URI: 
       # taz.de -- Rassistischer Terror: Beruhend auf Unterdrückung
       
       > Rechtsextremisten werden nicht als solche geboren, sondern dazu gemacht.
       > Um das zu verhindern, ist eine Auseinandersetzung mit unserem Rassismus
       > nötig.
       
   IMG Bild: Der Schütze von Buffalo, Payton G., wird vor Gericht geführt
       
       Während [1][Payton G.] am Streifenwagen stand, konnte ihn niemand mit
       [2][George Floyd] verwechseln. Die Polizisten, die den 18-jährigen Weißen
       umsäumten, tasteten ihn geradezu schonend ab. Zwar bekam er Handschellen
       angelegt, aber niemand schmiss ihn auf den Boden. Wieso denn auch? Er ist
       ein Student, ein Nerd. Mitglied der Inceligentsia (Schlachtparole der
       Autorin). Ein Gamer, kein Gangster.
       
       Der Kerl hat viel auf dem Kasten. Aber auch auf dem Kerbholz, wenn seine
       Gesinnung ihm ein Gewissen zulässt. Vor und in einem Einkaufszentrum am
       Eriesee hatte G. kurz zuvor 50 Schuss abgefeuert. Sein Sturmgewehr war mit
       rassistischen Beleidigungen beschriftet. 10 Tote, 3 Schwerverletzte. Fast
       ausschließlich Schwarze Opfer. Das ist die blutige Bilanz nach seiner
       Ballerei in Buffalo, New York.
       
       Der Anschlag wirft Fragen auf, und die Folgen, die von uns allen in einer
       tief gespaltenen Gesellschaft getragen werden müssen, bergen akute Brisanz.
       Dasselbe gilt für das wenige Tage zuvor vereitelte Sprengstoffattentat
       eines [3][16-jährigen Deutschen] auf zwei Essener Schulen. In Buffalo und
       in Essen handelt es sich um terroristische Aktivitäten. Trotzdem tut man
       sich schwer damit, die tatverdächtigen Jungs so richtig als Terroristen zu
       bezeichnen.
       
       Denn sie sind Einheimische aus gutem Hause, keine zum Islam Konvertierten
       und auch keine Linksextremisten. Angesichts der Kraft solcher Denkmuster
       ist es zusätzlich bedenklich, wenn ausgerechnet NRW-Innenminister Herbert
       Reul den Eindruck erweckte, das mörderische Vorhaben relativieren zu
       wollen. Ich möchte dem guten Herrn Reul partout nicht vorwerfen, auf einem
       Auge blind zu sein.
       
       ## Schwarze und Muslime im Visier
       
       Doch bei der Nacht- und Nebelaktion des SEKs in der Wohnung des Jungen
       kamen einschlägige Beweggründe und Beweisstücke ans Licht. Der
       Bombenbastler hat es auf Schwarze und Muslime abgesehen. In seinem
       obligatorischen Manifest proklamierte er die Absicht, wegen „des Untergangs
       der weißen Rasse“ ein Zeichen zu setzen. Er liebt Adolf Hitler, er lobt die
       Attentäter von Erfurt (2002) und Winnenden (2009).
       
       Im Rahmen der Pressekonferenz nach der Festnahme beschrieb Reul das
       Unterfangen des Tatverdächtigen dennoch als „[4][dringenden Hilferuf eines
       verzweifelten jungen Mannes]“. Die gelernte Juristin in mir weiß, dass
       küchenpsychologische Diagnosen seitens des Staates dem Verteidigungsteam in
       die Hände spielen können. Es wäre ohnehin besser gewesen, die seelischen
       Bedürfnisse der Menschen zu thematisieren, die der Junge ins Visier
       genommen hatte.
       
       Selbst ein verhinderter Terroranschlag hinterlässt Traumatisierte. Viele
       der potenziellen Opfer laufen sowieso mit einer Zielscheibe auf dem Rücken
       herum, sie sind ungesühnten Mikroaggressionen und der scheußlich
       selbstgefälligen weißen Mittelmäßigkeit dauernd ausgesetzt. Nach wie vor
       herrscht die Unschuldsvermutung, was den mutmaßlichen Attentäter anbelangt,
       und in einem demokratischen Staat ist die Justiz zu Recht dazu
       verpflichtet, auch entlastende Umstände zu berücksichtigen, ganz egal, wer
       der Tatverdächtige ist.
       
       So weit, so gut. Aber das unbedarfte Philosophieren über die
       Empfindsamkeiten eines in U-Haft sitzenden Naziverehrers, der
       Mitschüler*innen und Lehrkräfte in die Luft zu sprengen beabsichtigte,
       entpolitisiert das angestrebte Verbrechen, ohne die noch bedrohliche Lage
       zu entschärfen.
       
       ## Angst vor dem „großen Austausch“
       
       Sechstausend Kilometer trennen Payton G. von dem Rohrkrepierer aus dem
       Ruhrgebiet. Doch sie teilen eine gemeinsame Ideologie: White Supremacy.
       Sofern die erzkonservativen Medien wie Fox News nun aus ihren Fuchslöchern
       kriechen, um die Bluttat von Buffalo zu erwähnen, verorten sie den
       Schuldigen eher in dem „großen Austausch“, jenem Geheimplan der
       christenfeindlichen Elite, wonach die weiße Mehrheitsbevölkerung durch
       Nichtweiße ersetzt werde.
       
       Tatsächlich kann ein demografischer Wandel infolge legaler Zuwanderung und
       niedriger weißer Geburtenraten kaum geleugnet werden. Voraussichtlich
       [5][2044 werden Weiße nicht länger die Mehrheit in den USA] bilden. So sei
       man dazu gezwungen, die Heimat gegen die Überfremdung und die damit
       verbundene hohe Kriminalität zu verteidigen.
       
       Ausgerechnet in Conklin, dem Heimatstädtchen von G., machen Weiße aber
       nicht weniger als 91 Prozent der Bevölkerung aus. Latinos 7 Prozent,
       Asiaten und Schwarze jeweils gerade mal 1 Prozent. Der Schütze musste 3
       Stunden mit dem Auto fahren, um Buffalo zu erreichen. Auch er hinterließ
       ein Manifest. Darin schwärmt er von den rechtsextremen Massenmördern Anders
       Breivik und Brenton Tarrant.
       
       Wie Tarrant, der 2019 mehr als 50 Menschen in einer [6][neuseeländischen
       Moschee] ermordete, trug G. Körperpanzer und eine Helmkamera, mit der er
       seinen Anschlag live via Twitch streamte. Das Video zeigt, wie G. flehenden
       Greisinnen in den Kopf schießt. Dass er anschließend völlig unversehrt
       festgenommen wurde, bestätigt die Regel, von der auch andere weiße
       Attentäter profitieren, während unschuldige Schwarze in banalen
       Verkehrskontrollen ihr Leben lassen.
       
       [7][Black Lives Matter]? Hashtags für Halle und Hanau? Ja, ja. Unsere
       Gesellschaft bringt es noch, eklatante Hassverbrechen zu verurteilen – um
       diese dann zügig als Einzelfälle ad acta zu legen. Doch sie ist nicht
       bereit, sich mit den tief verwurzelten Strukturen des Rassismus
       auseinanderzusetzen. In Echtzeit erfährt man heute mehr über Boris Beckers
       Londoner Kerker als das, was wir in 17 Jahren über [8][Oury Jallohs
       Gewahrsamszelle] in Dessau herausfinden konnten.
       
       Immerhin werden Rassisten nicht geboren, dafür aber von Kindesbein an
       sorgfältig herangezüchtet. Jungs wie Payton G. und der Essener
       Bombenbastler sind hässliche Auswüchse eines Systems, das noch auf
       Unterdrückung fundiert und durch eine in der Tat verzweifelte Angst vor dem
       Privilegienverlust geprägt ist.
       
       23 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gewalttat-im-US-amerikanischen-Buffalo/!5854583
   DIR [2] /Urteil-im-Mordfall-George-Floyd/!5783164
   DIR [3] /Geplanter-Anschlag-in-Essen/!5855361
   DIR [4] https://politik.watson.de/deutschland/politik/418332188-nrw-minister-reul-erntet-shitstorm-fuer-statement-ueber-essener-schueler
   DIR [5] https://www.deutschlandfunk.de/vor-den-kongresswahlen-in-den-usa-white-anxiety-die-angst-100.html
   DIR [6] /Christchurch-Prozess-in-Neuseeland/!5710319
   DIR [7] /Freispruch-fuer-Schuetzen-in-Kenosha/!5816783
   DIR [8] /Mordfall-Oury-Jalloh/!5823891
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michaela Dudley
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR IG
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
   DIR Podcast „Vorgelesen“
   DIR GNS
   DIR IG
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR US-Sklaverei-Geschichte
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nach dem Amoklauf in Texas: Recht des Stärkeren
       
       Die US-Waffenlobby argumentiert mit der Freiheit der Bürger, sich zu
       verteidigen. Rechtsterroristen nehmen sich diese Freiheit und töten
       Menschen.
       
   DIR Mahnmal für die Opfer von Hanau: Nicht im Herzen der Stadt
       
       Viele Hanauer wollen ein Mahnmal für die Opfer des rassistischen Anschlags
       – aber nicht im Stadtkern. Den Toten wird dort kein Platz gestattet.
       
   DIR „Juneteenth“ gedenkt Ende der Sklaverei: Ein Echo auf Black Lives Matter
       
       Der US-Kongress hat den 19. Juni zum offiziellen Feiertag erklärt – im
       Gedenken an das Ende der Sklaverei 1865. Es ist nur eine Etappe in der
       Debatte um Reparationen.
       
   DIR Studie über Berufsschüler in Sachsen: Rechtsextremismus weit verbreitet
       
       Jeder zweite Berufsschüler in Sachsen hat einer Studie zufolge eine
       fremdenfeindliche Grundhaltung. Ein Berufsschullehrer aus Leipzig hält die
       Zahlen sogar noch für "untertrieben".