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       # taz.de -- Die steile These: Wer ist schlimmer als RB Leipzig?
       
       > Die Anhänger des wahren™ Fußballs: Sie versuchen zu definieren, was gutes
       > Fansein ausmacht, doch schaffen wertkonservativen Kitsch.
       
   IMG Bild: Die Fans von RB Leipzig feiern nach dem Sieg im Finale
       
       Der Mai ist für Fußballfreunde der Monat der Entscheidungen. Dauernd letzte
       Spieltage, Finals, Relegationen, dauernd späte Tore, Glück, Entsetzen,
       Dramatik. Dafür lieben sie den Sport.
       
       Für deutsche Fans hatte es in diesem Jahr die dritte Maiwoche besonders in
       sich. Zunächst am Mittwoch das Finale der Europa League. Die Vollendung
       eines Märchens. Eintracht Frankfurt, in den vergangenen Jahrzehnten öfters
       auch mal in der Zweiten Liga, schaffte es nach einem Ritt über den
       Kontinent tatsächlich, [1][seine eigene Cinderella-Story zu krönen]. Es war
       der Sieg des unberechenbaren Moments im Fußball. Geld schießt eben doch
       keine Tore.
       
       Dann am Samstag das Finale des DFB-Pokals. Für viele die Vollendung eines
       Albtraums. Rasenballsport Leipzig [2][gewann den ersten Titel] in seiner
       gerade einmal 13-jährigen Vereinsgeschichte. Und das auch noch gegen den SC
       aus der [3][Fahrradfahrer- und Backgammonspielerstadt Freiburg], einen der
       Everybody’s Darlings des deutschen Profifußballs, seit 118 Jahren titellos.
       Für viele Fans war der Sieg dieses „Konstrukts“, wie RB Leipzig immer
       wieder gern genannt wird, so was wie der Triumph von Voldemort, Darth
       Sidious und Putin zusammen. Geld schießt eben doch Tore, on the long run.
       
       Schwarz und Weiß. Yin und Yang. Ähnlich eindeutig zweigeteilt war auch das
       öffentliche Echo. Viel Liebe für Eintracht Frankfurt, der Hessische
       Rundfunk schob gleich mal eine 42-minütige Jubeldoku mit dem komplett
       unironischen Namen [4][„Eine Traumreise durch Europa“ ins Programm]. Viel
       Häme gegenüber RB Leipzig, was sogar schon vor dem Finale losging. Von
       niemandem dazu gefragt, [5][erklärte der Drittligist VfL Osnabrück] (of all
       clubs!) seine Solidarität mit Freiburg im Endspiel.
       
       ## Ein Verein als Marketingtool
       
       Nun hat Fußballdeutschlands Abneigung gegen RB Leipzig einige gute Gründe.
       Tatsächlich ist die Mannschaft Teil der Verkaufsstrategie des
       Energydrink-Herstellers Red Bull, der über Sportsponsoring sein Image als
       virile Marke stärken will. Nur dafür wurde der Verein gegründet. Um sich im
       deutschen Profifußball etablieren zu können, mussten dabei mehrere halb
       legale Tricksereien veranstaltet werden. Und überhaupt, „Verein“: RB
       Leipzig hat ungefähr 20 Mitglieder, Eintracht Frankfurt mehr als 100.000.
       Schließlich ist Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz auch noch ein
       ziemlicher Rechtsaußen. Alles nicht sehr schön, alles [6][zu Recht in der
       Kritik].
       
       Bei Eintracht Frankfurt wird umgekehrt besonders hervorgehoben, wie toll
       die Fans des Vereins sind (und dass der Titel allein ihretwegen verdient
       sei), was sich vor allem durch ihre Menge [7][und ihre Hingabe] begründet.
       In Barcelona waren 30.000 im Stadion Camp Nou und noch viel mehr in der
       Stadt, obwohl nur 5.000 Tickets für sie vorgesehen waren. Mit Kreativität
       und viel Geduld kauften sie freie Plätze abseits ihres Blocks. Zudem hatten
       sie sich abgesprochen, ihre weißen – und nicht etwa die roten oder
       schwarzen – Trikots zu tragen, sodass ihre schiere Masse auch zu sehen
       war. Ganz nebenbei ist Weiß die Farbe von Barcelonas Erzrivale Real Madrid.
       Was für eine Demütigung. [8][Was für eine Story!]
       
       Und die Leipzigfans? Nun, zum RB-Hass gehört auch das Anhängerbashing. Wie
       man nur Fan eines solchen Vereins sein könne!? Kann man natürlich nicht!
       Ein reines „Eventpublikum“ sei das, echte Leipziger Fußballfans würden es
       [9][mit den Viertligisten Lok oder Chemie halten]. Hämisch wird auch auf
       die geringe Zahl der RB-Auswärtsfahrer verwiesen. Dass es vielleicht auch
       einfach Leipziger gibt, die sich freuen, dass da jetzt ein Bundesligaverein
       in ihrer Stadt spielt, das sogar recht ansehnlich und nun auch noch
       erfolgreich –, das darf in der Vorstellung der Anhänger des wahren™
       Fußballs nicht sein.
       
       ## Irgendwie soll bitte alles wieder so sein wie früher
       
       Was dieser wahre™ Fußball ist? Das ist nie so ganz klar, aber irgendwie
       soll bitte alles so sein wie früher! Als Fußballer noch Schnorres trugen
       und die Bundesliga aus dem festgelegten Kanon der Traditionsvereine von
       Kaiserslautern bis Duisburg bestand, als es ausschließlich Stehplätze gab
       und sämtliche Spiele noch samstags um 15.30 Uhr angepfiffen wurden (wurden
       sie niemals, aber egal).
       
       Es ist die Sehnsucht nach Zeiten, die unwiederbringlich vorbei sind. Geld
       regiert die Fußballwelt. Ein sich als Malocherklub verkaufender Klub wie
       Borussia Dortmund ist an der Börse, der von Traditionsfans für seinen
       „You’ll never walk alone“-Kult verehrte FC Liverpool ist im Besitz der
       US-amerikanischen Fenway Sports Group (immerhin nicht von Scheichs aus
       Katar oder Saudi-Arabien wie andere europäische Klubs). Selbst Freiburg und
       Frankfurt machen jährlich dreistellige Millionenumsätze. RB Leipzig
       hat in diesem Prozess eine Abkürzung genommen, die es so früher einfach
       nicht gab. Wer wahren™ Fußball sehen will, muss sich schon einen
       Kreisligisten suchen.
       
       Weil darauf niemand Lust hat, retten sich die Traditionsfußballfreunde in
       Rituale und überhöhen ihre besondere Zelebrationskultur – stets sehr bemüht
       um die Definitionsmacht dessen, was gutes Fansein ausmacht. Je mehr
       gesungen wird, desto besser. Je pompöser die Fankurvenchoreografie vor dem
       Spiel, desto besser. Je mehr Auswärtsfans, desto besser. Und wer nicht
       hüpft, der ist kein Schalker/Bremer/Kölner! In diesem Sinne wurde auch die
       erfolgreiche „Besetzung“ des Camp Nou abgefeiert. Fan sein wird zu einem
       Stellungskampf, mit den Trikots als Uniformen.
       
       Sein Extrem erlebt dieser Zugang in der Subkultur der Ultras – das sind,
       wie der Name suggeriert, besonders beinharte Anhänger, jeder größere Verein
       hat welche, und sie verhalten sich alle halbwegs ähnlich. Sie singen fast
       die gesamte Spielzeit irgendwelche Fanlieder (egal, was gerade auf dem
       Rasen passiert), wedeln unentwegt mit Fahnen und überhöhen dabei „ihren“ –
       das Besitzanzeigende ist wörtlich zu nehmen – Verein und sich selbst aufs
       Äußerste.
       
       ## Bestenfalls stumme Sitzplatzheinis
       
       Ultras stellen bei Misserfolg auch mal die Spieler zur Rede und
       [10][verlangen von ihnen, die Trikots abzugeben], weil sie es nicht wert
       seien, die Farben des Vereins zu tragen. Oder wählen in Bundesligaspielen
       gegen RB Leipzig als Protestform einen „Stimmungsboykott“ – da sind sie
       dann am Anfang still, [11][mal 15], [12][mal 19 Minuten], oder verweigern
       die Fahrt nach Leipzig gleich ganz. Sie verstehen ihre eigene Abwesenheit
       als etwas, das straft. Wie von sich eingenommen kann man sein?
       
       Das alles ergibt eine toxische Suppe aus Ehrgefühl, Opferbereitschaft und
       Zugehörigkeitswunsch, gepaart mit einer anstrengenden Ernsthaftigkeit und
       dem Anspruch: „Nur wir sind der wahre™ Fußball.“ Wer sich nicht dran hält,
       wird bestenfalls als stummer Sitzplatzheini geduldet, schlimmstenfalls
       verachtet.
       
       Man kann RB Leipzig und sein Publikum auch als Gegenentwurf zu diesem
       arrogant-elitären, wertkonservativen Kitsch verstehen. Sportgucken als
       Unterhaltung, die Freude bereitet, ohne gleich ans Existenzielle zu gehen.
       Warum soll das nicht zumindest denkbar sein?
       
       Kleine Notiz am Rande: Die Finalgegner von Eintracht Frankfurt im
       Europapokal waren die Glasgow Rangers. Sie kommen aus dem
       Ehrliche-Arbeiter-Land Schottland, dem sportlich der Ruf des ewigen
       Verlierers (Underdog! Sympathisch!) anhängt, ihr Finaleinzug war ähnlich
       sensationell wie der von Frankfurt, auf dem Weg dahin haben sie unter
       anderem Borussia Dortmund und – Tatsache – RB Leipzig geschlagen. Die
       Rangersfans sind so dermaßen leidenschaftlich, dass vergangene Woche
       100.000 von ihnen in den Finalort Sevilla gereist sind. Demgegenüber waren
       es nur 50.000 Eintrachtfans.
       
       Nach ihrer eigenen Logik haben die Frankfurter das Finale also verloren.
       
       29 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Frankfurts-Triumph-in-der-Europa-League/!5852301
   DIR [2] /Leipzig-gewinnt-den-DFB-Pokal/!5853479
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=AMOvQ-UrrxA
   DIR [4] https://www.ardmediathek.de/video/doku-und-reportage/eintracht-eine-traumreise-durch-europa/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xNzE2MDI
   DIR [5] https://www.vfl.de/offener-brief-pokalfinale/
   DIR [6] /DFB-Pokalsieg-von-RB-Leipzig/!5853453
   DIR [7] /Fan-Euphorie-bei-Eintracht-Frankfurt/!5851944
   DIR [8] /Eintracht-Frankfurt-besiegt-Barcelona/!5846119
   DIR [9] /Ueber-Fussball-Fans-und-Verbundenheit/!5647628
   DIR [10] https://www.rbb24.de/sport/beitrag/2022/04/fussball-bundesliga-hertha-bsc-trikots-ultras-derby-niederlage.html
   DIR [11] https://www.mopo.de/sport/fussball/aus-protest-union-ultras-kuendigen-stimmungsboykott-an/
   DIR [12] https://rblive.de/news/protest-mit-stimmungsboykott-gegen-rb-leipzig-angekuendigt-fans-von-borussia-moenchengladbach-schweigen-19-minuten-3372178
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Brake
       
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