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       # taz.de -- Streit um Flaggenverbot am 8. Mai in Berlin: Die richtige Entscheidung
       
       > Das Verbot von russischen und ukrainischen Flaggen sollte Ausschreitungen
       > vorbeugen. Die CDU will die Diskussion darüber parteipolitisch ausnutzen.
       
   IMG Bild: Ukrainische Flaggen prägen derzeit Berlin. Bloß an 15 Orten galt beim Gedenken ein Flaggenverbot
       
       Erst der ukrainische Botschafter, dann der Außenminister: Beide
       kritisierten die Strategie Berlins, während des Gedenkens an die deutsche
       Kapitulation 1945 an 15 Orten der Stadt russische wie ukrainische Flaggen
       zu verbieten. Beide legten mehr oder minder nahe, Berlin habe es gänzlich
       verboten, die ukrainische Flagge zu zeigen und nicht etwa nur an jenen 15
       Orten. Dabei waren gerade Veranstaltungen der Botschaften nicht betroffen.
       
       Franziska Giffey, die Regierende Bürgermeisterin von der SPD, sah sich nach
       den Gedenktagen Anfang der Woche genötigt, erneut klar zu stellen, [1][dass
       Berlins Solidarität uneingeschränkt der Ukraine gelte]. Und sie verwies am
       Dienstag vor Protestierenden am Roten Rathaus auf die blau-gelben
       ukrainischen Flaggen, die dort schon seit Wochen hängen und diese
       Solidarität symbolisieren.
       
       Die Logik hinter dem Verbot ist im Grunde ganz einfach. Doch natürlich
       konnte, der wollte, die Grundidee missverstehen und in dem Flaggenverbot an
       jenen 15 Orten eine Gleichsetzung von Ukraine und Russland sehen.
       
       Dabei hatten der Senat und vor allem Giffey deutlich gemacht: Das eine ist
       das Gedenken an die Opfer der sowjetischen Armee im 2. Weltkrieg – nicht
       der russischen, sondern der sowjetischen, in der damals Russen und Ukrainer
       gemeinsam kämpften und starben. In genau diesem Zusammenhang – dem der
       deutschen Kapitulation vor 77 Jahren – sind nicht die einen besser als die
       anderen zu betrachten. Allein russische Flaggen zu verbieten, wäre dem
       nicht gerecht geworden.
       
       Das andere ist der Angriffskrieg, den das heutige Russland gegen die
       Ukraine führt. Hier gilt Berlins volle Solidarität der Ukraine – und das
       ist nicht einfach so daher gesagt. Mehr als 100.000 Flüchtlinge sind nach
       Schätzungen von Giffey bislang in Berlin untergekommen und haben die
       ukrainische Community – nach Zahlen der Regierungschefin zuvor 24.000
       Menschen groß – auf das Fünffache wachsen lassen. Berlin ist mit Cottbus
       und Hannover das Drehkreuz zur Ankunft und Verteilung der Flüchtlinge.
       Berlin daher fehlende Solidarität zu unterstellen, entbehrt jeder
       Grundlage.
       
       Flaggen beider Staaten in großen Mengen und nicht nur in jenem erlaubten
       kleinerem Maße in den Botschaftsdelegationen hätten das Gedenken am 77.
       Jahrestag gefährdet. Die Gefahr war real, dass es, angestachelt durch die
       Flaggen, an den Kriegsgräbern zu Auseinandersetzungen von pro-russischen
       und anti-russischen Gruppen gekommen wäre. Dies hätte die Erinnerung an die
       Menschen entwürdigt, die bis 1945 starben, um die Nazi-Herrschaft zu
       beenden.
       
       Wer hätte denn Bilder wie aus Polen sehen wollen, wo es auf Soldatengräbern
       zu Tumulte kam? Vor allem in dem Moment, in dem die Welt auf Berlin schaut,
       [2][wo vor 77 Jahren in Karlshorst] die entscheidende Unterschrift fürs
       Kriegsende in Europa aufs Papier kam.
       
       Genau das hat Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Dienstag vor
       Journalisten in Richtung des nicht im Raum anwesenden
       [3][CDU-Generalsekretärs Stefan Evers] gefragt. Dem war am 8. Mai genauso
       wie CDU-Landeschef Kai Wegner nach eigener Darstellung untersagt worden,
       mit einer ukrainische Flagge am Gedenken am sowjetischen Ehrenmal an der
       Straße des 17. Juni teilzunehmen. Er hatte daraufhin eine Klage am
       Verwaltungsgericht angekündigt. Hätte Evers solche Bilder wie aus Polen in
       Berlin in Kauf genommen, wollte Spranger in der Pressekonferenz sinngemäß
       wissen. Wohl kaum.
       
       ## Ein verstörendes Vorgehen
       
       Und dennoch sprach der CDU-Generalsekretär auch nach Giffeys klaren Worten
       zur Solidarität mit der Ukraine am Dienstag noch von einem „unsäglichen
       Flaggenverbot des Senats“: Es bleibe unerträglich, „Täter und Opfer des
       russischen Angriffskriegs gleichzusetzen“, hieß es in einer
       Pressemitteilung der CDU gleich im Anschluss. Das verstörte.
       
       Denn Evers ist ein schlauer Mann, der sehr wohl zwischen dem Mai 1945 und
       dem Frühjahr 2022 unterscheiden kann. Trotzdem Giffey und ihren Senat bei
       diesem Thema weiter zu attackieren – auch Worte können Waffen sein – kommt
       einem Missbrauch des Gedenkens sehr nahe.
       
       Unverändert spricht die CDU allgemein von einem Flaggenverbot, mit dem sich
       nun Gerichte beschäftigen würden. Dass es sich um gerade mal 15 Plätze in
       einer fast 900 Quadratkilometer großen Stadt handelt, lässt sie außen vor.
       Es ist traurig, wenn die größte Oppositionspartei im Land meint, dieses
       Thema parteipolitisch ausnutzen zu müssen.
       
       14 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.dw.com/de/franziska-giffey-unsere-solidarit%C3%A4t-mit-der-ukraine-gilt-uneingeschr%C3%A4nkt/av-61748453
   DIR [2] https://www.museum-karlshorst.de/das-museum-dauerausstellung-sonderausstellung/der-historische-ort/der-historische-ort
   DIR [3] https://twitter.com/BerlinGestalter/status/1524013327961276418?cxt=HHwWhIC-4YKDsaYqAAAA
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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