URI: 
       # taz.de -- Internationale Wirtschaftsverflechtungen: Es hapert an der Umsetzung
       
       > Replik zum Gastkommentar „Neue europäische Handelsagenda“ von Robert
       > Habeck und Katharina Dröge in der taz vom 21. Mai 2022.
       
   IMG Bild: „Handelsfremde“ Werte in einer globalisierten Welt: Containerterminal im Hamburger Hafen
       
       Anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos haben Wirtschaftsminister
       [1][Robert Habeck und Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge] erklärt, wie
       sie sich die künftige EU-Handelspolitik vorstellen. Sie setzen damit einen
       wichtigen Impuls und erinnern zu Recht, dass die Welt auch vor Pandemie und
       Krieg weder intakt noch sicher war.
       
       Die mangelnde Kohärenz unserer Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik
       einerseits und der internationalen Wirtschaftspolitik andererseits trägt zu
       fatalen Abhängigkeiten und der Stärkung autokratischer Kleptokraten
       weltweit bei. Die Glaubwürdigkeit unserer propagierten Werte leidet,
       hierzulande wie im Globalen Süden.
       
       Die Klarheit der Aussage von Habeck und Dröge, dass es keine Rückkehr zur
       alten vermeintlichen Normalität geben wird, ist daher wohltuend. Sie hat
       das Potenzial, die lähmenden Phänomene der Ignoranz einerseits und der
       Zukunftsangst andererseits überwinden zu helfen und sie in Mut und Lust zur
       kollektiven Kreativität umzuwandeln. Allerdings muss diese Lagebestimmung
       von allen Ressorts kohärent vertreten werden, um ihre Wirkung zu entfalten.
       
       Was Habeck und Dröge als Leitgedanken für eine neue Handelspolitik
       anführen, bedarf einiger Präzisierung. Es geht um die Umsetzung der
       globalen Prinzipien der Vereinten Nationen, zu denen sich fast alle Staaten
       dieser Erde verpflichtet haben – allen voran die [2][Menschenrechtscharta]
       (193 Staaten), die völkerrechtlich verbindlichen Sozial- und Zivilpakte
       (160 bzw. 167), [3][die 17 Nachhaltigkeitsziele] (197), das Pariser
       Klimaabkommen (194), die verbindlichen ILO-Kernarbeitsabkommen (183) und
       die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC, 189).
       
       ## Reform der WTO-Regeln
       
       Nichts davon setzen die WTO oder unsere Investitions- und Handelsabkommen
       mit anderen Staaten durch. Diese mühsam ausgehandelten Werte wurden bisher
       als „handelsfremd“ deklariert und bestenfalls in Präambeln erwähnt, während
       der grenzüberschreitenden Wirtschaft mächtige Instrumente zur Durchsetzung
       ihrer Interessen mitgegeben wurden. Es ist eine Parallelwelt der Wirtschaft
       entstanden.
       
       Die WTO-Regeln bedürfen also dringend einer Reform. Ungewiss ist, wann dies
       gelingen wird. Die [4][Corona-Impfstoffpolitik] des Westens hat den
       Einigungswillen des Globalen Südens nicht gerade gefördert. Die laufenden
       [5][E-Commerce-Verhandlungen] tragen alle Zutaten, die alte Politik der
       Wirtschaftsmacht fortzusetzen, diesmal mit Daten als Rohstoff.
       
       Wichtige Bausteine neuer Handelsregeln müssen Transparenz, Partizipation
       sowie die Bekämpfung von Korruption, Geldwäsche, organisierter Kriminalität
       und illegitimer Finanzflüsse sein, die alle feste Bestandteile der Agenda
       2030 der Vereinten Nationen und des UN-Nachhaltigkeitsziels 16 „Frieden,
       Gerechtigkeit und starke Institutionen“ sind.
       
       Warum dies so entscheidend ist, das wird angesichts der
       Auseinandersetzungen mit Russland überdeutlich. Die Deutsche
       Nachhaltigkeitsstrategie bezeichnet das Ziel 16 als Schlüsselziel zur
       Erreichung der anderen Ziele, vom Klima- und Umweltschutz bis hin zu
       Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Denn einen fairen Handel und ein
       level playing field können wir nur erreichen, wenn korrupte Konkurrenten
       den Wettbewerb nicht verzerren. Kaum ein anderes Ziel der Agenda 2030 kann
       so wirksam und so breit zur Nachhaltigkeit beitragen.
       
       Daher ist eine Sorgfaltspflicht für Korruptionsbekämpfung ein Muss für eine
       gute Handelspolitik und ein effektives EU-Lieferkettengesetz. Auch
       handfeste Sanktionen im Falle korrupter Handelsgeschäfte dürfen kein Tabu
       sein. In ihrer Sondersitzung zur Korruptionsbekämpfung im Juni letzten
       Jahres rief die UN-Vollversammlung die UNCAC-Vertragsstaaten auf, ihre
       Hausaufgaben zu machen.
       
       ## Zeitenwende auch im Handel
       
       Auf die Mängel bei der juristischen Verfolgung von Straftaten im
       internationalen Handel weist Transparency in den „Exporting
       Corruption“-Berichten regelmäßig hin, eine [6][aktuelle Recherche von
       Correctiv] bestätigt dies auch für Deutschland. Angesichts der vielen
       Skandale hat Deutschland allen Grund, an sich selbst zu arbeiten und
       Integrität im Handel auch im Rahmen der G7-Präsidentschaft, innerhalb der
       WTO sowie der EU bei einzelnen Handelsabkommen voranzutreiben.
       
       Habeck und Dröge erklären, dass man auch keine Scheu vor unilateralen
       Vereinbarungen haben sollte. In diesem Kontext muss es konkret etwa beim
       europäisch-kanadischen Handelsabkommen CETA möglich sein, zwischen
       befreundeten Demokratien wie Kanada und der EU eine Einigung für fairen
       Handel zu finden, die klare Maßnahmen gegen Korruption beinhaltet. Zwischen
       Kanada und den USA ist das der Fall.
       
       Die EU hingegen hat zum Beispiel mit den transpazifischen Staaten
       Handelsabkommen ohne umfangreiche Antikorruptionsklauseln abgeschlossen.
       Außerdem darf es keine Schiedsgerichte entsprechend dem „ISDS-Modell“
       geben, durch die wirtschaftliche Akteure überzogene Interessen außerhalb
       der nationalen Rechtsordnungen gegen einzelne Staaten durchsetzen können.
       Denn so wird dem Primat der Politik der Teppich unter den Füßen weggezogen.
       Folgerichtig schwindet dann das Vertrauen in faktisch entmachtete
       demokratische Institutionen.
       
       Die Zeitenwende muss auch im Handel Einzug halten, die beste Orientierung
       dafür bieten die Vereinbarungen im Rahmen der Vereinten Nationen. Diese
       Grundsätze müssen ihren robusten Niederschlag in der Handelspolitik finden.
       Die Billigwirtschaft ist an ihrem Tiefpunkt angelangt. Die Zukunft der
       Investitionen und des Handels liegt in einem fair und nachhaltig
       regulierten Handelsregime, das zur Resilienz des Friedens, der Demokratie
       und der Wirtschaft beiträgt. Interessen und Werte müssen miteinander in
       Einklang gebracht werden.
       
       2 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Robert-Habeck/!a101622/
   DIR [2] https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf
   DIR [3] https://www.un.org/depts/german/millennium/SDG%20Bericht%202016.pdf
   DIR [4] /Corona-Impfstoff-im-Globalen-Sueden/!5735246
   DIR [5] /Handelsabkommen-zu-E-Commerce/!5828604
   DIR [6] https://correctiv.org/aktuelles/korruption/2022/03/10/exportmeister-deutschland-die-korruptions-akte/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helena Peltonen-Gassmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Transparency International
   DIR Handel
   DIR Weltwirtschaft
   DIR Wirtschaftsabkommen
   DIR Robert Habeck
   DIR CETA
   DIR Bundesinnenministerium
   DIR Ampel-Koalition
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt USA unter Donald Trump
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kritik von Umweltverbänden: Ampel-Ja zu Ceta unter Beschuss
       
       Die Koalition will Handelsverträge klima- und menschenrechtskompatibel
       machen. Für Verbände ist das „nicht mehr als ein Feigenblatt“.
       
   DIR G7-Gipfel in Elmau: Grenzkontrollen für Schutz der G7
       
       Drei Wochen lang wird es scharfe Sicherheitsvorkehrungen geben. Die
       Behörden wollen damit Krawall und Chaos rund um das Gipfelgeschehen
       vorbeugen.
       
   DIR Analyse der Klimapolitik der Ampel: Besser und trotzdem zu wenig
       
       Experten haben die Klimapolitik der Regierung untersucht. Ihr Fazit:
       mangelhaft, mit einigen Lichtblicken. Kritik üben sie vor allem an
       LNG-Terminals.
       
   DIR Internationale Wirtschaftsverflechtungen: Neue europäische Handelsagenda
       
       Die Handelsbeziehungen waren von Profit getrieben. Die Globalisierung muss
       fairer und nachhaltiger werden.
       
   DIR Angriffskrieg auf die Ukraine: Korruption und Kolonialismus
       
       Es fehlt an Kritik, Profit und die Gasversorgung stehen im Fokus. Reden wir
       noch über die deutsche Verantwortung für den Krieg in der Ukraine?
       
   DIR Risikobericht des Weltwirtschaftsforums: Davos im Zeichen der Pandemie
       
       Das Weltwirtschaftsforum hat seinen Risikobericht vorgelegt.
       Infektionskrankheiten steigen in der Rangliste, auch die Klimakrise bleibt
       relevant.
       
   DIR Haushaltsstreit USA: Weltwirtschaftsforum ohne die USA
       
       US-Präsident Trump schickt keine Delegation nach Davos und streicht eine
       Auslandsreise von Oppositionsführerin Pelosi. Er begründet das mit dem
       „Shutdown“.