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       # taz.de -- Kapitalismus und Raumfahrt: Unendliches Wachstum im All
       
       > Superreiche wie Elon Musk greifen nach den Sternen. Was wollen sie dort?
       > Und wer kontrolliert sie eigentlich?
       
       Für Multimillionär:innen hat die Redewendung „The sky is the limit“
       keine bindende Gültigkeit mehr. Sie können sich seit dem 15. September 2021
       zu viert für einen Gruppenpreis von [1][200 Millionen US-Dollar] ins All
       schießen lassen. Möglich macht dies das Raumfahrtunternehmen SpaceX, das
       dem [2][300-fachen Milliardär] und reichsten Menschen der Welt, Elon Musk,
       gehört.
       
       Mit der Aktion übernahm Musk die Führung in einem absurden Wettkampf
       einiger Superreicher darum, wer sich und andere Reiche länger und höher ins
       All zu schießen in der Lage ist. In dem Wettstreit hatte zuletzt Richard
       Branson, Besitzer des Virgin-Konglomerats, dem Amazon-Gründer Jeff Bezos
       [3][eins ausgewischt]. Im Juli 2021 ließ er sich überraschend nur neun Tage
       vor Bezos’ geplantem Weltraumflug in den Orbit katapultieren.
       
       Dass heute nicht mehr atomare Supermächte, sondern Superreiche ums All
       wetteifern, kann man wohl so deuten, dass Karl Marx recht hatte: Die
       Geschichte spielt sich tatsächlich zunächst als Tragödie und dann als Farce
       ab. Doch es wäre zu einfach, die kapitalistische Expansion ins All als
       Schwanzvergleich einiger obszön reicher Männer abzutun. Denn der Weltraum
       ist heute nicht nur ein gigantisches Geschäft, mit dem Unternehmen im Jahr
       2020 [4][450 Milliarden US-Dollar] Umsatz generierten – längst ist das All
       auch ein Feld militärischer und geheimdienstlicher Aktivitäten geworden.
       
       Das Paradebeispiel der kapitalistischen Raumfahrt ist Elon Musks
       Unternehmen SpaceX. Seit Jahren schon transportiert es regelmäßig Frachten
       zur Internationalen Raumstation ISS; 2020 brachte die Firma auch erstmals
       Astronaut:innen dorthin zur Arbeit. Für die USA war das ein großer
       Schritt. Seit der Einstellung des Space-Shuttle-Programms im Jahr 2011 war
       nur noch die russische Weltraumorganisation Roskosmos überhaupt in der Lage
       gewesen, bemannte Missionen zur ISS durchzuführen. Mit SpaceX ist wieder
       ein westlicher Anbieter vorhanden.
       
       ## Gigantisches Netzwerk
       
       Wie viel SpaceX für diese Trips berechnet, ist nicht gesichert bekannt. Im
       letzten Jahr soll das Unternehmen aber etwa [5][1,6 Milliarden US-Dollar
       Umsatz] gemacht haben. Insgesamt soll es laut dem Magazin [6][t3n] mehr als
       100 Milliarden US-Dollar wert sein. Damit sei SpaceX die zweitwertvollste
       nichtbörsennotierte Firma der Welt.
       
       Das Unternehmen betreibt auch ein gigantisches Satellitennetzwerk namens
       Starlink. Mindestens 1.800 der insgesamt 4.800 Satelliten, die laut der
       [7][Union of Concerned Scientists] derzeit insgesamt die Erde umkreisen,
       gehören dazu. Geht es nach Musk, sollen es einmal sage und schreibe 40.000
       SpaceX-Satelliten sein. Eine Zahl, die zwar absurd hoch, aber nicht völlig
       unrealistisch ist: Bereits jetzt sollen [8][befristete Genehmigungen] für
       fast 12.000 dieser Satelliten bis 2027 vorliegen.
       
       Anbieten will Musk mit Starlink eine besonders schnelle, weil
       satellitengestützte Internetverbindung, die ohne Kabelinfrastruktur
       auskommt – und deshalb global empfangbar ist. Bereits jetzt ist das System
       in 32 Ländern, darunter auch Deutschland, aktiviert. Der Preis allerdings
       ist happig: Laut SpaceX-Webseite kostet allein das nötige Empfangsgerät 829
       Euro – zuzüglich 73 Euro Versand nach Berlin und 99 Euro monatlicher
       Gebühren.
       
       Berühmt geworden ist Starlink spätestens mit dem Ukrainekrieg, weil Elon
       Musk prominent [9][auf Twitter] verkündete, dem Land die Technologie
       kostenlos zur Verfügung zu stellen. Zehntausende bejubelten den Milliardär
       dafür in in den sozialen Medien. Weniger bekannt sein dürfte, dass Musks
       Hilfe subventioniert wurde – und zwar von US-Steuerzahler:innen. Die
       [10][Washington Post] berichtete unter Verweis auf interne Dokumente der
       Entwicklungsbehörde USAID, dass die USA einen Teil der Geräte im Wert von 3
       Millionen US‑Dollar sowie 800.000 US-Dollar für den Transport gezahlt haben
       sollen.
       
       ## Die Kolonialisierung des Mars
       
       SpaceX arbeitet auch mit Armeen und Geheimdiensten zusammen, zum Beispiel,
       um [11][Spionagesatelliten] ins All zu schießen. Für die Bundeswehr ist das
       Unternehmen dafür ebenfalls [12][die erste Wahl]. Und auch in der Ukraine
       stellt Starlink nicht nur die Internetverbindung in einigen abgelegenen
       Dörfern sicher. Wie etwa die Londoner [13][Times] berichtete, steuern
       ukrainische Einheiten mit Starlink Drohnen, um Artillerietruppen zu
       koordinieren – was Russland als Aggression auffasst. Der Chef der
       russischen Weltraumbehörde, Dmitri Rogosin, drohte Musk kürzlich, er werde
       sich für seine Taten „[14][wie ein Erwachsener“] verantworten müssen.
       
       All das ist aber erst der Anfang. Musk, Bezos und Co überschlagen sich
       förmlich mit ihren Plänen für das All. Musk will [15][binnen eines
       Jahrzehnts] den Mars kolonisieren. [16][Bezos] sagte einmal, perspektivisch
       könne man die gesamte globale Schwerindustrie ins All verlegen. Der
       eigentliche Traum heißt aber „Space-Mining“. Denn das All, da ist man sich
       in der Branche einig, ist voller Gold, Platin und Seltenen Erden. Eine
       ganze Reihe abenteuerlustiger Kapitalist:innen wähnt sich deshalb
       bereits am Beginn eines neuen Goldrauschs.
       
       Technologisch verwirklichbar ist all das auf absehbare Zeit aber noch nicht
       – obwohl SpaceX mit seinen Falcon-9-Raketen, die sowohl starten als auch
       landen können, der Sache schon näher kommt. Wieso aber investieren
       Kapitalist:innen dennoch in diese Pläne? Die Unternehmen selbst
       geben auf die Frage zumeist eine verwässerte und verzerrte Version alter
       Sci-Fi-Träume zum Besten: Ansporn sei die Wiederbelebung des Glaubens, dass
       die Zukunft besser als die Vergangenheit werde, zitiert zum Beispiel die
       [17][Space-X-Seite] Musk.
       
       Der Sozialwissenschaftler Alex Demirović sieht dagegen andere Gründe: „Die
       Kontrolle über den Weltraum ist ein schwelender geostrategischer Konflikt“,
       sagte er der taz. Insbesondere die USA könnten im All „konkurrierende
       Staaten auf lange Sicht wohl nicht akzeptieren“. Sich selbst aber würden
       die Staaten wegen ihrer neoliberalen Überzeugungen keine Großprojekte mehr
       zutrauen. „Also streben sie eine Mobilisierung von privaten Kapital an, um
       langfristige Verwertungsinteressen zu fördern.“ Ziel sei auch,
       militärtechnische Entwicklungen anzustoßen.
       
       Dabei helfen, den Weltraum für die Unternehmen schmackhaft zu machen,
       dürfte wohl die langfristige Perspektive, das All in die kapitalistische
       Verwertungslogik zu integrieren. Denn ist der Sprung in den Weltraum erst
       einmal geschafft, sind dem Kapitalismus keine Grenzen mehr gesetzt. Eine
       Welt nach der anderen könnte einverleibt und in Kapital umgewandelt werden,
       in einer unendlichen Welt wäre auch unendliches Wachstum möglich. Anders
       formuliert: Die Expansion ins All entspricht dem kapitalistischen
       Klasseninteresse.
       
       ## Regeln für Staaten – und Unternehmen
       
       Doch – dürfen Musk & Co das alles überhaupt? Marcus Schladebach, Professor
       für Weltraumrecht an der Universität Potsdam, sagt: Nein. „Vieles von dem,
       was Unternehmen wie SpaceX planen, ist klar völkerrechtswidrig“, so der
       Jurist zur taz. Die Rechtsgrundlage für alles Treiben im All sei der
       Weltraumvertrag von 1967. Dieser regele bereits in Artikel 2, dass jede
       „nationale Aneignung“ des Alls verboten ist. Und was für Staaten gilt,
       gelte erst recht für Unternehmen. Für deren Treiben könnten die Staaten
       sogar vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verantwortlich
       gemacht werden.
       
       Historisch ist es bemerkenswert, wie 1967, inmitten des Kalten Kriegs, ein
       von den USA, der Sowjetunion und über 100 weiteren Staaten ratifizierter
       Vertrag entstehen konnte, der Raumfahrt nur „zum Vorteil aller Länder“
       erlaubt. „Visionär“ sei auch, das der Vertrag bereits private
       Raumfahrtunternehmen und Umweltschutzregeln benenne, so Schladebach. In den
       folgenden Jahren wurde der Vertrag punktuell ergänzt. Der Mondvertrag von
       1979 sehe sogar ein ausgefeiltes Umverteilungsregime vor, nach dem alle
       Profite, die sich aus dem Abbau von Bodenschätzen im All ergeben,
       international geteilt werden müssten. Doch zu diesem Zeitpunkt wäre der
       Zeitgeist bereits ein anderer gewesen: Keine große Raumfahrtnation
       unterschrieb den Vertrag.
       
       Insbesondere die USA und Luxemburg sind erklärte Gegner der
       gemeinwohlorientierten Raumfahrt. Beide Länder haben den kommerziellen
       Ressourcenabbau im All durch nationale Gesetze ausdrücklich erlaubt. So
       heiße es in den Grundsätzen des neuen Artemis-Mondprogramms der Nasa, der
       Abbau von Bodenschätzen sei keine Aneignung des Weltraums, sagt
       Schladebach. Das aber sei absurd: „Wenn ich eine Mine auf einen Asteroiden
       setze, ist das eine Aneignung.“
       
       Doch wie realistisch ist es, dass sich eine milliardenschwere Industrie,
       unterstützt durch die USA, vom über 50 Jahre alten Weltraumvertrag
       aufhalten lässt? Auch Schladebach zweifelt. „Ich vermute, irgendwann wird
       einer der Superreichen einfach Fakten schaffen, etwa durch die konkrete
       Ankündigung eines solchen Vorhabens“, sagt er. Und dann würde das Vorhaben
       auch rechtlich ermöglicht werden. Auch in Europa sieht Schladebach
       niemanden, der sich dagegen stellen würde. „Dazu sind die Hoffnungen auf
       Profite viel zu groß“, sagt er.
       
       Das darf bedauert werden. Denn damit, so scheint es, ist auch für die
       globale Ungleichheit der Himmel kein Limit mehr.
       
       25 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.manager-magazin.de/unternehmen/tech/spacex-inspiration-4-%20launch-wie-elon-musk-mit-jared-isaacman-im-weltall-tourismus-davonziehen-will-a-%2072af9f7e-6238-40f2-9bca-7aa4a50ed95b
   DIR [2] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/elon-musks-vermoegen-steigt-auf-mehr-als-300-milliarden-dollar-17608447.html
   DIR [3] https://www.zeit.de/news/2021-07/02/wettlauf-der-milliardaere-branson-will-vor-bezos-ins-weltall?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
   DIR [4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1055664/umfrage/umsatz-der-weltweiten-raumfahrtindustrie/
   DIR [5] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1058148/umfrage/geschaetzter-umsatz-vom-raumfahrt-unternehmen-spacex/
   DIR [6] https://t3n.de/news/centicorn-spacex-100-mrd-wert-1415249/
   DIR [7] https://www.ucsusa.org/resources/satellite-database#.Ww-j08guDBI
   DIR [8] https://www.ardalpha.de/wissen/starlink-spacex-satellit-satelliteninternet-100.html
   DIR [9] https://twitter.com/FedorovMykhailo/status/1497543633293266944
   DIR [10] https://www.washingtonpost.com/politics/2022/04/08/us-quietly-paying-millions-send-starlink-terminals-ukraine-contrary-spacexs-claims/
   DIR [11] https://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/spacex-us-spionagesatellit-von-cape-canaveral-ins-all-gestartet-a-1145588.html
   DIR [12] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bundeswehr-spacex-1.4299549
   DIR [13] https://www.thetimes.co.uk/article/specialist-drone-unit-picks-off-invading-forces-as-they-sleep-zlx3dj7bb
   DIR [14] https://www.manager-magazin.de/unternehmen/starlink-russland-droht-elon-musk-wegen-satelliten-netz-fuer-ukraine-a-0cbf95f0-4eaf-48cb-a28a-dacd03feb6fd
   DIR [15] https://www.youtube.com/watch?v=YRvf00NooN8
   DIR [16] https://www.fastcompany.com/90347364/jeff-bezos-wants-to-save-earth-by-moving-industry-to-space
   DIR [17] https://www.spacex.com/human-spaceflight/mars/index.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Timm Kühn
       
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