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       # taz.de -- Radtourismus und 9-Euro-Ticket: Das wird richtig eng
       
       > Das 9-Euro-Ticket gefährdet den Radtourismus in Kombination mit
       > Regionalzügen. Die DB empfiehlt sogar, das eigene Velo zu Hause zu
       > lassen.
       
   IMG Bild: Idyllische Zustände für Radreisende (allerdings auch schon wieder 120 Jahre her)
       
       Berlin taz | Dieser Sommer könnte zum Problem werden – zumindest für alle,
       die mit dem Fahrrad ins nahe oder weiter entfernte Umland reisen wollen.
       Die Deutsche Bahn (DB) rechnet wegen des 9-Euro-Tickets mit einer deutlich
       erhöhten Nachfrage insbesondere auf touristisch genutzten Verbindungen und
       empfiehlt NutzerInnen der Regionallinien in Berlin, Brandenburg und
       Mecklenburg-Vorpommern, „auf die Mitnahme des eigenen Fahrrads zu
       verzichten und am Zielort auf die vielen Verleiher:innen
       zurückzugreifen“. Das gelte „insbesondere im Ausflugs-, aber auch im
       Berufsverkehr“.
       
       Die DB hat am Montag [1][mit dem Verkauf der vom Bund massiv
       subventionierten Fahrkarten begonnen] – online, am Automaten und in
       Reisezentren. Wie DB-Regio-Chef Jörg Sandvoß bei einem Pressegespräch am
       Mittag sagte, waren allein seit dem Morgen 200.000 Tickets abgesetzt
       worden.
       
       Bei anderen Verkehrsbetrieben wie der BVG konnten die KundInnen die
       billigen Monatskarten für Juni, Juli und August bereits Ende vergangener
       Woche erwerben. Bis einschließlich Sonntag wurden 130.000 Stück bei der BVG
       gekauft. Für die vielen Abo-KundInnen – allein bei der BVG 870.000 –
       erübrigt sich das: [2][Ihre Monatskarte fungiert als 9-Euro-Ticket und
       kostet auch nur so viel.] Bei monatlicher Abbuchung wird diese auf 9 Euro
       reduziert, bei Einmalzahlung wird die Differenz erstattet.
       
       Sandvoß sagte, das Ticket habe „einen Nerv getroffen“, der „unglaubliche
       Niedrigpreis“ und die „enorme Einfachheit“ würden für massive Nachfrage
       sorgen. Gleichzeitig sprach der Bahn-Manager von einem „Riesenexperiment
       ohne Blaupause“, das nun unter Hochdruck und mit extrem kurzer Vorbereitung
       durchgeführt werde.
       
       Tatsächlich macht das Ticket die Nutzung von Regionalzügen und ÖPNV so
       günstig, dass bei intensiver Nutzung die Kosten einer einzelnen Fahrt auf
       Centbeträge fallen. Ob das im städtischen Alltagsverkehr zu einem
       spürbaren Anstieg der Fahrgastzahlen führt, bleibt abzuwarten. Viele
       VerkehrsexpertInnen gehen aber davon aus, dass an Wochenenden, Feiertagen
       und insgesamt während der Sommerferien viele Menschen die Möglichkeit eines
       billigen Ausflugs nutzen wollen.
       
       Schon jetzt kann es aber auf den Strecken an die Ostsee oder die Müritz bei
       schönem Wetter zu chaotischen Szenen kommen. Gerade RadtouristInnen, die
       etwa mit dem RE 5 gen Norden reisen wollen, wissen oft nicht, ob sie am
       Ende tatsächlich in den gewünschten Zug kommen – und ob dieser einigermaßen
       pünktlich losfahren kann. Besonders heftig ist die Situation im
       Rückreiseverkehr.
       
       ## Alles soll rollen
       
       Zwar betonte Sandvoß, bei der DB werde ab dem 1. Juni „buchstäblich alles
       rollen, was wir an Zügen und Personal haben“. Auch eine Reserve von rund 50
       Bahnen mit insgesamt 60.000 Sitzplätzen werde aktiviert. Die Zahl bezieht
       sich allerdings auf die gesamte Bundesrepublik. Konkret sollen im Bereich
       der DB Regio Nordost an den Wochenenden der RE 3 nach Prenzlau und der RE 5
       nach Neustrelitz bis Rostock bzw. Stralsund verlängert werden. Auch
       zwischen Stralsund und Angermünde sowie Rostock und Neustrelitz wird es
       dann „zusätzliche Leistungen mit Anschluss nach Berlin“ geben. Angaben über
       die Zahl zusätzlicher Waggons gab es nicht.
       
       Immerhin: Einschränkungen der Fahrradmitnahme, die zwischenzeitlich auch
       diskutiert wurden, wird es nicht geben. Der ADFC-Bundesverband hatte noch
       in der vergangenen Woche davor gewarnt, Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin
       Schneider bezeichnete das Szenario als „Katastrophe für den wirtschaftlich
       bedeutenden Fahrradtourismus“ in dessen Hauptsaison. Immerhin haben im Jahr
       2021 gemäß der ADFC-Radreiseanalyse 5,3 Millionen Menschen die Bahn für die
       Anreise zu klimafreundlichen Tagesausflügen auf dem Rad oder Radreisen
       genutzt. Faktisch könnte der erwartete Andrang – ohne einen wirklichen
       Ausbau des Angebots – durchaus ähnlich desaströse Folgen haben.
       
       Klar ist seit Montag auch, welche Verstärkungen es im Berliner
       S-Bahn-Verkehr geben wird. Dabei handelt es sich meist um eine leichte
       Ausdehnung zum Abend hin: Laut einer Mitteilung der Bahn wird auf der S 1
       von Montag bis Samstag der 10-Minuten-Takt zwischen Zehlendorf und Wannsee
       ab 21.30 Uhr um 40 Minuten verlängert, für die S 7 gilt dasselbe zwischen
       Westkreuz und Potsdam. Auf den Linien S 1, S 3 und S 5 fahren von Montag
       bis Freitag Verstärkerzüge eine Stunde länger (bis 20 Uhr, aber nicht in
       den Sommerferien), und auf der S 2 werden sonntags Vollzüge mit acht statt
       vier Wagen eingesetzt.
       
       23 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bahn.de/angebot/regio/9-euro-ticket
   DIR [2] https://www.bvg.de/de/tickets-und-tarife/9-euro-ticket/faq-9-euro-ticket
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claudius Prößer
       
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