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       # taz.de -- Entwicklungsplan für Kulturflächen: Kultur soll ganz normal werden
       
       > Bremens Koalition will Kultur schon bei der Stadtplanung mitdenken.
       > Ähnliches fordert auch das Clubkombinat in Hamburg.
       
   IMG Bild: Von Beginn an mitgedacht: Neues Probenhaus der Bremer Philharmoniker im Tabakquartier
       
       Bremen taz | Irgendwo, im Jahr 2020. Eine selbstgebaute Bar unter Bäumen,
       mit Elektropartys und Yoga, mit Konzerten, Workshops, Kino. Sogar getanzt
       darf werden, unter freiem Himmel, immer fünf Menschen auf einer Palette.
       Irgendwo, das ist hier keine Ortsbezeichnung, sondern ein Kultur- und
       Partyprojekt im Süden von Bremen. Und obwohl es im Sommer 2020 richtig gut
       läuft, steht es vor dem Aus.
       
       Denn die Fläche, die der Verein Kulturbeutel mit dem Irgendwo bespielt, ist
       zugleich ein Gewerbegebiet – eines der größten rund um den Flughafen und
       ziemlich wertvoll: Von vier Millionen Euro ist die Rede. Als ein Investor
       Interesse zeigt, soll das Irgendwo weichen. Für das Kulturprojekt werde es
       „eine Lösung geben, aber hier ist es nicht“, ist [1][damals die Ansage] aus
       dem links geführten Wirtschaftsressort.
       
       Am Ende kommt es anders: Das Irgendwo darf bleiben, es [2][gibt einen
       Deal.] Das Stadtentwicklungsressort von Bausenatorin Maike Schaefer (Grüne)
       verspricht der Wirtschaftsbehörde, zum Ausgleich eine andere Fläche zum
       Gewerbegebiet zu machen. „Aber bis dahin war es ein jahrelanger Kampf“,
       fasst die Bürgerschaftsabgeordnete und kulturpolitische Sprecherin der
       Grünen, Kai Wargalla, den Prozess zusammen. „Für jedes Kulturprojekt muss
       irgendeine Ausnahme begründet werden. Das reibt die Kulturakteure auf.“
       
       Das Irgendwo ist nicht allein mit dieser Historie. Auch andere
       Kulturprojekte in der Stadt – prominent das Partykollektiv Zucker – mussten
       viele Jahre auf eine Bleibeperspektive warten oder x-mal umziehen.
       
       ## Privileg auf Flächen
       
       Die Bremer Regierungsfraktionen wollen dafür sorgen dass es in Zukunft zum
       Regelfall wird, Kultur bei der Stadtplanung mitzudenken. Den Antrag auf
       einen Kulturflächenentwicklungsplan haben sie vor zwei Wochen in die
       Stadtbürgerschaft eingebracht.
       
       So schön das klingt: Ganz leicht wird es nicht. Der große Wurf sieht am
       Ende vermutlich eher nach vielen, vielen kleinen Einzelmaßnahmen aus.
       
       Das Problem bisher: Bebauungspläne sind meist zu breit aufgestellt, um
       Kulturflächen tatsächlich zu schützen. Kulturorte, das ist der gute Part,
       können zwar in fast allen Baugebietskategorien zugelassen werden. Aber
       Vorrang hat dort für gewöhnlich etwas anderes: Gewerbe im Gewerbegebiet,
       Wohnbebauung im Wohngebiet. Und mit denen kann Kultur schon finanziell kaum
       mithalten.
       
       Was es daher braucht, damit Kultur konkurrenzfähig wird, ist ein
       privilegierter Zugriff auf Flächen. Ideen dafür gibt es. Der städtebauliche
       Instrumentenkasten muss nicht neu erfunden werden. Die meisten Maßnahmen
       finden bereits in irgendeiner Form statt – aber bisher eben nicht
       regelhaft.
       
       Echte Kulturgebiete sieht das Baugesetz des Bundes nicht vor, aber die
       Einstufung als „sonstiges Sondergebiet“ mit der Zusatzdefinition Kultur
       kann aushelfen. In Bremen Nord etwa wurde so ein Gebiet für das Areal rund
       um den Knoops Park festgelegt – andere Nutzungen sind dort jetzt nur noch
       ausnahmsweise zulässig.
       
       Überall funktioniert diese Lösung aber nicht: Kultur will meist nah dran
       sein am Leben der Stadt; ein ganzes Gebiet als exklusives „Sondergebiet“
       lässt sich mit diesem Wunsch nur schwer vereinbaren.
       
       Bei Grundstücken, die der Stadt selbst gehören, kann eine Konzeptvergabe
       weiterhelfen: Anders als in normalen Ausschreibungen zählt dann bei der
       Entscheidung für einen Nutzer nicht nur der höchste Preis, sondern auch
       andere Ziele, die sich die Stadt für das Vergabekonzept ausdenkt – das kann
       auch Kultur sein.
       
       Wenn gleich ein ganzes neues Quartier entstehen soll, kann die Stadt den
       Investor auch durch einen städtebaulichen Vertrag dazu bringen, Kultur auf
       einem Teil der Fläche mitzudenken. In Bremen ist das beim neu entstehenden
       Tabakquartier passiert: Dort wird eine Freie Bühne und das neue Probenhaus
       der Philharmoniker Platz finden.
       
       Die Instrumente können nur greifen, wenn sie genutzt werden – und das
       möglichst frühzeitig. Eine der wichtigsten Forderungen des Antrags ist
       deshalb der Kulturflächenentwicklungsplan: Der Senat müsste sich dafür
       einen Überblick über die ganze Stadt verschaffen und von vornherein
       schauen, wo besonders geeignete Flächen reserviert werden können.
       
       ## Forderungen auch in Hamburg
       
       Nach Schema F geht das nicht, ein Festival braucht andere Bedingungen als
       Atelierräume. Die Stadtplanung müsste also mit viel Vorstellungskraft ans
       Werk gehen. Grundsätzlich zeigt sich die Stadt aber aufgeschlossen: „Eine
       strukturierte und in die Zukunft gerichtete Flächenplanung unter
       Berücksichtigung von Kulturbedarfen“, stellt der Bremer Senat schon 2021 in
       der Antwort auf eine Große Anfrage in Aussicht, um „für die weitere
       kulturelle Entwicklung Bremens auch Flächen für sich erst abzeichnende
       mögliche Nutzungen vorhalten zu können“.
       
       Die Diskussion ploppt gerade überall in Deutschland auf – und das Anliegen
       findet immer öfter auch Gehör. Das Grundproblem ist überall das gleiche:
       Städte wachsen, der freie Raum wird enger und umkämpfter, Kultur hat das
       Nachsehen. In Hamburg fordert ganz aktuell das [3][Clubkombinat in einem
       Manifest] „Freie Räume für die Kultur“. Auch hier ist einer der
       Hauptwünsche: Die Stadtplanung muss Kultur vorausschauend mitdenken.
       
       Für einige Kulturinstitutionen gibt es etwas in der Art bereits: Das
       Hamburger Clubkataster dokumentiert immerhin die bestehenden Strukturen.
       Mehr soll folgen: Die rot-grüne Regierung hat sich [4][im Koalitionsvertrag
       schon vorgenommen,] bei neuen Stadtentwicklungsvorhaben Kultur verbindlich
       zu vereinbaren.
       
       12 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Flaechenkonflikt-um-Bremer-Kulturprojekt/!5722564
   DIR [2] /Bremer-Subkultur-mit-Zukunftsperspektive/!5729491
   DIR [3] https://www.stadtkultur-hh.de/2022/05/manifest-wirbrauchenraeume-veroeffentlicht/
   DIR [4] /Hamburger-Koalitionsvertrag/!5686614
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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