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       # taz.de -- Nach dem Massaker in der US-Grundschule: Die Wut der Opfer wächst
       
       > Über den Täter, der in einer Grundschule in Texas 19 Kinder erschoss, ist
       > noch wenig bekannt. Die Debatte über US-Waffengesetze wird schärfer.
       
   IMG Bild: Esmeralda Bravo, 63, zeigt schockiert das Bild ihrer getöteten Enkeltochter Nevaeh
       
       New York taz | Stolz steht Elihana Cruz Torres, zehn Jahre, im Trikot da,
       den Softball-Schläger über die rechte Schulter gelegt. Die ebenfalls
       zehnjährige Lexi Rubio legt den Kopf schief, während sie in die Kamera
       grinst. Jose Flores strahlt auf dem Foto über das ganze Gesicht, in den
       Händen hält er eine Urkunde für seine guten Noten.
       
       Drei von 19 Kindern, die am Mittwoch nicht mehr von ihrer Grundschule nach
       Hause kamen. Ihre Fotos und die anderer Opfer tauchen am Tag nach dem
       [1][Massaker in der texanischen Kleinstadt Uvalde] auf, bei dem ein erst
       18-jähriger Mann die Robb Elementary School stürmte und neben den
       Schüler*innen auch zwei Lehrerinnen erschoss.
       
       Nach und nach sickern am Mittwoch mehr Details zur Katastrophe an die
       Öffentlichkeit. Schreckliche Details wie dieses: Medienberichten zufolge
       mussten verzweifelte Eltern beim Warten auf Nachricht von ihren Kindern
       DNA-Proben abgeben, damit die Opfer überhaupt identifiziert werden konnten.
       
       Uvalde, rund 16.000 Einwohner*innen, etwa 34 Kilometer von der Grenze zu
       Mexiko entfernt, Heimatort des Oscar-prämierten Schauspielers Matthew
       McConaughey – und ab jetzt für immer verknüpft mit dem zweittödlichsten
       bekannten Schul-Amoklauf in den USA. Nur in der [2][Sandy-Hook-Grundschule]
       in Newtown, Connecticut, waren 2012 mit 20 Schüler*innen und sechs
       Erwachsenen mehr Menschen gestorben.
       
       ## Knarre mit 18, Bier mit 21 Jahren
       
       Und wieder einmal flammt der Streit um strengere Waffengesetze auf. „Wann,
       in Gottes Namen, werden wir der Waffenlobby die Stirn bieten?“, hatte der
       demokratische Präsident Joe Biden schon am Dienstagabend im Weißen Haus
       gefragt.
       
       Der Täter von Uvalde, von der Polizei als Salvador R. identifiziert, hatte
       zwei Waffen und passende Munition ganz einfach im Geschäft gekauft – eines
       der Sturmgewehre direkt am Tag nach seinem 18. Geburtstag, wird berichtet.
       „Die Vorstellung, dass ein 18-Jähriger in ein Geschäft gehen und
       Kriegswaffen kaufen kann, die zum Töten entwickelt und vermarktet werden,
       ist einfach falsch“, sagte Präsident Biden am Mittwoch. Er sei „angewidert
       und müde“. Ein Bier in der Bar darf man in den USA erst mit 21 Jahren
       bestellen.
       
       Der Streit um schärfere Gesetze eskalierte auch auf einer Pressekonferenz
       am Mittwochnachmittag in Uvalde, wo Texas’ republikanischer Gouverneur Greg
       Abbott zum Geschehen sprach. Er hatte die Tat als „unerträglich“ und
       „inakzeptabel“ bezeichnet und den Tatvorgang erklärt: Demnach hatte der
       Täter R. zunächst seiner Großmutter ins Gesicht geschossen. Danach sei er
       den bisherigen Ermittlungen zufolge im Auto geflohen und habe dabei einen
       Unfall in unmittelbarer Nähe der Grundschule gehabt, als er in einen Graben
       fuhr.
       
       Durch eine Hintertür sei R. dann gegen 11:30 Uhr in die Schule gelangt, wo
       er sich in einem Klassenzimmer verbarrikadierte und losschoss. Das Blutbad
       endete nach Angaben eines Polizeivertreters, als ein Team der Border Patrol
       den Schützen tötete.
       
       Abbott hatte gerade etwa 15 Minuten gesprochen, als sein Widersacher Beto
       O’Rourke von der Demokratischen Partei nach vorne bis vor die Bühne trat.
       „Das geht auf Ihre Kappe“, rief er dem Gouverneur zu, gegen den er im
       November bei den Gouverneurswahlen ersetzen will. „Sie unternehmen nichts.“
       Behördenvertreter*innen und Poltiker*innen, die mit Abbott auf dem
       Podium saßen, reagierten mit Wut und Beschimpfungen. Ein „kranker
       Scheißkerl“ sei O-Rourke, sagte Uvaldes republikanischer Bürgermeister Don
       McLaughlin.
       
       ## Die immer gleichen Rechtfertigungen der Republikaner
       
       Für die Republikaner*innen ist klar: Mit den laschen Waffengesetzen
       in Texas hat das Massaker nichts zu tun. Abbott hatte mit Erleichterungen
       in der Vergangenheit keine Problem: Erst im Juni vergangenen Jahres
       unterzeichnete er ein Gesetz, mit dem das Tragen von Waffen für
       Bürger*innen ab 21 Jahren ohne Lizenz in der Öffentlichkeit möglich
       wurde.
       
       Am Mittwoch pochte Abbott nun darauf, wie unvorhersehbar das Verhalten des
       Täters gewesen sei. Er habe lediglich 30 Minuten vor Ankunft in der Schule
       angefangen, auf Facebook in drei Beiträgen zu posten, was er vorhabe. Ein
       Sprecher des Facebook-Mutterkonzerns Meta erklärte allerdings später, es
       habe sich um private Nachrichten gehandelt.
       
       Medienberichten zufolge hatte R. einer 15-Jährigen in Deutschland
       Nachrichten geschickt, in denen er über seine Pläne sprach. Auch soll der
       Täter, der ohne Abschluss von der Schule gegangen sein soll, seinen
       Kolleg*innen in einem Fast-Food-Restaurant Angst gemacht haben, schreibt
       die New York Times mit Verweis auf Äußerungen einer Kollegin.
       
       Vorstrafen habe der Täter keine gehabt, mögliche Jugendstrafen seien bisher
       nicht bekannt, psychische Problem auch nicht, sagte Abbott. Doch genau
       darauf zielte der Gouverneur: „Jeder, der jemanden erschießt, hat eine
       psychische Herausforderung, basta“, erklärte er energisch auf eine Frage
       aus dem Pressepulk. Die Gesetze, nach denen sich ein 18-Jähriger eine Waffe
       kaufen könne, gebe es seit Jahrzehnten – was sich aber geändert habe, sei
       die psychische Verfassung der Menschen.
       
       ## Den Angehörigen bleibt die Trauer und immer mehr Wut
       
       Mit dem Pochen auf bessere Versorgung von psychischen Krankheiten allein
       wird er die Wut und Trauer von Opfern und Überlebenden kaum stillen können.
       „Das ist dem, was in Sandy Hook passiert ist, einfach unheimlich ähnlich…“,
       sagte Nicole Hockley von der Organisation „Sandy Hook Promise“ dem Sender
       MSNBC. Sie sei seit den Nachrichten über den Amoklauf in einem
       Schockzustand gewesen. „Es ist, als wäre mein Herz noch einmal aufgerissen
       worden.“ Hockleys Sohn Dylan war bei dem Attentat auf die Grundschule vor
       fast 10 Jahren ermordet worden, seitdem hat sie mit anderen Hinterbliebenen
       die Initiative gegründet, die unter anderem für neue Waffengesetze
       plädiert.
       
       „Fordern Sie Ihre gewählten Vertreter*innen auf, jetzt eine vernünftige
       Gesetzgebung zu verabschieden, mit der die Sicherheit und das Leben von
       Kindern geschützt wird“, [3][schrieb Hockley in einem Statement mit ihrem
       Co-Gründer in Reaktion auf das Attentat von Uvalde]. „Das kann unter
       Wahrung des zweiten Verfassungszusatzes geschehen.“
       
       Dieser zweite Verfassungszusatz garantiert das Recht auf Waffenbesitz. Aus
       dem 18. Jahrhundert stammend, dient er Konservativen in den USA heute noch
       genauso als Rechtfertigung dafür, jedwede strengeren Regeln vehement
       abzulehnen. Viele Befürworter*innen von stärkeren Gesetzen fordern
       etwa, sogenannte Background Checks auszuweiten, also eine genaue
       Überprüfung der Kund*innen bei ausnahmslos allen Waffenkäufen anzusetzen.
       Doch [4][eine entsprechende Gesetzgebungsinitiative] hatte zwar im März
       2021 das Repräsentant*innenhaus passiert, im Senat jedoch sieht es
       dafür düster aus.
       
       Der Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, brachte am Mittwoch zwar zwei
       Vorlagen für verschärfte Hintergrundüberprüfungen potenzieller Waffenkäufer
       ein. Aber er wies direkt darauf hin, dass schon [5][vorangegangene
       Vorstöße] am ehernen Widerstand der Republikaner gescheitert seien. Im
       Repräsentantenhaus kündigten die Spitzen der Demokraten ebenfalls einen
       neuen Anlauf für Verschärfungen an, die aber von der Opposition umgehend
       als zu übergriffig und weitreichend kritisiert wurden.
       
       Während die Kleinstadt Uvalde trauert, will die Waffenlobby-Organisation
       „National Rifle Association“ (NRA) ausgerechnet im 450 Kilometer entfernten
       Houston bei ihrem jährlichen Treffen „Freiheit, Schusswaffen und den
       zweiten Verfassungszusatz“ feiern, [6][wie sie auf ihrer Website angibt].
       Angekündigte Sprecher bei diesem „Wochenende voller Freiheit für die ganze
       Familie“ sind Ex-Präsident Donald Trump sowie der texanische Senator Ted
       Cruz und Gouverneur Abbott.
       
       26 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Massaker-an-Grundschule-in-Texas/!5857166
   DIR [2] /Mann-schiesst-auf-Kinder/!5077163
   DIR [3] https://www.sandyhookpromise.org/press-releases/sandy-hook-promise-statement-on-robb-elementary-school-mass-shooting/
   DIR [4] https://www.congress.gov/bill/117th-congress/house-bill/8
   DIR [5] /Kommentar-US-Schusswaffenkontrolle/!5069559
   DIR [6] https://www.nraam.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eva Oer
       
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