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       # taz.de -- Vor dem Parteitag der Linken: Mit Floskeln zum Sozialismus
       
       > „Für eine populäre Linke“ heißt ein Aufruf, mit dem Sahra Wagenknecht für
       > den Parteitag mobilisiert. Reformer Hoff spricht von Legendenbildung.
       
   IMG Bild: Aufrufunterzeichnerin Sahra Wagenknecht Mitte Mai im Bundestag: eine von zehn Bundestagsabgeordneten
       
       Berlin taz | Die Linkspartei ist schon ein eigentümlicher Verein.
       Einerseits pflegt ihr führendes Personal und dessen Anhang untereinander
       Umgangsformen, die mit ruppig nur unzureichend beschrieben sind.
       Andererseits geben sich die verschiedenen Flügel große Mühe, möglichst
       verklausuliert über die eigentlichen Konfliktlinien hinwegzufabulieren. Da
       sehen dann Aufrufe auf den ersten Blick aus, als könnten sie eigentlich von
       allen in in der Partei unterschrieben werden. Nur an den Zwischentönen und
       Duftnoten lässt sich erkennen, warum das nicht so ist.
       
       Ein Beispiel dafür ist der am Dienstag veröffentlichte Aufruf [1][„Für eine
       populäre Linke“], deren prominenteste Erstunterzeichnerinnen die
       Bundestagsfraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali und deren Vorgängerin
       Sahra Wagenknecht sind.
       
       Die Initiator:innen kommen aus dem Umfeld Wagenknechts und der sie
       unterstützenden Parteiströmung „Sozialistische Linke“. Es ist ihr Versuch,
       die Kräfte vor dem [2][Linksparteitag Ende Juni in Erfurt] zu sammeln. Zu
       den 85 Erstunterzeichner:innen gehören insgesamt zehn
       Bundestagsabgeordnete, also gut ein Viertel der Fraktion.
       
       Mit dabei sind auch einige wenige Reformer:innen aus dem Lager um
       Fraktionschef Dietmar Bartsch, der selbst nicht unterschrieben hat. Die
       Bekannteste aus diesem Kreis ist Simone Oldenburg, die stellvertretende
       Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns.
       
       ## „Priorisierung von Aufgaben und Botschaften“
       
       Die Linkspartei stecke „in einer existenziellen Krise“, um politisch zu
       überleben, müsse sie „sich verändern – ohne ihre Grundsätze aufzugeben, die
       im Erfurter Programm beschrieben sind“, heißt es in dem Aufruf. Die
       Verfasser:innen plädieren für „eine Priorisierung von Aufgaben und
       Botschaften“.
       
       Dafür benennen sie vier Punkte: Erstens solle die Ungleichheit von
       Einkommen, Vermögen und Macht zurückdrängt, die sozialen und kulturellen
       Spaltungen überwunden werden. Zweitens plädieren sie für eine „wirksame und
       gerechte“ Umwelt- und Klimapolitik, die die Perspektive der Beschäftigen
       beachtet.
       
       Drittens treten sie für Frieden, Abrüstung und Entspannung ein und sprechen
       sich grundsätzlich gegen Konfliktlösungen mit militärischen Mitteln aus.
       Viertens solle „gegen die ökonomische und damit auch politische Macht des
       Kapitals“ die Demokratie gestärkt und persönliche Freiheit geschützt
       werden. Das Ziel sei „ein neuer, demokratischer und ökologischer
       Sozialismus“.
       
       Alle vier Punkte dürften in der Linkspartei unstrittig sein. Das gilt auch
       für die Warnung, die Linkspartei dürfe „sich nicht auf bestimmte Milieus
       verengen“. Aber warum gibt es dann diesen Aufruf? Er schreibe „die falsche
       Legendenbildung“ fort, dass die Linkspartei „ihre Kernwählerschaft verraten
       würde und dass Linke in Regierungen ihre Grundsätze aufgeben“, kritisiert
       Linken-Reformer Benjamin Hoff.
       
       Der Chef der Thüringer Staatskanzlei, der als stellvertretender
       Parteivorsitzender kandideren will, weist darauf hin, dass parallel zur
       Veröffentlichung des Aufrufs der rot-grün-rote Senat in Bremen gerade eine
       Bundesratsinitiative zur Übergewinnsteuer auf den Weg bringe. „Das zeigt,
       wie und worum es uns tatsächlich gehen muss: Gemeinsam besser werden, statt
       Legendenbildungen als selbsterfüllende Prophezeiungen“, so Hoff zur taz.
       
       ## Einladende Parteikultur?
       
       Die Aufrufunterzeichner:innen appelieren, konstruktiv in der Partei
       zusammenzuarbeiten und eine „einladende Parteikultur zu entwickeln“. Der
       Haken: Etliche der Aufrufunterzeichner:innen stehen bislang eher für
       das Gegenteil.
       
       Ein Beispiel dafür ist der Ex-Bundestagsabgeordnete Diether Dehm, der
       gerade erst in einem [3][Gastbeitrag in der DKP-Parteizeitung Unsere Zeit]
       über jene, die nicht in der Linkspartei seiner und Wagenknechts Richtung
       anhängen, geurteilt hat, sie seien entweder „Apparatschiks“ oder „ein
       Sammelsurium von Ex-Piraten und Grünen, Friday-Futuristinnen und
       coronakonformen Kremlhassern“.
       
       Mit Blick auf den russischen Überfall auf die Ukraine beklagt Dehm, „im
       Krieg um die Tränen“ solle nun „die Parteibasis Empathie heucheln für
       Selenski und dessen Ukrainer“. Wagenknecht lobt er hingegen dafür, dass sie
       „auf Corona-Diktaten, Gendervorschriften, Migrantinnenkult,
       Klimaeinsparungen, NATO-Revival und Arbeiterfeindlichkeiten“ herumhämmern
       würde.
       
       Auf solch undiplomatische Brachialrhetorik verzichtet der von Dehm
       mitunterzeichnete Aufruf „Für eine populäre Linke“ vollständig. Sie würde
       sich auch nicht so recht mit dem Appell vertragen, politische Differenzen
       „respektvoll und ohne Diffamierungen“ auszutragen. Stattdessen bleibt es
       bei Zwischentönen und Andeutungen.
       
       ## Zwischentöne und Andeutungen
       
       So wenn es heißt, die Linkspartei setze zwar auf die Zusammenarbeit mit
       Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, habe aber „als Partei nicht die
       Aufgabe, die bessere Gewerkschaft zu sein oder die weitestgehenden
       Forderungen einzelner Bewegungen als eigenes Programm zu verkünden“. Ob
       damit die Forderungen von Flüchtlingsinitiativen oder
       Klimaaktivist:innen gemeint sind? Von wem sonst? Das bleibt offen.
       
       Aus gutem Grund fehlen auch die konkreten Beispiele, was mit der darauf
       folgenden Feststellung gemeint ist: „Überzogene und unrealistische
       Forderungen schaden ebenso wie ein opportunistisches Streben nach
       Mitregieren um den Preis der Aufgabe linker Ziele.“ In seiner Allgemeinheit
       dürfte auch diesem Satz niemand in der Linkspartei widersprechen.
       
       „Der Aufruf enthält nicht viel, was Die Linke nicht schon längst macht“,
       konstatiert der frühere Linken-Bundesvorsitzende Bernd Riexinger. „Beim
       Bundesparteitag geht es um eine klare Entscheidung für konsequente
       Klimagerechtigkeit und um eine klare Verbindung mit sozialer Gerechtigkeit
       – ohne Wenn und Aber“, sagte er der taz.
       
       Eine [4][Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung] habe vor wenigen Tagen
       ergeben, dass die potentiellen Wähler:innen der Linkspartei die Themen
       Klimaschutz und gute Arbeitsbedingungen gleichrangig behandelt sehen
       wollten. „Der Aufruf lässt diese Themen offen und ist daher wenig
       zukunftsgerichtet“, so Riexinger.
       
       31 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://populaere-linke.de/
   DIR [2] /Neuwahl-der-Linken-Parteispitze/!5853705
   DIR [3] https://www.unsere-zeit.de/das-grummeln-der-agonie-169076/
   DIR [4] /Studie-zur-Linkspartei/!5853570
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
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