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       # taz.de -- Streit um Straßenumbenennung in Hannover: Hindenburg ist keine gute Adresse
       
       > Mit allen Mitteln kämpfen Anwohner im noblen Zooviertel Hannovers gegen
       > die Umbenennung ihrer Straße. Nun wies ein Gericht ihre Klage ab.
       
   IMG Bild: Loebensteinstraße soll sie künftig heißen – nach einer 10-Jährigen, die von den Nazis ermordet wurde
       
       Hannover taz | Am Ende wird es dann schon sehr spitzfindig: Mit allen
       Mitteln versuchen sich ein Dutzend Anwohner im Hannoverschen Zooviertel
       gegen die Umbenennung ihrer Hindenburgstraße in Loebensteinstraße zu
       wehren.
       
       Mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht zweifeln sie das Verfahren und
       die Begründung des Bezirksrates an, argumentieren mit den Ausgaben für
       Briefpapier, Visitenkarten und die Werbebanner im Tennisclub. Einer glaubt
       sogar, seine Glaubwürdigkeit als Autor wissenschaftlicher Aufsätze könnte
       angezweifelt werden, wenn eine Googlesuche seiner internationalen
       Leserschaft ergäbe, dass seine Adresse nicht länger existiert.
       
       [1][Seit vier Jahren wird um diese Umbenennung gestritten.] Es ist
       vielleicht kein Zufall, dass das hier so lange dauert. Die Hindenburgstraße
       ist nicht irgendeine Adresse, sondern eine ziemlich teure. Die Anzahl der
       Menschen, die selbst Juristen sind oder es sich leisten können, einen zu
       bezahlen, ist entsprechend hoch. Die CDU-Parteizentrale residiert hier,
       Ex-Kanzler Schröder wohnt ums Eck.
       
       Dabei – das betont auch die zuständige Verwaltungsrichterin in diesem
       Verfahren noch einmal – kann man nicht behaupten, dass der für die
       Entscheidung zuständige Bezirksrat sich die Entscheidung leicht gemacht
       hätte. Er hat das Umbennungsverfahren 2018 eingeleitet, nachdem [2][eine
       vom Rat beauftragte Begleitkommission dies empfohlen hatte].
       
       ## Fünf Jahre lang Biografien überprüft
       
       Diese Kommission – in der Historiker, Vertreter der Kirchen, der jüdischen
       Gemeinde und des DGB saßen – hatte zuvor fünf Jahre lang Straßennamen unter
       die Lupe genommen. Allerdings auch nur diejenigen, bei denen Namensgeber in
       der NS-Zeit noch aktiv gewesen sind – frühere Epochen blieben unbeachtet.
       Von den 493 überprüften Namen wurde bei 476 die Beibehaltung empfohlen. Bei
       ganzen 17 wurde nach einer umfangreichen Begutachtung der Biografien die
       Umbenennung empfohlen.
       
       Diese Umbenennung – auch das wurde zum Thema in dieser Gerichtsverhandlung
       – ist seit der [3][Reform des niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes
       2010] Sache der Bezirksräte. So hat es das Land bestimmt. Vorher war dies
       aber Sache des Rates – der hat daher auch, zum Teil schon vor Jahrzehnten,
       Grundsätze erarbeitet, nach denen diese Überprüfungen und Umbenennungen
       abzulaufen haben. Und er hat eben diesen Beirat beauftragt.
       
       Aber müsste dann, fragen die Kläger, nicht überall gleichermaßen
       entschieden werden? Wie kann es sein, dass der eine Bezirksrat im Stadtteil
       Mitte sich zur Umbenennung entscheidet und ein anderer, in dessen Gebiet
       eine nach Hindenburg benannte Schleuse liegt, nicht? Nun, sagt die
       Vorsitzende Richterin, der Rat und die Stadtverwaltung könnten eben nur
       Empfehlungen abgeben, die Stadtbezirksräte sind frei in ihrer
       Entscheidung.
       
       Und natürlich sind dies letztlich Spitzfindigkeiten, bei denen es
       eigentlich um etwas anderes geht: Die Anwohner finden, ihr Votum als
       Betroffene sollte mehr ins Gewicht fallen. Tatsächlich hatten sich Stadt
       und Bezirksrat alle Mühe gegeben, Bürger einzubinden, vor allem nachdem
       sich erste Proteste formierten und Unterschriftenlisten die Runde machten.
       
       Da wurden Befragungen in Auftrag gegeben, Namensvorschläge entgegen
       genommen, es gab eine Reihe von turbulenten öffentlichen Sitzungen. Fast
       immer zeigte sich dabei, dass es zwar im politischen Raum und bei anderen
       Einwohnern durchaus ein paar Sympathien für eine Umbenennung gab, bei den
       unmittelbar Betroffenen aber eher nicht.
       
       ## Viele Anwohner antworteten gar nicht
       
       Bei einer schriftlichen Befragung der Anwohner der Hindenburgstraße waren
       99 Prozent gegen die Umbenennung – damit argumentieren die Kläger gern.
       Allerdings: es hatten auch nur 32 Prozent geantwortet. „Die Erfahrung
       zeigt, dass eher die Unzufriedenen sich rühren“, sagt Richterin Andrea
       Reccius, „wir wissen schlicht nicht, wie die anderen 68 Prozent darüber
       denken“.
       
       Am Ende votierte im Bezirksrat eine knappe Mehrheit von zehn rot-rot-grünen
       Stimmen gegen sieben schwarz-gelbe Stimmen dafür, dass die Straße künftig
       nach der von den Nazis im Alter von zehn Jahren ermordeten Lotte-Lore
       Loebenstein heißen soll, statt nach [4][Hitlers Steigbügelhalter]. Diese
       demokratische Entscheidung sei nicht zu beanstanden, es seien alle
       wesentlichen Punkte in der Debatte berücksichtigt und abgewogen worden,
       [5][befand das Gericht.]
       
       Auf eine Debatte über die historische Rolle Paul von Hindenburgs über die
       beide Streitparteien Gutachten hatten anfertigen lassen, wollte es sich
       dabei gar nicht erst einlassen. „Man kann das sicher unterschiedlich
       bewerten, aber das ist in den Debatten ja auch deutlich geworden,“ sagte
       die Richterin.
       
       Das alte Bild vom greisen Kriegshelden, der am Ende seines Leben nicht mehr
       so richtig mitbekommen habe, was diese Nazis da eigentlich vorhatten, habe
       durch die neuere Forschung jedenfalls deutliche Risse bekommen, zitiert sie
       aus der Begründung des Beirates.
       
       4 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Strassenumbenennung-in-Hannover/!5725484
   DIR [2] https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/Architektur-Geschichte/Erinnerungskultur/ZeitZentrum-Zivilcourage/St%C3%A4dtische-Erinnerungskultur/Wissenschaftliche-Betrachtung-von-namensgebenden-Pers%C3%B6nlichkeiten-in-Hannover/17-Stra%C3%9Fen-in-Hannover-sollten-umbenannt-werden
   DIR [3] /Kommunale-Buergerentscheide/!5725222
   DIR [4] /Ehrenbuerger/!5067131
   DIR [5] https://www.verwaltungsgericht-hannover.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/umbenennung-der-hindenburgstrasse-in-loebensteinstrasse-rechtmassig-212158.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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