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       # taz.de -- Geschlechterverhältnisse im Recht: Justitias Tochter
       
       > Dana-Sophia Valentiner ist in die Rechtswissenschaft eher so
       > reingerutscht. Ihre preisgekrönte Diss übers Sexualrecht zeigt: Es ist
       > eine Art Berufung.
       
   IMG Bild: Forscht zum Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung: Die Juristin Dana-Sophia Valentiner
       
       Hamburg taz | Das Jurastudium sei für sie eigentlich eher eine
       Verlegenheitswahl gewesen, erzählt die 32-jährige Dana-Sophia Valentiner.
       „Ich hatte nach der Schule keine Ahnung, was ich machen will.“ Die
       Lübeckerin bewirbt sich für viele verschiedene Studiengänge. Dass sie sich
       für Jura in Hamburg entscheidet, betrachtet sie heute als eine Art Fügung.
       
       Eine glückliche: Inzwischen hat [1][sie für ihre Dissertation] „Das
       Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung“ den erstmals überhaupt vergebenen
       Elise-Reimarus-Preis der Akademie der Wissenschaften Hamburgs erhalten –
       benannt nach einer Hamburger Gelehrten, Dichterin und Übersetzerin des 18.
       Jahrhunderts.
       
       Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Juristinnenbundes. Und sie arbeitet
       an einem Habilitationsprojekt. Thema: [2][Verkehrswende und nachhaltige
       Mobilität]. Klick hatte es gemacht, als sie begann, als studentische
       Hilfskraft am Lehrstuhl ihrer zukünftigen Doktormutter Ulrike Lembke zu
       arbeiten, wo sie sich vor allem mit Legal Gender Studies beschäftigte.
       
       „Das war überhaupt nicht trocken. Es drehte sich viel um unseren Blick auf
       die Gesellschaft, den gesellschaftlichen Wandel“, so Valentiner. Vor allem
       aber sei die Forschungs-Community „sehr neu und noch ziemlich klein, das
       war spannend“. Schnell steht für sie fest: Sie will promovieren und selbst
       in die Wissenschaft gehen, am liebsten Professorin werden.
       
       ## Was ist sexuelle Selbstbestimmung?
       
       Sie wählt Sozialrecht als Schwerpunkt ihres Studiums. „Sobald ich ein Ziel
       vor Augen hatte, habe ich richtig Lust gehabt und die Zeit ist nur so
       verflogen.“ Im Studium sei man vom ersten Semester an nur auf das Examen
       konditioniert worden. „Das war im Schwerpunkt und am Lehrstuhl anders, es
       ging um wirklich ehrliches und tiefes Interesse.“
       
       Nach dem ersten Staatsexamen beginnt sie mit der Doktorarbeit. Fünf Jahre
       schreibt sie an der interdisziplinären Studie, in der sie auch
       philosophische und sozialwissenschaftliche Fragen beleuchtet, um zu
       analysieren, wie weit das [3][Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung]
       auch tatsächlich gewährleistet wird, welche Ansprüche an den Staat es
       begründet: Denn da bleibt im Gesetz vieles schwammig. Wann ist ein Eingriff
       ins Grundrecht gegeben, und was ist überhaupt sexuelle Selbstbestimmung?
       
       Persönlichkeitsentfaltung bedeutet in einer Gesellschaft vor allem
       Selbstbestimmung in der Interaktion mit anderen: Niemand darf zu sexuellen
       Handlungen gezwungen werden, die er nicht möchte. Die Selbstbestimmung ist
       gewahrt, wenn sexuelle Handlungen im Konsens der Beteiligten erfolgen. Ein
       konkreter Eckpunkt des Grundrechts sei aber auch der Schutz vor
       sexualisierter Gewalt, so Valentiner. Hier sei der Staat in der Pflicht,
       zum Beispiel den Nein-heißt-Nein-Grundsatz im Sexualstrafrecht zu
       verankern.
       
       „Im Fokus meiner Arbeit stand die objektiv-rechtliche Dimension des
       Grundrechts“, erklärt Valentiner. „Ich habe versucht, vor allem ein
       verfassungsrechtliches Leitbild konsensualer Sexualität zu formulieren.“ In
       ihrer Arbeit geht es um Geschlechtertheorien und um Autonomiekonzeption, um
       Sexualität im Wandel der Zeit. Hier hat sich zwischenzeitlich einiges
       getan: „Früher ging es vor allem darum, ob sexuelles Verhalten den
       herrschenden Moralvorstellungen genügte, heute geht es viel stärker um
       Autonomie und um Konsens.“
       
       Im Zuge ihrer Forschung hat die Juristin sich auch mit sexueller Bildung in
       Deutschland beschäftigt und bringt deutliche Kritik daran hervor. „Das ist
       stark ausbaufähig. Ein positives Bild insbesondere von [4][einvernehmlicher
       Sexualität] wird nicht vermittelt“, bemängelt Valentiner. Der Fokus sei
       eher bewahr-pädagogisch. „Mir kam das Bild in der Rechtsprechung so vor,
       als ginge es um unmündige Heranwachsende, die man möglichst nicht mit Sex
       konfrontieren will.“ In Deutschland stehe vor allem Gefahrenprävention im
       Vordergrund à la „werd nicht schwanger, hol dir keine Krankheiten“.
       
       Noch immer werde der Mann als drängend und fordernd dargestellt, die Frau
       hingegen als empfangend und passiv. „Das sind so Stereotype, die einfach
       aus der Zeit gefallen sind.“ Auch im staatlichen Sexualkundeunterricht sei
       noch viel Grundlagenarbeit erforderlich.
       
       Für ihre Arbeit wälzt Dana-Sophiae Valentiner Urteile des
       Bundesverfassungsgerichts seit den 1950ern. Fasziniert habe sie dabei der
       krasse gesellschaftliche Wandel, der sich in den Entscheidungen
       niederschlägt. In den 1970ern beispielsweise sei ein richtiger Fortschritt
       zu beobachten. „Da spürt man ganz klar die Nähe zur sexuellen Revolution.“
       
       Valentiner konturiert in ihrer Arbeit das Recht auf sexuelle
       Selbstbestimmung. Dafür schlägt sie insbesondere eine neue Interpretation
       des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Artikel 2 des
       Grundgesetzes vor. Eine, die Bedingungen für sexuell selbstbestimmtes
       Entscheiden und Handeln in den Fokus rückt. Der Elise-Reimarus-Preis war
       nicht die einzige Auszeichnung für Valentiners Dissertation. „Das bedeutet
       mir viel“, sagt sie, „denn die Arbeit ist in einem Fachbereich entstanden,
       der immer noch oft belächelt wird. Im Mainstream ist das noch nicht
       wirklich anerkannt.“
       
       Nach dem Referendariat am Oberlandesgericht in Celle ist sie in die
       Forschung zurückgekehrt, hat eine Junior-Professur in Gießen vertreten und
       ist inzwischen wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Margarete
       Schuler-Harms an der Hamburger Bundeswehr-Uni. Außerdem ist sie Host des
       Podcasts „Justitias Töchter“. Der beschäftigt sich mit allem rund um die
       Themen Feminismus und Recht.
       
       16 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.nomos-shop.de/nomos/titel/das-grundrecht-auf-sexuelle-selbstbestimmung-id-99235/
   DIR [2] /Benzinpreis-erreicht-Rekordhoehe/!5830449
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   DIR [4] /BDSM-als-Empowerment/!5830300
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lea Schulze
       
       ## TAGS
       
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