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       # taz.de -- Debatte um Übergewinnsteuer: Freie Fahrt für Ölkonzerne
       
       > Immer mehr Politiker:innen von SPD und Grünen fordern eine
       > Extrasteuer auf Krisengewinne, wie es sie in Italien und Großbritannnien
       > gibt. Doch die FDP mauert.
       
   IMG Bild: Trotz Steuersenkung: Die nächste Tankfüllung wird teuer
       
       Berlin taz | Die Spritpreise steigen weiter. Am Mittwoch veröffentlichte
       der ADAC seine neue Wochenstatistik; seit der Senkung der Kraftstoffsteuer
       kletterten die Preise an den Tankstellen demnach Tag für Tag. Pro Liter
       Super zahlen die Mineralölkonzerne seit Anfang Juni 35 Cent weniger
       Steuern, bei den Kunden kommen davon inzwischen aber nur noch 20 Cent an.
       Der gleichzeitige Anstieg der Rohölpreise erklärt den Trend laut ADAC „nur
       bedingt“.
       
       Unwahrscheinlich also, dass innerhalb der Ampel-Koalition die Debatte über
       eine Übergewinnsteuer für die Ölkonzerne schnell endet. [1][Finanzminister
       Christian Lindner würde sie gerne abwürgen] und hat erst am Dienstag wieder
       klargemacht, dass die Steuer mit der FDP nicht zu machen sei. Für die
       Befürworter*innen bei SPD und Grünen ist die Sache damit allerdings
       nicht erledigt. „Gerade jemand, der die Schuldenbremse nicht antasten
       möchte, sollte in der Frage nicht aus ideologischen Gründen dichtmachen“,
       sagte der EU-Abgeordnete Rasmus Andresen am Mittwoch der taz.
       
       Ein einheitliches Konzept für die Forderung nach der Übergewinnsteuer gibt
       es noch nicht, dafür aber den häufigen Verweis auf das Beispiel Italien. 25
       Prozent zusätzliche Steuern zahlen Energieunternehmen dort auf alles, was
       sie innerhalb von sieben Monaten mehr eingenommen haben als in der
       vorangegangenen Zeit. Die italienische Regierung rechnet mit rund elf
       Milliarden Euro zusätzlicher Einnahmen, die in Entlastungspakete fließen
       sollen.
       
       In der Berliner Koalition waren Forderungen nach einer Übergewinnsteuer
       seit Längerem zumindest vereinzelt zu hören. Auf dem Kleinen Parteitag der
       Grünen Ende April ging ein entsprechender Antrag zwar noch nicht durch,
       Parteichefin Ricarda Lang schloss sich der Forderung aber schon damals an.
       [2][Auch Vizekanzler Robert Habeck zeigte sich offen]. Zuletzt mehrten sich
       entsprechende Forderungen aus der Partei dann, am Mittwoch legte auch
       Habeck nach. „Ich finde es richtig, nicht jeden Gewinn zu akzeptieren“,
       sagte er im Interview mit RTL.
       
       Dass das Thema in der Partei mehr und mehr Unterstützung findet, ist nicht
       zuletzt eine Reaktion auf den unter Grünen unbeliebten Tankrabatt und die
       weiter steigenden Preise. Die Übergewinnsteuer erscheint da als Frage der
       Gerechtigkeit. Eine Rolle spielt aber auch, dass andere Staaten
       mittlerweile vormachen, wie es gehen könnte – neben Italien unter anderem
       Großbritannien. Aus Grünen-Kreisen ist zu hören, das man aktuell an eigenen
       konkreten Konzepten arbeitet.
       
       ## Die SPD-Minister halten sich vorerst zurück
       
       In der SPD kritisierte zuletzt Lars Klingbeil, sonst ein Freund moderater
       Töne, dass die Mineralölkonzerne „in der Krise die Taschen noch voller
       machen“. Deshalb müsse man mit einer Übergewinnsteuer extreme Krisengewinne
       abschöpfen. Offenbar will Klingbeil die Partei wieder als eigenständige
       Stimme hörbar machen.
       
       Von den SPD-Ministern hört man zu dem Thema dagegen bislang nichts. Auch in
       der Bundestagsfraktion ist es in Sachen Übergewinnsteuer eher ruhig –
       vielleicht auch, weil viele im Urlaub sind. SPD-Fraktionsvize Matthias
       Miersch erklärte Ende letzter Woche, wir müssten uns fragen, „ob bestimmte
       Gewinne nicht sittenwidrig sind“. Daher müsse die Politik auch über Modelle
       nachdenken, wie man Krisengewinne abschöpfen kann. Das klang nach viel
       Konjunktiv und „man müsste mal“ – und nicht nach dem Kampfesmut, den man
       für den Streit mit FDP-Finanzminister Christian Lindner braucht.
       
       Dabei sind die Fakten eindeutig: Die fünf größten Mineralölkonzerne haben
       von Januar bis März 30 Milliarden Euro verdient, doppelt so viel wie im
       ersten Quartal 2021. Die Initiative für eine neue Steuer geht in der SPD
       derzeit von der Partei aus – und von den Ländern.
       
       So hält Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies die Preispolitik der
       Mineralölkonzerne für „schlicht unanständig und unmoralisch“. Das
       Kartellamt müsse mehr tun. Falls dort weiter nichts passiere, so Liess,
       „muss die Übergewinnsteuer kommen, wie sie Italien und Großbritannien
       bereits eingeführt haben.“
       
       ## Am Freitag im Bundesrat
       
       Den Schritt von der Kritik zur praktischen Anwendung will das rot-rot-grün
       regierte Bremen gehen. Bremen will am Freitag eine Initiative für die
       Übergewinnsteuer in den Bundesrat einbringen. Bremens SPD-Bürgermeister
       Andreas Bovenschulte sagte der SPD-Zeitung vorwärts, dass es nicht richtig
       sei, wenn die Politik mit Entlastungspaketen die Inflation abfedere und
       sich gleichzeitig „einige Unternehmen allein aufgrund der kriegsbedingten
       Preissteigerungen die Taschen voll machen“.
       
       Aber der Bundesfinanzminister und die FDP lehnen die Übergewinnsteuer eben
       rigoros ab. Am Dienstagabend verliert Christian Lindner, bei dem sonst
       jedes Wort und jede Handbewegung sitzt, für einen kurzen Moment die
       Kontrolle. Der Bundesfinanzminister ist zu Gast bei Maischberger und soll
       sich erklären: War der von der FDP durchgesetzte Tankrabatt ein Geschenk
       für die Mineralölkonzerne? Und überhaupt: Braucht es nun eine
       Übergewinnsteuer?
       
       Lindner lacht etwas hysterisch, nachdem er den etwas bescheidenen Witz
       gemacht hat, dass die FDP ja leider die absolute Mehrheit bei der
       Bundestagswahl verloren hat. Sonst hätte er den jetzt so kritisierten
       Tankrabatt so umgesetzt, dass mehr Transparenz da gewesen wäre beim
       Einkaufs- und Verkaufspreis des Benzins, behauptet er. Aber das wollten
       laut Lindner die Grünen nicht.
       
       ## Skeptisch aus Tradition
       
       Es ist einer der wenigen Momente, in denen Lindners Anspannung zutage
       tritt. In der Ampel läuft es nicht gut und für die Liberalen erst recht
       nicht. Drei Landtagswahlen infolge hat die Partei versemmelt. In der
       Diskussion um die Übergewinnsteuer sieht er offenbar eine wichtige
       Profilierungsfrage: Auf Steuererhöungen reagieren die Liberalen
       traditionell allergisch. In den Koalitionsverhandlungen hatten sie
       durchgesetzt, dass es keine geben soll.
       
       Eine „willkürliche Steuererhöhung“ für eine einzelne Branche, fürchtet
       Lindner, könne dazu führen, dass die Preise an der Zapfsäule noch weiter
       steigen. Schließlich ginge es ja um eine Weltmarktentwicklung und
       Deutschland habe keine eigenen Ölquellen. Zudem sieht er mit einer solchen
       Steuer die Rechtssicherheit des deutschen Steuerrechts in Gefahr. Das
       Kartellamt müsse dafür sorgen, dass es keine illegalen Preisabsprachen
       gibt. Dazu, dass andere Länder es eine solche Steuer bereits umgesetzt
       haben, verliert er kein Wort.
       
       Nach Einschätzung [3][der FDP-Abgeordneten Ria Schröder] herrscht bei dem
       Thema innerhalb der Fraktion Einigkeit. Sie selbst hält diese Steuer für
       „volkswirtschaftlich mindestens fragwürdig.“ Es sei allein
       interpretationsbedürftig, „was Gewinn und was Übergewinn ist.“ Zudem sieht
       sie viel zu viel Raum für Willkür. „Sollen Biontech, die LNG-Produzenten
       oder Windkraftanlagen darunter fallen oder nur die Branchen, die in der
       Gesellschaft einen schlechten Ruf haben, wie Mineralölkonzerne?“ fragt sie.
       Auch sie hält daran fest: Keine Steuererhöhungen.
       
       9 Jun 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
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