URI: 
       # taz.de -- Wohnungspolitik in Berlin: Bezirksamt gibt Habersaath auf
       
       > Hauseigentümer will 56 Wohnungslose, die im Dezember Leerstand in Mitte
       > besetzten, loswerden. Das Bezirksamt sieht sich machtlos.
       
   IMG Bild: Eines der Zimmer in der Habersaathstraße in Berlin-Mitte
       
       Berlin taz | Der Bezirk Mitte geht offenbar davon aus, dass die 56
       ehemaligen Wohnungslosen aus der Habersaathstraße 40–47 demnächst wieder
       auf der Straße stehen. Sozialstadtrat Carsten Spallek (CDU) schrieb am
       Dienstag in einer E-Mail, die der taz vorliegt, an seine Kolleg*innen in
       den anderen Bezirken, dass die Eigentümerin „die Räumung der Liegenschaft
       bis zum 30. 6. 2022“ fordere. „Ob bzw. inwieweit und auf welche Art diese
       Ankündigung zum Termin auch umgesetzt wird, ist momentan unklar“, so
       Spallek weiter. Es sei nicht auszuschließen, dass sich die (ehemaligen)
       Klient*innen bald wieder mit „Hilfebedarf“ an ihr zuständiges Sozialamt
       wenden werden.
       
       Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) sagte der taz am Mittwoch: Es sehe
       „leider“ im Moment nicht danach aus, „dass wir eine längere Duldung der
       obdachlosen Menschen hinbekommen“.
       
       Zur gleichen Zeit haben auch die 56 Neu-Bewohner*innen der Habersaathstraße
       Post bekommen – vom Eigentümer Arcadia Estates GmbH. Die „temporäre
       Winterhilfe“ für die ehemaligen Obdachlosen sei beendet, sie müssten bis
       spätestens 2. Juni (!) ausziehen und die Schlüssel abgeben. Ein ähnliches
       Schreiben hatte Arcadia bereits vor gut einem Monat verschickt und den
       Auszug zum 1. Mai verlangt. Das [1][hatte der Bezirk noch gekontert mit der
       Drohung], ein „erzwungener Auszug“ gefährde die Verhandlungen des
       Eigentümers mit dem Bezirk über den Abriss. Einen Monat später scheint dies
       nicht mehr zu ziehen.
       
       ## Bewohner*innen wollen bleiben
       
       Entsprechend enttäuscht zeigte sich die Sprecherin der Initiative
       „Leerstand hab ich Saath“, Veronika Hauser, gegenüber der taz: „Der Bezirk
       macht nichts für uns – aber wir werden nicht gehen, egal ob am 2. oder am
       30. Juni!“
       
       Seit Jahren will der Eigentümer das Haus in der Habersaathstr. 40–47
       abreißen, um dort neu und teuer zu bauen. Die meisten der knapp 120
       Wohnungen lässt er schon lange leer stehen, nur 9 Altmieter verweigern
       hartnäckig den Auszug. Einen Teil des Leerstands hatten Wohnungslose
       zusammen mit der Initiative Leerstand hab ich Saath im Dezember besetzt. In
       Verhandlungen mit Bezirk und Eigentümer erreichten sie ihrer Auffassung
       nach, dass sie bleiben können, bis die Häuser tatsächlich abgerissen
       werden.
       
       Dieses „Versprechen des Bezirksbürgermeisters“ müsse der Bezirk nun
       einlösen, fordert der wohnungspolitische Sprecher der Linksfraktion im
       Abgeordnetenhaus, Niklas Schenker. „Das Bezirksamt ist in der Pflicht, die
       Menschen bis zum Abriss zu schützen“, sagte er der taz.
       
       Das Bezirksamt verneint allerdings auf Anfrage, den Bewohner*innen ein
       solches Versprechen gegeben zu haben. Man setze sich aber dafür ein, heißt
       es aus der Pressestelle, „dass ein möglichst langer Verbleib der
       obdachlosen Menschen im Objekt möglich ist. Die Gespräche hierfür dauern
       noch an und gestalten sich als schwierig, da hierfür das Entgegenkommen des
       Eigentümers Voraussetzung ist.“
       
       ## „Deal“ für Abriss
       
       Laut Zweckentfremdungsverbotsgesetz dürfen Wohnhäuser nur unter der
       Voraussetzung abgerissen werden, dass dafür Ersatzwohnungen in räumlicher
       Nähe geschaffen werden, die „[2][von einem durchschnittlich verdienenden
       Arbeitnehmerhaushalt allgemein aufgebracht werden können“]. Weil der
       Vermieter dies aber nicht zusagen will, verweigert der Bezirk bislang die
       Genehmigung für den Abriss. Darüber gibt es einen Rechtsstreit.
       
       Weil Mitte offenbar befürchtet, diesen zu verlieren, hat [3][der Bezirk dem
       Eigentümer einen „Kompromiss“ vorgeschlagen]. Danach müsste dieser nur noch
       30 Prozent der Wohnungen zu „bezahlbaren“ Mieten von 9,15 Euro pro
       Quadratmeter vermieten. Das Bezirksamt soll ein Vorschlagsrecht für diese
       Mieter*innen bekommen.
       
       Die Initiative lehnt diesen „schmutzigen Deal“, wie sie es nennt, ab, weil
       damit preiswerter Wohnraum zerstört werde – der noch dazu erst 2006
       energetisch saniert worden sei. Auch Schenker fordert, der Bezirk solle
       keine Abrissgenehmigung erteilen. „Spekulativer Leerstand darf nicht auch
       noch belohnt werden.“
       
       Dass der Eigentümer sich nun erneut traut, den Wohnungslosen mit Rauswurf
       zu drohen, deutet darauf hin, dass er den „Deal“ in der Tasche hat.
       
       1 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Besetztes-Wohnheim-in-Berlin/!5851385
   DIR [2] https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/jlr-WoZwEntfrGBEV4P3
   DIR [3] /Streit-um-Abriss-in-der-Habersaathstrasse/!5851046
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
   DIR Mieten
   DIR Wohnungslosigkeit
   DIR Wohnungsnot
   DIR Hausbesetzung
   DIR Stadtplanung
   DIR Wohnraummangel
   DIR Wohnungspolitik
   DIR Immobilienspekulation
   DIR Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
   DIR Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
   DIR Berlin-Mitte
   DIR Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
   DIR Stephan von Dassel
   DIR Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
   DIR Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Hausbesetzung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR taz-Serie „Was macht eigentlich?“ (3): Das widerspenstige Spekulationsobjekt
       
       Vor drei Jahren besetzten Aktist:innen und Wohnungslose ein Wohnkomplex
       in der Habersaathstraße. Dank der renitenten Altmieter dürfen sie bleiben.
       
   DIR Abrisspläne in der City West: Davon wird die Straße nicht schmaler
       
       Eine Gruppe von ArchitektInnen will den Abriss des Gebäudes An der Urania
       4–10 durch die BIM verhindern. Die verweist auf hohe Schadstoffbelastung.
       
   DIR Podcast „Häuserkampf“: Kampf um die Platte
       
       Der neue Podcast „Häuserkampf“ erklärt die deutsche Wohnraumkrise anhand
       einer Hausbesetzung in Berlin. Es ist ein wohnungspolitischer Krimi.
       
   DIR Drohender Abriss in Berlins Europa-City: Acht Wohnungen weniger
       
       Das Land und seine Wohnungsbaugesellschaften haben kein Interesse an einem
       Moabiter Mietshaus. Nun sucht das Bundeseisenbahnvermögen einen Käufer.
       
   DIR Spekulativer Leerstand: Investor hat sich verzockt
       
       Der Eigentümer der Habersaathstraße 40-48 verliert gegen einen
       Bestandsmieter vor Gericht. Damit rückt der Abriss in weite Ferne.
       
   DIR Immobilienspekulation in Berlin: Räumungsversuch in Wild-West-Manier
       
       Mit Hilfe einer Sicherheitsfirma versuchte der Eigentümer, die
       Habersaathstraße 42-48 zu räumen. Unterstützer:innen vermuten
       Einschüchterung.
       
   DIR Obdachlosenprojekt Habersaathstraße: Die zaghafte Politik rächt sich
       
       Der Eigentümer der Häuser in der Habersaathstraße will 56 Obdachlose
       rauswerfen – und der Bezirk Mitte meint, dagegen machtlos zu sein.
       
   DIR Verhandlung um Habersaathstraße: Spekulation soll sich auch lohnen
       
       Berlin-Mitte kommt den Eigentümern der von Obdachlosen bewohnten Häuser in
       der Habersaathstraße entgegen. Wohl aus Angst vor den Gerichten.
       
   DIR Besetztes Wohnheim in Berlin: Obdachlose raus, Flüchtlinge rein
       
       Der Besitzer des Wohnheims in der Habersaath-Straße will die aktuellen
       Bewohner rauswerfen. Stattdessen sollen Flüchtlinge aus der Ukraine
       einziehen.
       
   DIR Streit um Abriss in der Habersaathstraße: Bezirk will weiter verhandeln
       
       Der Bezirk weist die Kritik an einer „Einigung“ mit dem Besitzer der
       Habersaathstraße 40-48 zurück. Die Gespräche mit dem Investor liefen noch.
       
   DIR Mietenwahnsinn in Berlin: Haus für Obdachlose wird abgerissen
       
       Das bekannte Haus in der Habersaathstraße darf einem Neubau weichen. Es
       gibt scharfe Kritik an der Einigung zwischen Bezirk und Eigentümer.
       
   DIR Obdachlosigkeit in Berlin: Es stehen noch mehr Häuser leer
       
       Bei einer Demonstration von „Leerstand habe ich saath“ gegen
       Obdachlosigkeit im Wedding versammeln sich 180 Menschen. Das Kampf ist
       nicht vorbei.
       
   DIR Projekt gegen spekulativen Leerstand: Ein Zuhause auf Abruf
       
       Zweimal haben Obdachlose ein leerstehendes Haus in Berlin-Mitte besetzt.
       Der Bezirk hat mit dem Eigentümer eine Zwischennutzung vereinbart.
       
   DIR Obdachlose ziehen in besetztes Haus: Willkommen zuhause!
       
       In das Haus in der Berliner Habersaathstraße sind die ersten
       Bewohner*innen eingezogen. Am Montag gab es eine kleine
       Willkommensfeier.