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       # taz.de -- Protest gegen US-Präsenz in Okinawa: Eine postkoloniale Kolonie
       
       > Die Rückgabe Okinawas an Japan vor 50 Jahren blieb bloße Symbolik.
       > Inzwischen vergrößern die Spannungen um Taiwan die geostrategische Rolle
       > der Insel.
       
   IMG Bild: Kadena Air Base 1997: Seit Jahrzehnten protestieren Okinawas Bewohner:innen gegen das US-Militär
       
       Tokio taz | Nur wenige hundert Meter vom [1][umstrittenen US-Stützpunkt
       Futenma] entfernt haben Premierminister Fumio Kishida und Gouverneur Denny
       Tamaki am Sonntag des 50. Jahrestages der Rückkehr von Okinawa unter
       japanische Verwaltung gedacht. Ihre direkte Nähe zu Wohngebieten hat die
       Luftwaffenbasis zum Negativsymbol für die Belastung von Okinawa durch das
       US-Militär gemacht. Über die Hälfte der 54.000 US-Soldaten in Japan ist
       dort stationiert, obwohl die Insel nur vier Mal größer als München ist.
       
       Daher verlangt die Inselregierung seit Jahren die Verlegung von Futenma in
       eine andere Region Japans. Doch Tokio und Washington haben den Umzug
       innerhalb von Okinawa vereinbart und vergrößern dafür eine andere Basis.
       
       Gouverneur Tamaki sprach die Unzufriedenheit direkt an: „Selbst nach 50
       Jahren werden die Menschen von Okinawa weiter gezwungen, die exzessive Last
       der Truppenstationierung zu tragen.“
       
       In der Provinzhauptstadt Naha demonstrierten 1.000 Bürger für eine
       Verringerung der US-Präsenz. Diese Forderung unterstützen einer Umfrage
       zufolge fast zwei Drittel der Insulaner. Doch Regierungschef Kishida
       bekräftigte, die Last nur so weit zu erleichtern, dass die Abschreckung
       durch die Sicherheitsallianz mit den USA erhalten bleibe.
       
       ## Eine Demilitarisierung wurde schon vor 50 Jahren erhofft
       
       Am 15. Mai 1972 hatten die USA die „administrative Kontrolle“ über Okinawa
       an Japan übertragen. Schon damals hofften die Bewohner auf eine
       Demilitarisierung. Der damalige Premier Eisaku Sato weigerte sich zunächst,
       die strategische und militärische Bedeutung von Okinawa zu bekräftigen.
       
       Darauf warnten ihn die USA vor einem „möglichen Hindernis für die künftige
       Kooperation“. Zähneknirschend lenkte Sato ein und verkündete, Okinawas
       Rolle sei „für die Stabilität des Friedens im Fernen Osten äußerst
       wichtig“.
       
       Damit war das Schicksal der Insel als Bastion des US-Militärs besiegelt.
       Okinawas Flächenanteil an den US-Basen in Japan stieg seitdem von 59
       Prozent auf über 70 Prozent.
       
       De facto nutzen die USA die Insel als stationären Flugzeugträger. Allein
       Kadena als größte US-Luftwaffenbasis in Asien verzeichnet jährlich 70.000
       Starts und Landungen.
       
       ## US-Militär in Okinawa: Lärm, Unfälle und Verbrechen
       
       Außer durch den Fluglärm löst das US-Militär durch Verkehrsunfälle,
       Schlägereien und Verbrechen immer wieder Proteste der Einheimischen aus.
       Die Vergewaltigung eines 11-jährigen Mädchens durch drei US-Marinesoldaten
       1995 hat sich in das kollektive Gedächtnis eingegraben.
       
       „Das tragische Schicksal von Okinawa und seiner Bewohner besteht darin,
       eine Kolonie in einer postkolonialen Zeit zu sein“, schrieb der US-Gelehrte
       Richard Falk.
       
       Eine spezielle Historie kompliziert die Gefühle. Okinawa gehört erst seit
       1879 zu Japan. Im Zweiten Weltkrieg fanden dort die einzigen Schlachten
       zwischen Kaisertruppen und den USA auf japanischem Boden statt. Der „Taifun
       aus Stahl“ der USA vernichtete fast alle Städte, 94.000 Insulaner starben.
       
       Danach errichtete das US-Militär dort mit „Bajonett und Bulldozer“, wie die
       Bewohner sagten, auf den besten Flächen seine heute 88 Basen. Während Japan
       1952 souverän wurde, blieb Okinawa unter US-Herrschaft.
       
       ## Japan hat kein Zugangsrecht zu den US-Basen
       
       Trotz Rückgabe der Insel vor 50 Jahren gehören die Stützpunkte weiter den
       USA. Angeblich hat Washington seine Atomwaffen nach 1972 aus Okinawa
       abgezogen. Aber das lässt sich nicht überprüfen – Japan hat kein
       Zugangsrecht zu den Basen, japanische Gesetze gelten dort nicht.
       
       Ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die militärische Bedeutung von
       Okinawa ist zuletzt gewachsen. In der neuen Indopazifik-Strategie der USA,
       die Chinas Großmachtstreben eindämmen soll, spielt die Insel eine wichtige
       Rolle. Gegen die Atom- und Raketenrüstung von Nordkorea und einen Angriff
       von China auf Taiwan dient die Insel als US-Vorposten in Asien. Taiwan
       liegt nur 600 Kilometer westlich von Okinawa.
       
       „Die US-Basen wirken abschreckend auf China, nicht nur hinsichtlich Japan
       und Taiwan, sondern für den ganzen Pazifik“, betont der taiwanische
       Sicherheitsexperte Kuo Yujen.
       
       Die große Hoffnung der Bürger Okinawas auf weniger Militär wird sich also
       nicht erfüllen. Die Enttäuschung spürte schon Premier Sato, als er vor 50
       Jahren seinem Sekretär gestand: „Ich weiß nicht, ob die Umstände der
       Rückgabe von Okinawa für Japan gut oder schlecht waren.“
       
       15 May 2022
       
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