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       # taz.de -- Die Wahrheit: Mit Geistern auf Du und Du
       
       > Die mediale Beweiskraft erhöht sich ungemein, ist man nicht mehr als
       > Medienschaffende unterwegs, sondern als Medium – in einer gutlaufenden
       > Serie.
       
       Falls das mit der Medienkarriere nicht mehr richtig läuft, werde ich auf
       eine Mediumkarriere umschwenken. Die Voraussetzungen bringe ich mit,
       jedenfalls wenn man jene Medien als Orientierung nimmt, die mit
       Mystery-Fernsehserien wie „Paranormal Investigation“, „Long Island Medium“
       oder „Holzer Files – Chroniken eines Geisterjägers“ zu Weltruhm gelangt
       sind.
       
       Mein konkretes Vorbild ist das „Evidential Medium“ („Beweismedium“) Cindy
       Kaza, eine Amerikanerin, die Betty-Page-Make-up wie in den fünfziger Jahren
       trägt und auf keinem Foto lächelt – allein das macht sie schon glaubhaft.
       Wenn Kaza neben ihren Geisterjäger-Kollegen Dave Schrader – der aussieht,
       als ob Gott beim Versuch, Bruce Willis noch ein zweites Mal zu formen, ins
       Zittern geraten ist – und Team-Mitglied Shane Pittman – einem
       durchschnittlichen Bartträger – in die Häuser stapft, in denen ein
       österreichischer Parapsychologe namens Hans Holzer einst paranormale
       Aktivitäten aufzeichnete, dann wirkt sie äußerst überzeugend.
       
       Beim nächtlichen Betreten eines Zimmers spürt Kaza meist schnell die
       Spirits, die dort wohnen und – wie alle Geister – nur nachts aktiv sind,
       die Spuk-Effektivität nimmt am Tag rapide ab. Die Arbeitsteilung ist klar:
       Schrader geht langsam durch die Räume und ruft ab und an überrascht: „Whow!
       Did you feel that?“ Kollege Pittman zeichnet mit Fantasiegeräten, die an
       blinkende LED-Alarmanlagen erinnern, sogenannte Electric Voice Phenomens
       (EVP) auf oder dokumentiert mit der „SLS“-Ghost-Tracker-Wärmekamera die
       Körperwärme der Körperlosen.
       
       ## Tisch abtasten, dann murmeln
       
       Kaza dagegen benutzt überwiegend „Psychometrie“, eine Technik, die ich aus
       „Kreatives Schreiben“-Workshops kenne und bei der man einen Gegenstand
       anfasst, um sich dann schnell auszudenken, was mit dem Gegenstand passiert
       sein könnte. Einen Tisch abzutasten und zu murmeln: „Ich spüre … im Jahr
       1836 … wurde hier ein … ein … Butterbrot gegessen!“, ist nicht die feine
       Evidential-Medium-Art.
       
       Stattdessen legt man die Hand kurz auf den Tisch, zieht sie hastig wie
       unter Schmerzen wieder weg und ruft: „Böse! … 1836 … o, ich spüre Kinder
       weinen!“ Danach braucht Kaza stets kurz Ruhe, und dann kommt das Beste: Sie
       bekommt von den Untoten Bilder gechannelt, die sie mit groben Strichen
       zeichnen darf und die sogar aussehen sollen wie talentfrei im Dunkeln vor
       sich hingekritzelt – auch ein künstlerisch unbegabter Mensch wie ich kann
       diese Aufgabe suffizient erfüllen.
       
       Für die Evaluation der gesammelten Geisterbeweise braucht es Erfahrung,
       denn aus dem vom Techniker aufgezeichneten atmosphärischen Rauschen
       Geistersprachfetzen wie „Evil“ herauszuhören, ist nicht einfach. Ich bin
       aber sicher, dass meine Erfahrung mit dem Medium Radio dabei hilft. Gestern
       habe ich auch endlich ein Kilo Ektoplasma bestellt, das ich bei Bedarf aus
       Körperöffnungen fließen lassen werde. Das erhöht die mediale Beweiskraft.
       
       3 Jun 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Zylka
       
       ## TAGS
       
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