URI: 
       # taz.de -- Fachkräftemangel in der Pflege: 80.000 Pfleger:innen fehlen
       
       > Den Krankenhäusern in Deutschland fehlen Zehntausende Pflegekräfte. Die
       > Ampelregierung will das ändern. Aber wo bleibt der Gesetzentwurf?
       
   IMG Bild: Auf den Intensivstationen fehlten Pfleger:innen während der Pandemie
       
       Berlin taz | Während die Coronapandemie allmählich verebbt, steigt der
       Druck auf die Bundesregierung, grundsätzliche Konsequenzen aus den beiden
       vergangenen Jahren zu ziehen. Ein zentraler Punkt ist, die Zahl der
       Krankenpfleger:innen unter anderem auf den Intensivstationen der
       Krankenhäuser zu erhöhen. „Wir erwarten, dass bis zur Sommerpause ein
       entsprechender Gesetzentwurf vorliegt“, sagt Gerald Gaß, Chef der Deutschen
       Krankenhausgesellschaft, dieser Zeitung.
       
       Die Lage in der stationären Versorgung ist immer noch schwierig. Der
       Organisation zufolge sind augenblicklich „mindestens 25.000 Stellen“ nicht
       besetzt – etwa sieben Prozent aller Vollzeitarbeitsplätze in der
       Krankenpflege, eine stark steigende Tendenz gegenüber 2021. Das Personal
       ist [1][nach zwei Pandemiejahren] erschöpft. Wenn jemand kündigt, dauert es
       meist viele Monate, bis eine neue Pflegekraft gefunden ist. Wer
       weiterarbeitet, muss zusätzliche Aufgaben erledigen.
       
       Hinzu kommt, dass der wirkliche Pflegebedarf nicht einmal dann gedeckt
       wäre, wenn die Krankenhäuser alle vorhandenen Stellen besetzen könnten.
       Viele Fachleute gehen davon aus, dass für eine vernünftige Betreuung der
       Kranken bis zu 80.000 zusätzliche Pfleger:innen nötig sind.
       
       Die Überlastung der Krankenhäuser war während der Pandemie eine wichtige
       Begründung für die Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens.
       Schlechte Personalausstattung und Arbeitsbedingungen sind zweifellos
       Ursachen dieser Überlastung. Wie ließe sich also die Situation verbessern?
       Immerhin ist die Coronapandemie keineswegs vorbei. Und irgendwann in der
       Zukunft dürften weitere Seuchen drohen.
       
       ## Noch tut sich nichts
       
       In ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten SPD, Grüne und FDP Ende 2021
       Verbesserungen. Der Schlüsselbegriff lautet „Pflegepersonalregelung 2.0
       (PPR 2.0)“. Diese Methode haben die Gewerkschaft Verdi, der Pflegerat und
       die Krankenhausgesellschaft ausgearbeitet, um den tatsächlichen
       Personalbedarf auf einzelnen Stationen der Krankenhäuser zu ermitteln.
       
       Die Umsetzung „würde zu einem Mehrbedarf von 40.000 bis 80.000
       Vollzeit-Pflegekräften führen“, sagt Michaela Evans vom Institut Arbeit und
       Technik der Hochschule Gelsenkirchen. Statt etwa 360.000
       Vollzeitbeschäftigten müssten bis zu 440.000 am Start sein.
       
       Augenblicklich passiert allerdings nicht viel. Das
       Bundesgesundheitsministerium arbeitet an seiner Planung für dieses Jahr.
       „Die Umsetzung der PPR 2.0 wird aktuell geprüft“, erklärt das Ministerium.
       Ob ein Gesetzentwurf zur Pflege dabei herauskommt, scheint unklar. „Die
       Pflegepersonalregelung 2.0 muss zügig umgesetzt werden“, mahnt dagegen
       Krankenhaus-Chef Gaß. Der grüne Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen sieht
       es ähnlich: „Der Personalmangel ist so eklatant, dass das Problem keinen
       Aufschub duldet.“
       
       Aber lässt sich das Problem überhaupt auf diesem Weg lösen? Ist der
       Arbeitsmarkt nicht leergefegt, sodass der Versuch scheitern muss? Nein,
       schreiben Evans und weitere Autor:innen der neuen Studie „Ich pflege
       wieder, wenn …“ im Auftrag der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung.
       Die Umfrage unter aktiven und ausgestiegenen Pflegekräften ergab, dass
       mindestens 172.000 zusätzliche Vollzeitbeschäftigte zur Verfügung stünden,
       wenn die [2][Arbeitsbedingungen akzeptabel wären].
       
       ## Woher mit dem Geld?
       
       Das heißt, die Pfleger:innen verlangen mehr Zeit pro Patient:in, eine
       bessere Bezahlung und verlässliche beziehungsweise familienfreundliche
       Arbeitszeiten. „In der Krankenpflege haben wir kein Arbeitsmarktproblem“,
       sagt Evans. „Die Politik müsste aber die Bedingungen verbessern, damit die
       Leute ihre Arbeitszeit verlängern oder eine Stelle neu antreten.“
       
       Das würde Geld kosten. 80.000 zusätzliche Stellen schlagen in der
       Größenordnung von einer halben Milliarde Euro pro Jahr bei den
       Krankenhäusern zu Buche. Wie soll das finanziert werden?
       
       Eine Variante wäre ein höherer Zuschuss vom Staat, der angesichts sowieso
       steigender Anforderungen an den Bundeshaushalt jedoch problematisch
       erscheint. Höhere Sozialbeiträge belasten Arbeitnehmer:innen und
       Firmen. „Allein zusätzliches Geld ins System zu geben, wird nicht reichen“,
       sagt Grünen-Politiker Dahmen. „Wir brauchen Strukturreformen und sollten
       auch Aufgaben wie Ausgaben umverteilen“ – weniger teure Apparatemedizin und
       Diagnostik, mehr Pflege.
       
       9 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bundestag-debattiert-ueber-Pflegebonus/!5848062
   DIR [2] /Reformen-in-der-Pflege/!5825343
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
       ## TAGS
       
   DIR Ampel-Koalition
   DIR Pflegekräftemangel
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Pflege
   DIR Fachkräftemangel
   DIR Alten- und Pflegeheime
   DIR Pflegekräftemangel
   DIR Verdi
   DIR Familie
   DIR Pflegekräftemangel
   DIR Pflegekräftemangel
   DIR IG
   DIR Fachkräftemangel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Tarifverträge für Pflegekräfte: Unerwünschte Folgen besserer Löhne
       
       Die Gehälter in der Altenpflege steigen, daher müssen viele Senior:innen
       mehr fürs Heim zahlen. Der Pflegerat fordert mehr staatliche Hilfen.
       
   DIR Arbeitskampf an NRW-Unikliniken: Klatsche für die Arbeitgeber
       
       Streikaufrufe der Gewerkschaft Verdi am Uniklinikum Bonn bleiben zulässig.
       Das Arbeitsgericht Bonn wies einen Eilantrag der Klinik auf Unterlassung
       ab.
       
   DIR Streik von Klinik-Beschäftigten in NRW: Gesundheit am Limit
       
       Seit 40 Tagen streiken Beschäftigte der Uni-Kliniken in
       Nordrhein-Westfalen. Sie kämpfen für die Gesundheit der Patient:innen –
       und ihre eigene.
       
   DIR Pflegeversicherung großer Familien: Es bleibt Handlungsbedarf
       
       Den Beitrag zur Pflegeversicherung für kinderreiche Familien zu senken, ist
       eine gute Idee. Nur löst das alleine die Probleme noch lange nicht.
       
   DIR Situation in Kliniken und Heimen: Mehr Gehalt für mehr Pflegende
       
       In der Pflegebranche arbeiten immer mehr Menschen. Seit 2011 ist der Lohn
       für viele Angestellte dort um fast 30 Prozent gestiegen – deutlich stärker
       als in anderen Jobs.
       
   DIR Bundestag debattiert über Pflegebonus: Ein „Danke“ nur als Alibi
       
       Der Bundestag befasst sich am Donnerstag mit dem Pflegebonus. Dieser sei zu
       kurz gegriffen, kritisieren Praxismitarbeiter*innen und Verbände.
       
   DIR Pflegekräfte über Care-Arbeit: „Sabine, halte durch!“
       
       In Facebookgruppen erzählen Pflegekräfte von ihrem Stress, aber auch von
       ihrem Engagement für die Patient:innen. Unsere Autorin hat mitgelesen.
       
   DIR Reformen in der Pflege: In die Flucht getrieben
       
       Was ist der Unterschied zwischen der Auto- und der Pflegebranche?
       Arbeitsbedingungen wie in der Pflege würden in Autoindustrie niemals
       geduldet.