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       # taz.de -- Migrationsexpertin über Auswanderungsgründe: „Es gibt keine Demokratie“
       
       > Nicht Armut treibe die Menschen aus Afrika nach Europa, sondern
       > politische Frustration und mangelnde Freiheit, sagt Fatou Faye.
       
   IMG Bild: Abgefangene afrikanische Flüchtlinge und Migranten im Gasr Garabulli, Libyen
       
       taz: Wenn in Europa über Migration gesprochen wird, dann ist in aller Regel
       [1][jene von Afrika nach Europa] gemeint. Dabei hat Migration innerhalb
       Westafrikas eine weitaus größere Bedeutung. 
       
       Fatou Faye: Es braucht einen anthropologischen Ansatz: Früher hat man das
       nicht als Migration verstanden. [2][Ein Peul] [Angehöriger bis heute
       halbnomadisch in Westafrika lebender Ethnie, Red.] beispielsweise, der von
       Senegal nach Mali oder Guinea geht, also dorthin, wo ebenfalls Peul leben,
       sieht das als sein Land an. Er sieht sich nicht als Ausländer. Anderen
       Volksgruppen geht es genau so.
       
       Es gab also ein Konzept für das, was wir heute Migration nennen. Das war
       kein Problem. Mit der Schaffung der Nationalstaaten hat sich das geändert.
       Dennoch haben bis heute die meisten Menschen diese Vorstellung von Land.
       Bewegungen über Grenzen lassen sich kaum kontrollieren.
       
       Wie sah es früher mit der Migration Richtung Europa aus? 
       
       Auch sie wurde einst gut geleitet und hat mehr Vor- als Nachteile gebracht.
       Ja, Menschen sind im Meer ums Leben gekommen. So gefährlich waren die
       Routen aber nicht, da die Fischer das Meer kennen. In Europa gab es
       Organisationen, die sich um die Ankommenden gekümmert haben. Dieser
       informelle Austausch wurde akzeptiert. Seitdem die Europäische Union aber
       viel restriktiver geworden ist, [3][seit Frontex] sind diese Routen
       gefährlicher geworden. Das sorgt in Senegal auch dafür, dass es eine
       anti-französische Einstellung und eine gewisse Abscheu gegenüber Europa
       gibt.
       
       Trotzdem ist das Interesse, nach Europa auszuwandern, sehr groß. 
       
       Migration ist für beide Seiten wichtig. In jeder westafrikanischen Familie
       gibt es mindestens einen Migranten in Europa. Dort sind die Zuwanderer
       Arbeitskräfte, und ein kultureller Austausch entsteht.
       
       Diese Sichtweise wird häufig aber nicht geteilt. 
       
       Die EU versucht, Migration zu bekämpfen, wofür viel Geld bereitgestellt
       wird, etwa von der EU, aber auch der deutschen Gesellschaft für
       Internationale Zusammenarbeit (GIZ), auch der spanischen Kooperation. Dabei
       haben die Projekte gar nicht die erhoffte Wirkung. Die entscheidende Frage
       für mich ist: Warum funktioniert das nicht?
       
       Wie lautet Ihre Antwort? 
       
       Es gibt keine Demokratie, und das frustriert die Menschen. Es ist nicht
       möglich, ein anständiges Leben zu führen. Es ist also nicht die Armut, die
       ursächlich für die Migration ist, sondern die Frustration, für die der
       Staat verantwortlich ist. Beispielsweise sind Milliarden [CFA] in Stadien
       investiert worden, auch in Straßen, von denen die ländliche Bevölkerung
       aber gar nichts hat. Auf der anderen Seite müssen Steuern gezahlt werden,
       deren Nutzen man im Alltag aber gar nicht spürt. Man möchte dorthin, wo man
       einen Nutzen von seiner Arbeit hat und Freiheit genießen kann.
       
       Was kann Europa tun? 
       
       Die Europäische Union muss ihren Ansatz ändern, also die Grenzen nicht noch
       weiter dicht machen und Visa verweigern. Restriktionen machen die Routen
       nur noch gefährlicher. Es ist durchaus in Ordnung, ein Visum einzufordern.
       Es muss aber auch die Möglichkeit geben, überhaupt eins zu erhalten. Auch
       darf eins nicht vergessen werden: Menschen haben das Recht auf Migration.
       
       26 May 2022
       
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