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       # taz.de -- Mit KI gegen Wolfsrisse: Rotkäppchens Roboter
       
       > Trotz vorhandener Elektrozäune reißen Wölfe oft Schafe. Forscher*innen
       > der Uni Bremen wollen die Gatter mit Künstlicher Intelligenz verbessern.
       
   IMG Bild: Mit Hilfe der Technik aus Bremen hätte Rotkäppchen den Wolf bestimmt erkennen können
       
       Bremen taz | Der Wolf ist ein fauler Jäger. Spektakuläre Hetzjagden sind
       nicht sein Ding. Er geht den kürzesten und vor allem den bequemsten Weg, um
       seinen Hunger zu stillen. Das ist hierzulande oft eine Schwachstelle im
       Elektrozaun und damit ein Problem, vor allem für Nutztierhalter:innen.
       
       Rund 4000 Nutztiere wurden 2020 in Deutschland laut Dokumentations- und
       Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) von Wölfen gerissen. Bei
       einem Angriff wurden durchschnittlich 3,7 Tiere getötet, denn durch die
       aufgeschreckte Herde, die zudem nicht weglaufen kann, reißen Wölfe manchmal
       mehr, als sie als Nahrungsquelle eigentlich brauchen.
       
       Neben Elektrozäunen werden Schafe und Ziegen in einigen Regionen
       Deutschlands mittlerweile auch durch Herdenschutzhunde bewacht, die –
       anders als die Hütehunde der Schäfer:innen – oft mit den Herdentieren
       aufwachsen und sie gegen Eindringlinge verteidigen. Diese Schutzmaßnahmen
       sind jedoch teuer und aufwändig im Unterhalt.
       
       [1][Zäune helfen gegen Wolfsrisse], dürfen aber keine Schwachstellen haben,
       denn genau darauf haben es die intelligenten Wölfe abgesehen. In Zukunft
       könnte Künstliche Intelligenz (KI) die Hunde und Zäune beim Beschützen der
       Schafe unterstützen. Ein gemeinsames Forschungsprojekt der Universitäten
       Bremen und Gießen soll einen Weidezaun entwickeln, der mithilfe von KI
       Wölfe erkennen und direkt an Ort und Stelle verjagen soll.
       
       ## Wölfe melden und vertreiben
       
       Die Jagd und sogar der Aufenthalt rund um die Weiden soll den Wölfen
       unangenehm gemacht werden. Diese Vergrämung kann durch Licht, Geräusche
       oder Gerüche erfolgen: Was bei den Wölfen am effektivsten wirkt und
       zugleich die Weidetiere nicht stört, wird derzeit erforscht. „Unser System
       soll verhindern, dass der Wolf den Zaun nach einer geeigneten Stelle
       untersuchen kann, an der er durchbrechen könnte“, sagt David Wewetzer,
       Informatiker und Leiter des Technologie-Zentrums Informatik an der Uni
       Bremen.
       
       Eine zentrale Rolle spiele außerdem die Meldung an die Halter:innen, die
       bei jeder Sichtung automatisch ablaufen soll. „Kein Zaun ist zu 100 Prozent
       wolfssicher, aber durch die Meldung haben Tierhalter:innen Zeit zu
       reagieren“, so Wewetzer. Der Zaun solle die herkömmlichen Elektrozäune
       nicht ersetzen, sondern ergänzen.
       
       Allein in Niedersachsen leben aktuell 38 Wolfsrudel, nur in Brandenburg
       gibt es mit 49 noch mehr. Die Tiere sind anpassungsfähig, die Populationen
       sind in den letzten Jahren stark gewachsen. Geschossen werden [2][dürfen
       sie noch nicht:] Sie stehen sowohl auf deutscher als auch auf europäischer
       und internationaler Ebene unter Schutz.
       
       ## Die Weidetierhaltung muss sich auf den Wolf einstellen
       
       Nachdem sie im 19. Jahrhundert hierzulande ausgerottet wurden, fühlen sich
       Wölfe nun auch in Deutschland wieder wohl – oft zum Leid der
       Tierhalter:innen. Die sehen ihre Tiere und den Erhalt der Kulturlandschaft
       in Gefahr weil immer mehr von ihnen aufgeben – etwa weil die Kosten für die
       Schutzmaßnahmen zu hoch seien.
       
       „Erst mit dem Verschwinden des Wolfes konnte sich die Weidetierhaltung in
       Deutschland überhaupt ausbreiten“, sagt Michael Weiler, der im Beirat des
       Projekts sitzt und als Tierarzt mit Tierhalter:innen unter anderem in
       Russland oder Südosteuropa gearbeitet hat.
       
       In diesen Regionen war der Wolf nie weg. Schafe werden dort auch heute noch
       in Hütehaltung gehalten, also ohne Zaun mit einer Schäferin und
       Herdenschutzhunden, die Wache halten. Das war in Deutschland lange nicht
       notwendig. „Weidetierhaltung, wie wir sie hier betreiben, ist mit einer
       Ausbreitung der Wolfspopulation kaum vereinbar“, so Weiler.
       
       Im intelligenten Zaun sieht er eine sinnvolle Ergänzung, vor allem durch
       die Meldung an die Weidehalter:innen. Trotzdem hat er Bedenken, ob der
       Zaun als dauerhafte Lösung taugt: „Der Wolf ist ein sehr intelligentes
       Großraubtier, der sich verändernden Situationen in seinem Verhalten sehr
       gut anpassen kann.“
       
       ## Die KI soll Wölfe selbst erkennen können
       
       Aktuell gibt es so einen einsatzbereiten Zaun ohnehin noch nicht. Während
       die Uni Gießen sich mit den verhaltensbiologischen Fragen auseinandersetzt
       und erste Tierversuche beantragt hat, wird in Bremen die Technik
       entwickelt. Diese muss einen Wolf in erster Instanz als solchen
       identifizieren, um dann den Vergrämungsmechanismus auszulösen.
       
       Im Idealfall sollen sogar individuelle Wölfe erkannt werden – so könnte die
       Vergrämung variiert und ein Gewöhnungseffekt verhindert werden. So weit ist
       es aber noch nicht. Das Forschungsprojekt läuft bis Mitte 2024. An der
       Bremer Uni werden derzeit fleißig Bilder gesammelt, um die KI darauf zu
       trainieren, Wölfe zu erkennen und etwa auch von Hunden zu unterscheiden.
       Dafür gibt es Kooperationen mit Wildparks, außerdem verwenden die
       Forschenden Aufnahmen von Wildkameras.
       
       ## Interessenskonflikte durch Technik mildern
       
       „Wir können momentan sicher sagen, dass die Erkennung eines Wolfes kein
       Problem für die KI ist“, sagt Informatiker Wewetzer. Neben den
       Universitäten ist auch der Zaunhersteller RoFlexs GmbH aus Salzwedel Teil
       des Projekts, das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
       mit 1,1 Millionen Euro gefördert wird.
       
       Wenn der Wolf wieder brav sein Reh jagt, könnten auch die Rufe nach
       Abschüssen leiser werden. Der Zaun könnte laut Wewetzer dabei helfen „den
       Zielkonflikt mehrerer berechtigter Interessen zu verringern“. „Der Druck
       auf Wildtiere wächst“, sagt auch Peter Sürth, der als Wildbiologe ebenfalls
       im Beirat des Projekts sitzt.
       
       Man müsse sich klarmachen, dass die Spannungen durch den Menschen
       verursacht sind. Er plädiert dafür, das Weidetiermanagement der höheren
       Zahl an Wölfen anzupassen. Perspektivisch könnte die Technologie nicht nur
       zum Schutz von Nutztieren eingesetzt werden: An vielbefahrenen Straßen
       könnten durch die punktuelle Vergrämung von Wild sowohl Tiere als auch
       Menschen geschützt werden.
       
       29 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Abschuss-von-Woelfen-in-Niedersachsen/!5843876
   DIR [2] /Weidetierhalter-gegen-Nabu/!5847404
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Teresa Wolny
       
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