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       # taz.de -- Studie zu Antisemitismus in Deutschland: Woher Judenhass heute rührt
       
       > Eine Studie untersucht antisemitische Einstellungen in Deutschland. Es
       > gibt ein Problembewusstsein. Und der Hass kommt nicht nur von Rechts.
       
   IMG Bild: Kundgebung der „Querdenken“-Bewegung in Dresden, März 2021
       
       Die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland war im letzten Jahr mit
       3.028 gemeldeten Fällen so hoch wie nie. Das kann allerdings auf
       Verschiedenes hindeuten, werden immerhin nur etwa 20 Prozent aller
       antisemitischen Straftaten zur Anzeige gebracht. Wie weit antijüdische
       Einstellungen hierzulande verbreitet sind, hat [1][eine Studie in Erfahrung
       gebracht, die das American Jewish Committee Berlin (AJC) beauftragt hat.]
       
       Die gute Nachricht: 60 Prozent der Befragten stimmen zu, dass
       Antisemitismus ein weit verbreitetes Problem in Deutschland ist, sagt der
       Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, bei der
       Online-Vorstellung der Studie am Dienstag. „Vor vier Jahren lag der Wert
       noch bei 20 Prozent.“
       
       Einen Anteil am gewachsenen Problembewusstsein mag der Anschlag auf die
       Synagoge in Halle 2019 gehabt haben, doch auch während der Pandemie ist man
       an antijüdisch eingefärbter Rhetorik und Opfersymbolik (man erinnere sich
       an die gelben „Ungeimpft“-Sterne) kaum vorbeigekommen. Doch Hass kommt
       nicht nur von rechts. Etwa 40 Prozent der Jüd:innen in Deutschland ordnen
       erfahrene antisemitische Übergriffe einem islamistischen Umfeld zu.
       
       Die Studie hat daher dezidiert auch hier lebende Muslim:innen befragt.
       Ihre Antworten unterscheiden sich von denen nichtmuslimischer Deutscher
       mitunter stark. So glauben etwa 45 bis 46 Prozent der deutschen
       Muslim:innen, Jüd:innen hätten zu viel Macht in Politik und Medien.
       Insgesamt stimmen dem 18 Prozent aller Deutschen zu. Es gebe einen
       Zusammenhang zwischen Moscheebesuchen und antisemitischen Einstellungen,
       sagt Remko Leemhuis, Direktor des AJC Berlin.
       
       ## Antisemitismus bei Muslim:innen
       
       Das Thema ist hochaktuell, über die Verbreitung antijüdischer Ressentiments
       unter Muslim:innen wird aktuell auch im Kontext [2][der Kasseler
       Kunstausstellung documenta] debattiert: Deren künstlerische Leitung, das
       indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa, sieht sich mit
       Antisemitismusvorwürfen konfrontiert. [3][Im arabischen Raum könne man
       nicht dieselben Maßstäbe anwenden, was antisemitische Einstellungen
       betreffe, riefen einige Stimmen schon beschwichtigend.]
       
       Schaut man sich daneben die deutsche Parteienlandschaft an, überrascht es
       wenig, dass die AfD und ihre Wählerschaft die mit Abstand
       judenfeindlichsten Einstellungen vertreten. Ein Blick ins Nachbarland
       Frankreich ist hier aufschlussreich. Simone Rodan-Benzaquen, Direktorin des
       AJC Europe, nennt Zahlen: So nehmen etwa 37 Prozent der Wähler:innen von
       Marine Le Pens rechtsextremer Rassemblement National (RN) an, Jüd:innen
       seien reicher als der Durchschnitt, während der Wert unter AfD-Wähler:innen
       bei 47 Prozent liegt.
       
       [4][Traurigerweise sind auch unter Frankreichs Linken antisemitische
       Einstellungen weit verbreitet.] 70 Prozent der
       La-France-insoumise-Wähler:innen sind gegen ein Verbot von antiisraelischen
       Demonstrationen, ebenso 40 Prozent der französischen Gesamtbevölkerung. 43
       Prozent der Anhänger:innen von Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon halten
       es für legitim, Jüd:innen weltweit für die Politik Israels zur
       Verantwortung zu ziehen, gesamtgesellschaftlich sind es immerhin 33
       Prozent.
       
       Im Gegensatz zu Deutschland verorten die Französ:innen die Wurzel des
       Antisemitismus nicht in der extremen Rechten, sondern im islamistischen
       Spektrum. Das liege mitunter daran, dass in Frankreich fast alle Angriffe
       auf Jüd:innen von Islamisten begangen wurden, sagt Rodan-Benzaquen. Man
       erinnert sich: das Attentat auf eine jüdische Schule in Toulouse 2012, die
       Geiselnahme mit vier Toten in einem koscheren Pariser Supermarkt 2015,
       Morde in Privatwohnungen, 2017 an Sarah Halimi, 2018 an der
       Holocaust-Überlebenden Mireille Knoll.
       
       Ebenfalls aufschlussreich: Nur 6 Prozent der deutschen Bevölkerung
       insgesamt geben an, Jüd:innen „eher unsympathisch“ zu finden. Unter den
       Muslim:innen in Deutschland liegt der Wert bei 22 Prozent. Umgekehrt hat
       die deutsche Bevölkerung von Muslim:innen wiederum kein gutes Bild, wie
       eine Sympathieskala zeigt: Mit 31 Prozent, die Muslime unsympathisch
       finden, liegen diese auf dem vorletzten Platz. Noch schlechter schneidet
       nur noch die Gruppe der Sinti und Roma ab, die sowohl bei den
       Muslim:innen als auch bei der deutschen Bevölkerung insgesamt den
       traurigen letzten Platz einnimmt.
       
       11 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://ajcgermany.org/system/files/document/Repr%C3%A4sentativbefragung_Antisemitismus_in_Deutschland.pdf
   DIR [2] /Antisemitismus-bei-der-documenta-15/!5852866
   DIR [3] /Debatte-um-BDS-und-documenta-15/!5825724
   DIR [4] /Populismus-und-Islamismus/!5754686
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Hubernagel
       
       ## TAGS
       
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