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       # taz.de -- Historiker über Juden in Hansestädten: „Wohlhabende durften gern bleiben“
       
       > Wohlhabende jüdische Kaufleute waren in Hansestädten der frühen Neuzeit
       > hoch willkommen. Ärmere Glaubensgenossen mussten meist außerhalb siedeln.
       
   IMG Bild: „Auf ewig“ gepachtet: Der Jüdische Friedhof in Altona
       
       taz: Herr Kopitzsch, welchen Status hatten Juden in Norddeutschlands
       Hansestädten in der frühen Neuzeit? 
       
       Franklin Kopitzsch: Wir sprechen von der Zeit wischen 1590 und der
       [1][jüdischen Emanzipation] durch die Revolution von 1848/49. Damals
       gehörten sie zu den Minderheiten. In Hamburg und Lübeck herrschten die
       Lutheraner vor, in Bremen die Calvinisten. Aber unter
       Handelsgesichtspunkten war man durchaus daran interessiert,
       wirtschaftsstarke Leute in die Städte aufzunehmen. Neben den
       „hochdeutschen“ Ashkenasen, die oft vor Pogromen aus Osteuropa flohen,
       haben besonders die der spanischen Inquisition entronnenen
       [2][portugiesischen – sephardischen – Juden] mit ihren breit gefächerten
       Handelsbeziehungen zur Blüte Hamburgs im 17. Jahrhundert beigetragen.
       
       Aber ihren Friedhof „auf Ewigkeit“ durften sie nur im benachbarten Altona
       pachten. 
       
       Ja, in Altona hatten die Grafen von Holstein-Schaumburg früh Privilegien an
       Juden vergeben, die dänische Regierung führte das 1640 fort. Die ersten
       wirklichen Freiheiten sind den Juden daher in Altona verliehen worden. Auch
       wohnen durften in Hamburg nur wenige – die Schutzjuden, die dafür Abgaben
       zahlten.
       
       War Hamburg ein Einzelfall? 
       
       Nein. Auch in Bremen und Lübeck durften nur wenige Juden wohnen. Die
       anderen siedelten sich in den – damals außerhalb gelegenen – Stadtteilen
       Lübeck-Moisling und Bremen-Hastedt an. Denn die Stadträte wollten die
       ärmeren Juden nicht in der Stadt haben. Oft mussten die „Schutzjuden“ dafür
       sorgen, dass ihre ärmeren Glaubensbrüder die Stadt abends verließen.
       
       Waren auch die „Schutzjuden“ von Pogromen betroffen? 
       
       Ja, vor allem in Hamburg gab es mehrere größere Pogrome, die sich auch
       gegen wohlhabende Sepharden richteten. Dies war Ausdruck eines
       Antijudaismus, den vor allem lutheranische Geistliche in ihren Predigten
       befeuerten. Sie haben bis weit ins 18. Jahrhundert hinein weite Teile der
       Handwerker, des Kleinbürgertums und der bürgerlichen Mittelschicht
       beeinflusst. [3][Der Antisemitismus,] wie wir ihn heute verstehen – das
       Vorurteil, dass Juden eine Rasse seien – ist erst im 19. Jahrhundert
       entstanden.
       
       Und ab wann bekamen Juden mehr Rechte? 
       
       Im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelten sich auch innerhalb der
       jüdischen Gemeinschaft verschiedene Strömungen: einerseits die
       strenggläubig Orthodoxen, andererseits diejenigen, die sich der Aufklärung
       zuwandten. In Altona und Hamburg kam es zu ersten Kontakten zwischen
       jüdischen Gelehrten und aufgeklärten Christen. In so genannten
       Aufklärungsgesellschaften debattierten sie darüber, ob Juden die
       Gleichberechtigung bekommen, sollten, ob man ihre Emanzipation vorantreiben
       sollte. In Deutschland wurde diese Diskussion vor allem durch Moses
       Mendelssohn und Lessing angestoßen.
       
       Führte das zur dauerhaften Gleichberechtigung? 
       
       Zunächst nicht. Wirklich gleichberechtigt waren Juden nur in der
       „Franzosenzeit“, als Hamburg, Lübeck und Bremen zum französischen Empire
       gehörten. Nach Ende dieses Empires 1814/15 auf dem Wiener Kongress
       diskutierte man darüber, ob man den Juden ihre Rechte belassen sollte. Das
       haben dann vor allem die Vertreter Bremens und Lübecks verhindert. In der
       Folge mussten die meisten Juden Bremen und Lübeck wieder verlassen. Zur
       echten Gleichstellung kam es dann erst im Zuge der Revolution 1848/49.
       
       25 May 2022
       
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   DIR Petra Schellen
       
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