ohne Erfolg.“
       
       Ziel des Diakoniezentrums in Tann sei es immer gewesen, dass Menschen mit
       Behinderung mitten im Ort in Wohnungen leben. Nach Aussage Burkhards wohnen
       in der etwas mehr als 4.500-Einwohner*innenstadt Tann derzeit 94 stationär
       oder ambulant betreute Klient*innen des Diakoniezentrums. Diese Zahl
       habe sich in den letzten Jahren nicht großartig verändert. Kenntnisse, dass
       langjährige Gäste wegen Menschen mit Behinderung nicht mehr in den Kurort
       kämen, habe er nicht, sagt Burkard.
       
       Auch der Tanner Bürgermeister Mario Dänner distanzierte sich von dem
       Flugblatt: „Seit Jahrzehnten schon gehört die Tanner Diakonie mit ihren
       Klienten zu Tann. Es besteht ein sehr gutes Miteinander, und die Stadt Tann
       ist stolz darauf, eine Einrichtung wie die Diakonie in Tann vorhalten zu
       können“, so Dänner [2][gegenüber Osthessen-News], die als erstes über das
       Flugblatt berichteten.
       
       Kritik gibt es auch vom hessischen FDP-Kreisvorstand. Mehrere
       Politiker*innen stellten das Flugblatt als Einzelmeinung dar. Für den
       FDP-Kreisvorsitzenden Mario Klotzsche stehe „außer Frage, dass behinderte
       Menschen gleichberechtigter und gleichwertiger Teil unserer Gesellschaft
       sind“, so Klotzsche gegenüber der hessenschau. Eine der Verfasser*innen,
       Andrea Willing, äußerte sich gegenüber [3][der Fuldaer Zeitung] und sagte,
       dass das Flugblatt „Sachdarstellungen“ enthalte und „nicht gegen Behinderte
       gerichtet“ sei.
       
       Zum 30. Mal findet am 5. Mai 2022 der Europäische Protesttag zur
       Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen statt. Deutschlandweit gibt
       es Demos und Aktionen, um auf fehlende Inklusion und Barrieren hinzuweisen.
       Unter dem [4][Hashtag #AbleismTellsMe] machen Menschen mit Behinderung in
       den sozialen Netzwerken erneut [5][auf Diskriminierungserfahrungen
       aufmerksam].
       
       5 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Demo-trotz-Corona/!5679963
   DIR [2] https://osthessen-news.de/n11678223/ausbleibende-touristen-wegen-sonderwelt-der-diakonie-flugblatt-polarisiert.html
   DIR [3] https://www.fuldaerzeitung.de/fulda/daenner-andrea-willing-diakonie-rhoen-flugblatt-aktion-behinderte-touristen-tann-schrecken-ab-mario-91513387.html
   DIR [4] https://twitter.com/hashtag/ableismtellsme
   DIR [5] /Ral-Krauthausen-ueber-Morde-im-Oberlinhaus/!5847319
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Linda Gerner
       
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