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       # taz.de -- Plan für staatliches Tierwohllabel: Schnitzel vom glücklichen Schwein
       
       > Agrarminister Özdemir schlägt eine staatliche Kennzeichnung von Fleisch
       > und Wurst vor. Das Wichtigste zum geplanten Fleischlabel.
       
   IMG Bild: Freilandschweine auf einem Bioland-Bauernhof
       
       Berlin taz | Ob ein Tier ein besseres oder schlechteres Leben hatte, bevor
       es als Wurst, Schnitzel, Steak auf dem Teller landet, wird künftig auf der
       Verpackung zu sehen sein: Der grüne Bundesagrarminister Cem Özdemir hat am
       Dienstag Eckpunkte für eine staatliche Kennzeichnung vorgestellt, die
       Pflicht werden soll. Sie sei, sagte er, ein Baustein, um die Tierhaltung
       „zukunftsfest“ zu machen, sodass es ein „gutes Einkommen“ für Landwirtinnen
       und Landwirte gebe, [1][das Tierwohl geachtet und der Schutz der
       Biodiversität und der Klimaschutz gewährleistet] werde. Was ändert sich?
       
       Liegen Fleisch und Wurst mit neuer Kennzeichnung in jedem Supermarkt? 
       
       Die Kennzeichnungspflicht soll sich zunächst auf frisches Schweinefleisch
       beschränken: gekühlt oder gefroren, verpackt oder unverpackt, im
       Lebensmittelladen, Fleischereifachgeschäft, auf dem Wochenmarkt oder im
       Onlinehandel. Es ist die beliebteste Fleischart in Deutschland. Im
       vergangenen Jahr hat jede und jeder Deutsche 9,4 Kilo Fleisch vom Rind und
       Kalb sowie 13,1 Kilo vom Geflügel gegessen. Vom Schwein waren es, wenn auch
       10 Kilo weniger als noch vor zehn Jahren, satte 31 Kilo.
       
       Woran lässt sich erkennen, wie es dem Schwein erging? 
       
       Die Kennzeichnung soll fünf Stufen haben. „Stall“ wird für eine Haltung
       stehen, die den gesetzlichen Mindestanforderungen entspricht. Bei
       „Stall+Platz“ soll das Schwein 20 Prozent mehr Platz haben, der Stall etwas
       komfortabler eingerichtet sein. „Frischluftstall“ heißt: Das Schwein hat 46
       Prozent mehr Platz, eine Seite des Stalls ist offen. Bei „Auslauf/Freiland“
       kann das Tier mindestens acht Stunden am Tag raus. Dazu kommt die Stufe:
       „Bio“. [2][Wie die Tiere transportiert und geschlachtet werden], spielt für
       das Label keine Rolle, das soll gesetzlich geregelt werden. Wer schummelt,
       soll mit Bußgeldern rechnen müssen.
       
       Werden alle Tiere künftig besser leben? 
       
       Die Tiere werden auf keinen Fall sofort glücklicher, nach und nach dürfte
       sich aber etwas tun. Das zeigt die Erfahrung. Schon im April 2019 haben die
       großen deutschen Handelskonzerne freiwillig selbst ein vierstufiges Label
       eingeführt.
       
       Seither fragt die Umweltorganisation Greenpeace jedes Jahr bei den großen
       Ketten nach, 2021 waren in den Supermärkten demnach noch 90 Prozent des
       Fleisches mit den unteren Haltungsformen 1 oder 2 gekennzeichnet,
       allerdings mit einer Verschiebung von 1 nach 2. Und: [3][Aldi, Rewe, Penny
       haben zum Beispiel angekündigt, ab 2030 nur noch Frischfleisch der
       Haltungsformen 3 und 4 zu verkaufen]. Ein Grund: In Umfragen geben 92
       Prozent der Deutschen an, dass ihnen wichtig sei, wie Tiere gehalten
       werden.
       
       Wem schmeckt das Label nicht? 
       
       Bäuerinnen und Bauern sind unter Druck. Die Zahl der Betriebe, die Schweine
       halten, sinkt schon jetzt: 2019 waren es noch 21.200 deutschlandweit, 2021
       noch 18.800 – ein Rückgang um gut 11 Prozent. Nun treibt noch der
       Ukrainekrieg die Kosten für Energie und Getreide nach oben. Schweine
       bringen derzeit wenig ein, eher zahlt ein Betrieb noch drauf. Das Geld für
       einen Umbau der Ställe: knapp. Allerdings stemmt sich niemand gänzlich
       gegen Özdemirs Plan. Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen
       Bauernverbands, sieht „einen ersten wichtigen Schritt, aber auch noch
       erhebliche Lücken“.
       
       Steigt der Preis fürs Schnitzel? 
       
       Regierungsberater schlagen schon seit Längerem einen Aufschlag von 40 Cent
       pro Kilo Fleisch vor, damit Bauern für eine bessere Tierhaltung mehr Geld
       bekommen. Das will die FDP in der Ampelkoalition aber nicht, sie lehnt eine
       Abgabe, auch einen höheren Mehrwertsteuersatz ab. Für Bäuerinnen und
       Bauern, die ihre Ställe nun tierfreundlicher umbauen, sind im
       Bundeshaushalt bis zum Jahr 2026 1 Milliarde Euro vorgesehen. Özdemir
       meint, das reiche langfristig nicht. Er versicherte: „Wir lassen die Bauern
       nicht im Stich.“
       
       Oder doch lieber ganz ohne Fleisch? 
       
       Allein im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 98.000 Tonnen Lebensmittel
       hergestellt, [4][die Fleisch oder Fleischprodukte mit pflanzlichen
       Alternativen ersetzen] – 17 Prozent mehr als 2020. Schon seit geraumer Zeit
       geht der Fleischkonsum insgesamt in Deutschland zurück. 2021 lag er pro
       Person und Jahr bei 55 Kilogramm. Das sind 7,8 Kilo weniger als noch zehn
       Jahre zuvor. Dennoch: Der Wert der Fleischproduktion 2021 entsprach mit
       35,6 Milliarden Euro noch immer rund dem 80-Fachen des Wertes der
       Fleischersatzprodukte.
       
       Wann wird das Label kommen? 
       
       Schon CDU-Frau Julia Klöckner und CSU-Mann Christian Schmidt, die vor
       Özdemir das Agrarressort innehatten, planten mehr Tierwohl. Sie
       scheiterten. „Wir sind zum Erfolg verdammt“, meinte Özdemir. Und: „Ich
       möchte, dass die landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland eine
       Zukunft hat.“ Geht es nach ihm, startet die Kennzeichnung im Laufe des
       kommenden Jahres.
       
       7 Jun 2022
       
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   DIR Hanna Gersmann
       
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