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       # taz.de -- Treffen der Nato-Außenminister: Türkei stellt Forderungen
       
       > Finnland und Schweden wollen der Nato beitreten. Die Türkei will nur
       > zustimmen, wenn westliche Partner bei ihrer kurdenfeindlichen Linie
       > mitziehen.
       
   IMG Bild: Bedenken aller Mitgliedsstaaten ausräumen, geht das? Nato-Außenministertreffen am 15. Mai 2022
       
       Berlin, Stockholm taz | Der türkische Außenminister platzt dazwischen. Am
       Samstagmorgen betritt Mevlüt Çavuşoğlu den Lichthof des Auswärtigen Amts in
       Berlin. Sein luxemburgischer Kollege Jean Asselborn ist schon da, er war
       kurz vor ihm durch die Tür gekommen und stellt sich gerade für ein
       Statement vor die wartenden Kameraleute. Bevor er loslegen kann, schreitet
       aber auch Çavuşoğlu ins Bild, strahlt, reicht dem Kollegen die Hand. Ein
       demonstrativer Auftritt: Hallo Jean, wie schön, dich zu sehen!
       
       Gute Mine zum bösen Spiel? Als Çavuşoğlu abzieht und Asselborn endlich
       loslegen kann, wird die Stimmung schnell wieder nüchterner. „Die Türkei ist
       manchmal schwierig“, sagt der Luxemburger jetzt.
       
       Anderthalb Tage lang haben sich die Außenminister:innen der Nato am
       Wochenende in Berlin getroffen. Erstmals haben sie ein informelles Meeting
       abgehalten, so wie es sich das Militärbündnis im Zuge eines Reformprozesses
       vorgenommen hat: Herkömmliche Nato-Konferenzen sind sehr formal
       durchgeplant, die Teilnehmer:innen tragen im Grunde nur ihre
       vorbereiteten Sprechzettel vor. Im neuen Format stehen dagegen das
       Netzwerken und der direkte Austausch im Mittelpunkt. Die erste Auflage kam
       genau zum richtigen Zeitpunkt: Zu besprechen gibt es aktuell viel – ganz
       akut vor allem zum geplanten Beitritt Schwedens und Finnlands und den
       Problemen, die die Türkei dabei macht.
       
       Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine streben [1][die beiden
       skandinavischen Staaten einen Nato-Eintritt an]. Parallel zum Berliner
       Treffen hat die finnische Regierung am Sonntagmittag wie erwartet
       beschlossen, sich um die Mitgliedschaft zu bewerben. Schweden folgt
       voraussichtlich am Montag. Der Großteil der Militärallianz hat nichts
       dagegen. Die Nato werde die beiden Staaten „mit offenen Armen empfangen“,
       sagte Gastgeberin und Außenministerin Annalena Baerbock am
       Sonntagnachmittag nach Abschluss des Berliner Treffens.
       
       ## Politischer Zickzackkurs der Türkei
       
       Im Schnelldurchlauf sollen die Mitgliedstaaten, die alle einzeln zustimmen
       müssen, die Neuaufnahmen spätestens bis zum Herbst ratifizieren. Baerbock
       kündigt an, dass der Bundestag dafür gegebenenfalls zu einer Sondersitzung
       zusammengerufen werde. Deutschland will „eines der ersten Länder“ sein, das
       grünes Licht gibt. Die Eile hat einen Grund: Mit der Ankündigung des
       Beitritts geraten Finnland und Schweden in den russischen Fokus, die
       Nato-Beistandsklausel gilt aber erst, wenn die Aufnahme durch ist.
       
       Die Türkei aber könnte sich eben querstellen. „Wir haben keine positive
       Meinung dazu“, sagte Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Freitag.
       Skandinavische Länder seien geradezu „Gasthäuser für Terrororganisationen“
       wie die [2][kurdische PKK]. In Berlin bekräftigt sein Außenminister
       Çavuşoğlu am Wochenende einerseits diese Haltung, sendet andererseits aber
       versöhnlichere Signale, auch über den Handschlag mit Asselborn hinaus: Die
       Türkei sei immer für eine „Politik der offenen Tür“, sagt er.
       
       [3][Was steckt hinter dem türkischen Zickzack]? Die Vorwürfe gegen die
       Skandinavier haben eine Vorgeschichte. Im Dezember letzten Jahres
       veröffentlichte die regierungstreue türkische Tageszeitung Sabah einen
       längeren Artikel, in dem sie Schwedens Außenministerin Ann Linde vorwarf,
       sie habe sich mit Vertreter:innen der syrisch-kurdischen Miliz YPG
       getroffen, die von der Türkei bekämpft wird. Stockholm habe also „mit
       Terroristenführern über die weitere Zusammenarbeit Schwedens mit
       Terroristengruppen beraten“.
       
       Linde hatte diese Behauptungen als fehlerhaft zurückgewiesen. Sie habe sich
       nicht mit Repräsentanten der YPG getroffen oder mit diesen verhandelt,
       sondern lediglich mit zivilen kurdischen Organisationen. Negative
       Reaktionen gab es in der Türkei auch, als Schweden im vergangenen Jahr neue
       finanzielle Hilfszusagen für die syrischen Kurdengebiete machte. Dabei
       wurde eine Summe von 376 Millionen Dollar genannt, aber unterschlagen, dass
       sich diese auf einen Zeitraum von acht Jahren verteilt.
       
       ## Ein gutes Druckmittel für Erdoğan
       
       Kenneth Forslund, sozialdemokratischer Vorsitzender des Außenpolitischen
       Ausschusses des schwedischen Reichstags, wundert sich nicht über das
       türkische Agieren: „Wir wissen, dass Erdoğan unberechenbar ist. Aber wir
       führen ja von schwedischer Seite aus schon eine längere Diskussion mit der
       Türkei und das wird vonseiten Finnlands wohl auch der Fall sein. Wir hatten
       nicht den Eindruck, dass es für den Ratifizierungsprozess am Ende ein
       Problem geben könnte.“
       
       Schwedische Medienkommentare haben unterschiedliche Vermutungen über die
       Motive Erdoğans und seinen Vorstoß. Möglicherweise hoffe er auf
       Gegenleistungen, wie die Genehmigung der von den USA stornierten Lieferung
       von Kampfjets, meint Toni Alaranta, Türkeiexperte vom Finnischen
       Außenpolitischen Institut FIIA. Paul Levin vom Institut für Türkeistudien
       an der Universität Stockholm vermutet dagegen eher, Erdoğan hoffe auf die
       Einstellung der von ihm schon lange kritisierten Zusammenarbeit der USA mit
       der YPG.
       
       Worum auch immer es der türkischen Regierung geht: Es ist nicht
       ausgeschlossen, dass ihr die Nato-Partner entgegenkommen.
       Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt nach Abschluss des Berliner
       Treffens: Wann immer ein Mitgliedsstaat Bedenken ausdrücke, setze man sich
       zusammen, um sie auszuräumen – und für gewöhnlich klappe das dann auch.
       Details nennen aber weder er noch Annalena Baerbock: Damit das neue,
       informelle Nato-Format funktioniere, müsse Vertrauliches vertraulich
       bleiben, sagt die Außenministerin.
       
       Ein Druckmittel gegenüber den westlichen Partnern, das wird aber klar, hat
       sich die türkische Regierung mit der Vetoandrohung einmal mehr gesichert.
       Öffentliche Kritik an den [4][türkischen Angriffen auf kurdische Gebiete im
       Nordirak] zum Beispiel musste sich Ankara schon in den letzten Wochen kaum
       anhören. Die Bundesregierung ließ nur verlauten, die türkische Haltung „zur
       Kenntnis genommen“ zu haben. An dieser Nachsicht gegenüber dem schwierigen
       Partner wird sich jetzt wohl erst recht nichts ändern.
       
       In Skandinavien wiederum gibt die Diskussion der letzten Tage denen neues
       Futter, die den Nato-Beitritt ohnehin kritisch sehen: In Berlin war am
       Wochenende zwar häufig die Rede von den gemeinsamen Werten des
       Militärbündnisses. Dass aber die Nato ein Mitglied wie die Türkei hat, die
       ja nicht mehr als Demokratie gelten könne, ist eines der zentralen
       Argumente, weshalb beispielsweise die schwedische Linkspartei weiterhin
       gegen die Mitgliedschaft ist.
       
       15 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /-Nachrichten-im-Ukrainekrieg-/!5854578
   DIR [2] /Verbotene-Kurdische-Arbeiterpartei/!5850309
   DIR [3] /Tuerkei-gegen-Nato-Beitritte/!5852418
   DIR [4] /Kaempfe-im-Nordirak/!5849091
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
   DIR Reinhard Wolff
       
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