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       # taz.de -- Glaubensgemeinde in Senegal: Die Macht der Bruderschaften
       
       > Sufi-Bruderschaften haben großen Einfluss auf die Gesellschaft im
       > Senegal. Ein Grund, warum das Land bisher vom islamistischen Terror
       > verschont blieb.
       
   IMG Bild: Die Große Moschee von Touba ist das Zentrum der Muriden-Bruderschaft und ein wichtiger Pilgerort
       
       Dakar, Touba, Djourbel taz | Mustafa Mbacke kennt jeden Winkel der Großen
       Moschee von Djourbel. Es ist ein großer Bau in einem hellen Beige,
       unterbrochen von dunkelroten Zierleisten. Der gepflasterte Vorplatz in
       denselben Farben ist sauber gefegt. Auf dem sandigen Gelände drumherum
       liegt keine Plastiktüte, kein Müll. Stattdessen sind Bäume gepflanzt, die
       Wartenden Schatten spenden.
       
       Aus Respekt zieht Mbacke seine Sandalen aus und läuft barfuß über den
       heißen, dunkelgelben Sand. „Hier gibt es viel zu entdecken“, sagt er. Es
       ist die Moschee von Cheikh Ahmadou Bamba, dessen letztes Wohnhaus gegenüber
       dem Hauptportal liegt. Bamba – ein Vorfahre von Mustafa Mbacke, der
       eigentlich gerade in Deutschland studiert – ist Begründer der wohl
       einflussreichsten Sufi-Bruderschaft im Senegal, der Muriden.
       
       Sufi-Bruderschaften gibt es in vielen Ländern. Sie sind Zusammenschlüsse
       von Muslim*innen, die einem Gründer folgen, dem sie sich oft über
       Generationen eng verbunden fühlen. Einige haben weltweit engmaschige
       Netzwerke mit Schulen, Wirtschaftskontakten und Verbindungsbüros – bei den
       Muriden heißen diese Dahira – aufgebaut und verfügen über gute Kontakte in
       die Politik.
       
       Andere Bruderschaften sind eher lose Verbindungen. Nirgends prägen sie den
       religiösen Alltag so sehr wie im Senegal, wo sich etwa 95 Prozent der knapp
       18 Millionen Einwohner*innen zum Islam bekennen. Neben den Muriden
       verzeichnen die Tidjanes und die Khadiriya die größten Anhängerzahlen. An
       der Spitze der Muriden steht seit 2018 Serigne Mountakha Bassirou Mbacke,
       ein Nachfahr Bambas.
       
       ## Während der Kolonialzeit wurde Bamba ins Exil verbannt
       
       [1][Aus Bambas Familie] zu stammen reklamiert auch Mustafa Mbacke für sich.
       Er geht um die Moschee von Djournbel herum und erzählt von Bamba als seinem
       Großvater. Schon Bambas Vater war Marabout. So heißen in Westafrika
       traditionelle Islamgelehrte, die mitunter wie Heilige verehrt werden.
       
       Eine solche Verehrung erhält auch Bamba, von dem genau ein einziges
       unscharfes Bild in Schwarz-Weiß existiert, das überall in Senegal zu sehen
       ist. Es zeigt einen hageren, schlichten Mann im weißen Gewand und mit halb
       verdecktem Gesicht, der keinesfalls so aussieht, als würde er einmal an der
       Spitze einer einflussreichen, sich immer stärker ausbreitenden Bewegung
       stehen.
       
       Dass er trotzdem schnell zahlreiche Unterstützer*innen fand, merkte
       die französische Kolonialverwaltung und verbannte ihn ins Exil nach Gabun.
       Erst 1912 durfte er zurückkehren und stand schließlich in Djourbel bis zu
       seinem Tod 1927 unter Hausarrest.
       
       Blutige Aufstände blieben allerdings aus. Das hat Bamba populär gemacht.
       „Er hat mit anderen Mitteln gekämpft, mit friedlichen. Wer anderswo mit
       Gewalt gegen den Kolonialismus gekämpft hat, ist am Ende selbst gestorben.“
       Mbacke ist mittlerweile am Hauptportal angekommen und zeigt auf Bambas
       letztes Wohnhaus gegenüber. Als er hier unter Hausarrest stand, musste er
       täglich zu Fuß zur Präfektur gehen und sich dort melden. Mbacke wertet das
       ebenfalls als einen Akt der Demut und Friedfertigkeit.
       
       ## Bisher keine islamistischen Anschläge im Senegal
       
       Anders als viele andere westafrikanische Länder mit mehrheitlich
       muslimischer Bevölkerung hat Senegal bisher keine islamistischen
       Terroranschläge verzeichnet. Dabei breiten sich [2][islamistische
       Bewegungen] wie der „Islamische Staat in der Größeren Sahara“ (EIGS), die
       „Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime“ (JNIM) und Ansarul
       Islam aus Mali und Burkina Faso in Richtung der Nachbarländer aus.
       
       Jahrelang hielten Terrorexperten es für ausgemacht, dass Senegal bald das
       nächste Terrorziel werden würde. Der Staat in Dakar ist seit Jahren in
       Alarmbereitschaft. Es gibt regelmäßig Konferenzen und Kooperationen zur
       Terrorbekämpfung. Nach der Verhaftung von vier mutmaßlichen Terroristen im
       vergangenen Jahr sagte Präsident Macky Sall: „Wir befürchten eine
       Ausbreitung.“ Ziel der Terroristen sei es, die Atlantikküste zu erreichen.
       
       Längst gibt es in Senegal wahhabitische Strömungen, die sehr konservativ
       sind. Dazu gehören die Anhänger*innen von Ibadou Rahmane. „Es ist ein
       Islam ohne Hierarchie, in dem jeder Gläubige nur gegenüber Gott
       verantwortlich ist. Er ist aber auch sehr strikt, beispielsweise mit
       Befolgung der Scharia“, sagt Ute Gierczynski-Bocandé, wissenschaftliche
       Mitarbeiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Dakar.
       
       Bisher würden sich die Wahhabiten alle im Rahmen des Rechtsstaates bewegen.
       „Man weiß aber nicht, was passieren würde, wenn sie auch politisch aktiv
       werden würden.“
       
       ## Wird sich Senegals Jugend gegen die Konservativen auflehnen?
       
       Doch auch die traditionellen Bruderschaften lassen sich als Gegenentwurf
       zum laizistischen senegalesischen Staatskonzept interpretieren, in dem es
       Wahlen und die Beteiligung von Frauen gibt. Seit 2010 besteht [3][ein
       Gesetz zur Parität]. Heute sind knapp 42 Prozent der Parlamentsmitglieder
       Frauen.
       
       In regelmäßigen Abständen wird darüber spekuliert, wann sich Senegals
       Jugend – das Durchschnittsalter der Bevölkerung Senegals, ähnlich wie in
       den meisten Ländern Westafrikas, liegt bei nur etwas über 19 Jahren – gegen
       das alte System auflehnt.
       
       Denn die Bruderschaften stehen auch für gesellschaftlichen Konservatismus.
       Hauptstadt der Muriden ist Touba, eine Autostunde von Djourbel entfernt.
       Steuern zahlt dort niemand, stattdessen Abgaben für Arme. Bars, Diskotheken
       und Alkohol sind verboten. Bei der Einfahrt in die Millionenstadt heißt es
       auch für Frauen, die keine Musliminnen sind: Bitte die Haare verdecken.
       
       Für Mustafa Mbacke ist es undenkbar, dass diese Ordnung einmal nicht mehr
       bestehen wird. Diese Meinung teilen auch viele, die keine enge Verbindung
       mit einer Bruderschaft haben. Kritik wird nicht geäußert, stattdessen mit
       Respekt von ihnen gesprochen. Die Zugehörigkeit kann auch aus
       wirtschaftlichen Gründen interessant sein. In der Bruderschaft unterstützt
       man sich gegenseitig. Zu den Muriden gehören überaus erfolgreiche
       Geschäftsleute.
       
       ## Die Bruderschaften vermitteln bei Konflikten
       
       Der gesellschaftliche Einfluss der Bruderschaften auf die Jugend wurde im
       Frühjahr 2021 deutlich. Vor allem junge Menschen demonstrierten damals
       gegen die scharfen Coronamaßnahmen der Regierung sowie die Verhaftung von
       Oppositionspolitiker Ousmane Sonko, der heute Bürgermeister von Ziguinchor
       ist. Die Bruderschaften vermittelten, und die Demonstrant*innen
       verließen die Straße.
       
       Mit dieser Vermittlerrolle sind sie ein starker, ausgleichender Teil der
       senegalesischen Gesellschaft. Auch ihr politischer Einfluss ist groß: Wer
       in Senegal Wahlen gewinnen will, muss sich mit den Bruderschaften gut
       stellen, vor allem mit den Muriden als größte von ihnen. Wie sich die
       Mbacke-Familie politisch positioniert, entscheidet mit über die Zukunft des
       ganzen Landes.
       
       Auch die Gefahren, die vom Terrorismus ausgehen, seien den Bruderschaften
       bestens bekannt, sagt Babacar Diop Buuba, emeritierter Professor für Alte
       Geschichte an der Universität Cheikh-Anta-Diop. „Die Terroristen bedrohen
       ihre Existenz.“ Da die Bruderschaften in allen Lebensbereichen – Schulen,
       Universitäten, Gewerkschaften, Armee – Mitglieder haben, könnten sie sehr
       viele Menschen beeinflussen. Auch würden sie über Milizen verfügen, ein
       offenes Geheimnis. „Das wissen auch die Terroristen“, sagt der
       Wissenschaftler.
       
       Könnten Senegals Bruderschaften auch jenseits der Grenzen vermitteln?
       Expert*innen betonen längst, dass die schwere Sicherheitskrise der
       Sahelzone nicht durch Militäroperationen beendet wird.
       
       1 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.qantara.de/inhalt/dokumentarfilm-touba-pilgerfahrt-zu-sheikh-bamba
   DIR [2] https://ecfr.eu/special/sahel_mapping/isgs
   DIR [3] https://www.theguardian.com/global-development/2012/nov/15/senegal-gender-parity-law-mps-women
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
       ## TAGS
       
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