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       # taz.de -- Filmfestspiele Cannes 2022 „Top Gun“: Showdown über den Wolken
       
       > Die Neuauflage „Top Gun: Maverick“ ist ziemlich nostalgisch. Doch zynisch
       > gesehen auch der perfekte Film für einen neuen Kalten Krieg.
       
   IMG Bild: Scientologe im Anflug: Tom Cruise in „Top Gun: Maverick“
       
       „Ich mag diesen Gesichtsausdruck nicht“, sagt ein Kollege in „Top Gun:
       Maverick“ gleich zweimal zu der von Tom Cruise gespielten Hauptfigur. „Ich
       habe nur den einen“, antwortet Maverick, vielleicht aber auch Tom Cruise
       selbst.
       
       Wie fast 60, sein rechnerisches Alter, sieht der Superstar zwar nicht aus,
       [1][40 Jahre im Filmgeschäft] und manches Lifting haben jedoch unverkennbar
       Spuren hinterlassen. Wenn Tom Cruise nun nach über 35 Jahren doch noch
       einmal zu der Rolle zurückkehrt, die ihn berühmt gemacht hat, dann ist das
       angesichts des Zustands des aktuellen Hollywoodkinos nur konsequent, eine
       gewisse Tragik schwingt jedoch auch mit.
       
       Schon seit zwei Jahren ist „Top Gun: Maverick“ fertig, Covid verhinderte
       den Start. Dass sich Cruise, der auch als Co-Produzent fungierte, dem
       Vernehmen nach weigerte, den Film auf einem Streamingportal zu
       veröffentlichen, macht ihn erst recht zum Helden des Kinos, als der er bei
       der Europapremiere in Cannes gefeiert wurde.
       
       Am Ende des Defilees auf dem roten Teppich, als Cruise schon gefühlte 30
       Minuten im Blitzlichtgewitter stand, jagten fünf Kampfflugzeuge über die
       Croisette und versprühten roten, weißen und blauen Rauch. Praktischerweise
       nicht nur die Farben der amerikanischen Flagge, sondern auch die der
       französischen, man hätte also allzu emphatisches Bejubeln Amerikas
       abstreiten können.
       
       Wie so ein enorme Massen an Kerosin [2][vernichtendes Spektakel] allerdings
       mit dem Motto des Festivals zusammenpasst, den Emissionsfußabdruck zu
       reduzieren, sich Richtung grünes Festival zu entwickeln, bleibt offen.
       Ebenso wie ein noch frappierenderer Widerspruch: Einen Tag vorher war bei
       der feierlichen Eröffnung auch der ukrainische Präsident Selenski
       zugeschaltet, wodurch die Filmblase Cannes auf frappierende Weise mit dem
       seit drei Monaten tobenden Krieg in der Ukraine konfrontiert wurde, bei dem
       ein Friedensschluss in weiter Ferne scheint.
       
       ## Nackte Männeroberkörper
       
       „Ruhm für die Ukraine“, waren Selenskis letzte Worte an das Publikum, und
       bei genauerem Nachdenken ist es dann vielleicht doch kein Widerspruch, mit
       welcher Emphase das Festival 24 Stunden später „Top Gun: Maverick“ feierte,
       die Fortsetzung eines der emblematischsten Beispiele für das reaktionäre
       Hollywoodkino unter Ronald Reagan.
       
       Wie sonst nur die mit kurzem Abstand ins Kino gekommenen
       Sylvester-Stallone-Vehikel „Rocky IV“ und „Rambo 2: Der Auftrag“
       verkörperte „Top Gun“ das seit dem Machtantritt des ehemaligen
       Schauspielers Anfang 1981 wiedererstarkte Selbstvertrauen Amerikas, das mit
       erfolgreichen Invasionen etwa in Granada oder Nicaragua endlich – zumindest
       in den Augen Reagans – die Schmach von Vietnam vergessen gemacht hatte.
       
       Dass „Top Gun“ die Zahl der Bewerber bei der amerikanischen Navy in die
       Höhe steigen ließ, ist bekannt, in Erinnerung sind vom Film selbst vor
       allem die ikonischen Bilder von Flugzeugträgern und schweißgebadeten
       nackten Männeroberkörpern, die Musik von „Danger Zone“ bis „Take My Breath
       Away“ und natürlich das Breitwandlächeln von Tom Cruise.
       
       ## Unberechenbar wie damals
       
       Und wie sich das für 80er-Jahre-Nostalgie-Projekte von „Ghostbusters:
       Legacy“ bis „Karate Kid“ gehört, bietet auch „Top Gun: Maverick“ viel
       Nostalgie und wenig Neues. Bis ins Detail kopieren Autor und Regisseur John
       Kasinski und seine zwei Co-Autoren das Original, vom „Great Balls of
       Fire“-Gesang über Sport mit nacktem Oberkörper (diesmal American Football
       und nicht Volleyball) und Motorradfahrten (diesmal ergänzt durch einen
       rasanten Segeltörn) bis hin zum finalen Showdown mit namenlosem Gegner.
       
       Cruises Maverick ist zwar nun der alte, erfahrene Hase, aber immer noch so
       unberechenbar wie damals. Einst trieb er seine Ausbilder im
       Elitetrainingsprogramm der Kampfpiloten in den Wahnsinn, nun ist er selbst
       Ausbilder, der eine Gruppe junger Rekruten auf eine halsbrecherische
       Mission vorbereiten soll. Wichtigster Neuzugang: Rooster (Miles Teller),
       der Sohn von Goose, dem im Original ums Leben gekommenen besten Freund und
       Copiloten von Maverick.
       
       Dass die anfangs herrschenden Animositäten spätestens dann bereinigt sind,
       wenn es gegen den gemeinsamen Feind geht, muss nicht erwähnt werden.
       Ohnehin läuft „Top Gun: Maverick“ so überraschungsfrei ab, wie Cruises
       Gesichtsausdruck im immer gleichen Zustand verharrt. Ein Auftritt von Val
       Kilmer als Mavericks großer Rivale Iceman wird dabei ebenso routiniert
       abgehakt wie alle anderen Zitate und Anspielungen.
       
       ## Klinischer Militärschlag
       
       Der Zufall der Weltgeschichte will es nun, dass „Top Gun: Maverick“ am
       Beginn einer Ära in die Kinos kommt, die rückblickend vielleicht als neuer
       oder zweiter Kalter Krieg beschrieben werden wird. Anders als im Original
       wird hier zwar nicht explizit gesagt, dass der Gegner die Russen sind, aber
       die schneebedeckte Geografie des Feindgebiets und ein typisch russischer
       Kampfhubschrauber, dem Maverick nur knapp entkommt, lassen wenig Zweifel,
       wo hier gekämpft wird.
       
       So durch und durch nostalgisch „Top Gun: Maverick“ einerseits auch ist,
       ist er andererseits geradezu der perfekte Film des Moments: Seit Mitte der
       80er Jahre waren die Feindbilder nicht mehr so klar verteilt wie gerade,
       wirkte die moralische Überlegenheit des Westens so eindeutig wie in diesem
       Frühjahr 2022. Dumm nur, dass sich Probleme in der realen Welt nicht mit
       einem klinischen Militärschlag lösen lassen wie im Kino.
       
       30 May 2022
       
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