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       # taz.de -- Krieg in der Ukraine: Kreml-Plan für Cherson
       
       > Die von Russland eingesetzten Behörden in der südukrainischen Stadt
       > bitten Moskau um die Annexion. Bald soll dort mit Rubel bezahlt werden.
       
   IMG Bild: Soldaten in Cherson dekorieren sich mit dem russischen Militärabzeichen Sankt-Georgs-Band
       
       taz | Michailo Podoljak, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir
       Selenski, hat seinen schwarzen Humor offensichtlich immer noch nicht
       verloren. „Der einzige Appell, den die ‚Chefs‘ des Gebietes Cherson
       vorbereiten können, ist die Bitte um Begnadigung nach einem Gerichtsurteil.
       Die Besatzer können darum ersuchen, sich mit dem Mars oder dem Jupiter zu
       vereinigen. Die ukrainische Armee wird Cherson befreien, egal, welche
       Wortspiele die Besatzer erfinden“, schrieb er am Mittwoch auf Twitter.
       
       Podoljak reagierte damit auf eine Nachricht, die die beiden russischen
       staatlichen Agenturen Ria und Tass in Umlauf gebracht hatten. Demnach
       wollen die von Moskau im Gebiet Cherson eingesetzten Behörden Russlands
       Präsidenten Wladimir Putin um eine Annexion der Region bis zum Ende des
       Jahres bitten, um sie zu einem „vollwertigen Teil der Russischen
       Föderation“ zu machen.
       
       „Die Stadt Cherson ist Russland, auf dem Territorium des Chersoner Gebietes
       wird es keine Volksrepublik Cherson und auch kein Referendum geben“,
       zitieren Ria und Tass den Chef der militärischen Zivilverwaltung in
       Cherson, Kirill Stremousow. Noch bis vor Kurzem hatte es geheißen, im
       Gebiet Cherson solle nach dem Vorbild der Krim eine Volksabstimmung
       abgehalten und eine Volksrepublik geschaffen werden.
       
       Cherson ist die einzige Großstadt, die Russland bislang hat einnehmen
       können. Die Stadt im Süden der Ukraine ist für Russland zwecks Schaffung
       eines Landkorridors zur Krim und Wasserversorgung der Halbinsel von
       erheblicher Bedeutung. In den vergangenen Wochen hatte es immer wieder
       Protest der Bevölkerung gegen die russischen Besatzer gegeben.
       
       ## Der Wunsch zu verhandeln schwindet
       
       Vor Kurzem hatten die neuen Machthaber angekündigt, dass bereits von
       kommendem Sonntag an in Cherson der russische Rubel als offizielles
       Zahlungsmittel eingeführt werden soll. Demgegenüber bezweifelte der
       rechtmäßig gewählte Bürgermeister der Stadt, Ihor Kolychajew, dass dieses
       Vorhaben umgesetzt werden kann. Das einzige funktionsfähige Bankensystem
       sei dort derzeit das ukrainische, zitiert ihn der russischsprachige Dienst
       der BBC.
       
       Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hatte kürzlich gesagt, dass,
       sollte im Gebiet Cherson eine Volksrepublik errichtet und ein Referendum
       abgehalten werden, sich Kiew komplett aus dem Verhandlungsprozess
       zurückziehen werde. Auch am Mittwoch äußerte er sich zu einer möglichen
       diplomatischen Lösung. „Wir sind bereit, diese Verhandlungen fortzusetzen,
       bevor es zu spät ist. Aber mit jedem neuen Butscha, mit jedem neuen
       Mariupol, mit jeder neuen Stadt, in der Dutzende von Menschen getötet und
       vergewaltigt wurden, mit jedem neuen Fall von Gräueltaten schwindet der
       Wunsch und die Fähigkeit zu verhandeln, ebenso wie die Fähigkeit, dieses
       Problem diplomatisch zu lösen“, sagte er vor Studierenden des Instituts für
       Politikwissenschaften (Scieces Po) in Paris.
       
       Unterdessen sollen ukrainische Streitkräfte den Vormarsch russischer
       Truppen in Izjum, Charkiw sowie in Richtung Melitopol und Cherson gestoppt
       haben. Das sagte der Chef des operativen Generalstabs, Alexei Gromow, am
       Mittwoch bei einem Pressebriefing in Kiew.
       
       Derzeit tobten die schwersten Kämpfe in Richtung Liman am Schwarzen Meer.
       In der Region Charkow sei der Feind nach einem erfolglosen Angriff in die
       Defensive geraten. Erneut hätten ukrainische Streitkräfte dort mehrere
       Siedlungen befreit. In Richtung Izjum sei der Feind ebenfalls
       zurückgedrängt worden und versuche sich dort zu verschanzen. „Der Besatzer
       verlegt seine Streitkräfte in Richtung Luhansk“, sagte Gromow.
       
       Der ukrainische Sicherheitsdienst teilte am Mittwoch mit, dass sechs
       russische Soldaten zu Haftstrafen zwischen 8 und 15 Jahren verurteilt
       worden seien. Sie seien bereits während der Kämpfe im Februar und März
       gefangen genommen worden. Zudem hätten Ermittler des Geheimdiensts in
       Zusammenarbeit mit der Generalstaatsanwaltschaft im Großraum Kiew drei
       Angehörige identifiziert, die an den Gräueltaten in Butscha beteiligt
       gewesen sein sollen. Sie sollen Zivilisten verhört, gefoltert und ermordet
       sowie in großem Stil geplündert haben.
       
       11 May 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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