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       # taz.de -- Bandscheibenvorfall beim G20-Gipfel: Vier Tage sind kein Unfall
       
       > Ein Polizist musste 70 Stunden lang schwere Ausrüstung tragen. Das
       > Verwaltungsgericht Karlsruhe lehnte seine Klage gegen den Dienstherrn
       > aber ab.
       
   IMG Bild: Erschöpfte Polizist:innen am Rande einer Demonstration während dem G20 Gipfel in Hamburg 2017
       
       Karlsruhe taz | Ein Bandscheibenvorfall, den ein baden-württembergischer
       Polizist 2017 [1][beim G20-Gipfel in Hamburg] erlitten hat, gilt nicht als
       Dienstunfall. Das entschied jetzt das Verwaltungsgericht Karlsruhe. Der
       Polizist aus Bruchsal wurde im Juli 2017 mit seiner Beweissicherungs- und
       Festnahme-Einheit zum G 20-Gipfel nach Hamburg geschickt. Dort sorgten
       linksradikale Gipfelgegner:innen unter dem Motto „welcome to hell“ für
       teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände.
       
       Am dritten von vier Tagen spürte der Polizist einen Schmerz im Rücken. Er
       konnte den Einsatz zwar noch zu Ende bringen, doch nach der Rückkehr
       stellte ein Arzt einen Bandscheibenvorfall fest. Der Polizist war
       monatelang arbeitsunfähig. Seit fünf Jahren kämpft der heute 37-Jährige nun
       um die Anerkennung der Rückenprobleme als Dienstunfall. Das Problem des
       Polizisten: Er kann kein konkretes Ereignis benennen, dass den
       Bandscheibenvorfall ausgelöst hat. Er geht vielmehr davon aus, dass es der
       gesamte Einsatz war, der seinen Rücken so überlastete.
       
       Vier Tage lang habe seine Einheit schwere Körperschutz-Ausrüstung (KSA)
       getragen. „Das ist eine Art Ritterrüstung aus Metall“, sagte der Mann vor
       dem Verwaltungsgericht, „eine KSA wog damals über 20 Kilogramm“. Nach
       seinen Angaben wurde die schwere KSA inzwischen durch eine leichtere KSA
       aus Kunststoff ersetzt. „Einen solchen Einsatz hatte ich noch nie erlebt“,
       sagte der Polizist. Eine längere Ruhepause habe es nur am Anfang des
       Gipfels gegeben.
       
       „Danach war die Einheit rund um die Uhr 70 Stunden am Stück im Einsatz“, so
       der Polizist. Auch in kürzeren Pausen habe man die Schutzausrüstung nicht
       abgelegt, weil man sich nie sicher fühlte. „Ich habe zig Steine und zig
       Flaschen abbekommen“. Seine Anwältin Irmgard Amberg betonte vor Gericht,
       wie wichtig es sei,dass Bandscheiben sich immer wieder regenerieren können,
       „deshalb darf die KSA maximal sechs Stunden getragen werden.“
       
       ## Es war ein harter Einsatz
       
       Das übliche Arbeiten in Schichten sei aber nicht möglich gewesen, weil die
       Polizeiführung vom Ausmaß der Gewalt überrascht gewesen sei und deshalb zu
       wenig Polizisten vor Ort waren. Der Dienstherr des Polizisten, das Land
       Baden-Württemberg, erkennt den Bandscheiben-Vorfall nicht als Dienstunfall
       an. „Ich will nicht in Abrede stellen, dass es ein harter Einsatz war“,
       sagte die Juristin des Landes vor Gericht. Allerdings sei es auch gut
       möglich, dass der Bandscheibenvorfall die Folge von allgemeinem
       „Verschleiß“ war und der Vorfall nur zufällig beim G 20-Gipfel auftrat.
       
       Der Polizist droht durch die Maschen des Gesetzes zu fallen. Ein
       Dienstunfall ist als „plötzliches“ Ereignis definiert. „Ein viertägiger
       Einsatz ist aber kein plötzliches Ereignis“, sagte der Vorsitzende Richter
       Stephan Neidhardt in der Verhandlung. Auch eine Berufskrankheit liege wohl
       nicht vor. Davon spreche man zum Beispiel, wenn jemand zehn Jahre lang
       schwere Lasten heben muss, aber nicht bei einem viertägigen Einsatz.
       
       Anwältin Amberg forderte eine Beweislastumkehr. „In einer derartigen
       Konstellation muss der Dienstherr beweisen, dass kein Arbeitsunfall
       vorliegt.“ Sie warf der Polizei vor, dass sie ihre Fürsorgepflicht für die
       Beamten maximal verletzt habe. Zu einer derartigen Rechtsfortbildung war
       das Verwaltungsgericht Karlsruhe nun aber nicht bereit. Der Antrag des
       Polizisten wurde deshalb abgelehnt. Die Begründung des Urteils wird in
       einigen Wochen vorliegen.
       
       Der Polizist weiß noch nicht, ob er Rechtsmittel einlegt. Derzeit ist er
       beschwerdefrei. Er verrichtet inzwischen normalen Streifendienst und muss
       keine KSA mehr tragen. Auch seine Reha und die Physiotherapie hatte das
       Land bezahlt. Die Anerkennung als Dienstunfall brächte ihm unmittelbar also
       keinen Vorteil. Ihm geht es aber um die Zukunft. Wenn er eines Tages wegen
       seines Rückens gar nicht mehr arbeiten kann, könnte er sich auf den
       Dienstunfall berufen und eine Rente beantragen.
       
       14 May 2022
       
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