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       # taz.de -- Krieg in Armenien und in der Ukraine: Unbemerkte Tode in Armenien
       
       > Was in einem kleinen Land wie Armenien passiert, wird oft nicht
       > wahrgenommen. So erregte der Krieg um Bergkarabach 2020 wenig
       > Aufmerksamkeit.
       
   IMG Bild: Demonstration im Zentrum der armenischen Hauptstadt Jerewan am 25. Mai 2022
       
       Vor anderthalb Jahren, als in Armenien Krieg war, habe ich jeden Tag vor
       dem Einschlafen und nach dem Aufstehen gebetet. Ich habe gebetet, dass
       jemand den Armeniern hilft. Irgendjemand auf dieser Welt. Doch niemand kam.
       [1][Die Welt hat zugesehen und zugehört,] wie friedliche Menschen
       umgebracht wurden, wie 18-jährige Jungen hingerichtet wurden, wie
       80-jährige hilflose Menschen enthauptet wurden.
       
       In diesen Tagen blicken die Armenier auf die Ukraine, deren Leid Zeugen hat
       und wo die Todesfälle sichtbar gemacht werden für die Welt. Denn gemäß dem
       allgemein akzeptierten Standard ist es in Ordnung, „kleine Tode“ zu
       übersehen, und in Armenien gab es viele davon.
       
       Unsere Niederlage in dem 44-tägigen Krieg hat gezeigt, dass unser Land
       völlig alleine dasteht. Die Frage nach seiner Existenz spielt nur für uns
       selbst eine Rolle, für niemanden sonst. Wir wurden von der ganzen Welt
       beleidigt.
       
       Heute demonstrieren immer noch Menschen in Jerewan, wofür, ist schwer zu
       sagen. Aber die einfachen Leute, die auf die Straßen ziehen, wollen etwas
       ganz Einfaches: dass ihre einsame kleine Heimat nicht aufhört zu
       existieren. Besonders jetzt, wo ein neuer Krieg zwischen allen großen
       Ländern der Welt plötzlich so nahe scheint und die Interessen dieser
       Staaten hier bei uns in Armenien kollidieren könnten.
       
       Die Ukraine ist in Wirklichkeit für die Welt überhaupt nicht wichtig. Doch
       das Gewissen der Welt ist jetzt ruhig, weil ihr „heiliger“ Krieg in der
       Ukraine stattfindet. Und die Welt wird bis zum letzten Ukrainer für sich
       kämpfen.
       
       Ich habe viele ukrainische Freunde, und nicht einer von ihnen hat mich
       während dieser ganzen Kriegszeit in Armenien auch nur ein Mal gefragt, ob
       wir noch am Leben sind oder nicht. Habe ich einen meiner ukrainischen
       Freunde gefragt, ob er noch am Leben ist oder nicht? Ich bin beleidigt,
       weil ich verloren habe.
       
       Aber ich bete für ihr Land, das so schön ist, und für alle dort lebenden
       Menschen, dass sie am Leben bleiben mögen. Ich bete, dass ihr Land nicht
       allein bleibe, dass es also nicht zum Verlierer wird. Ein Verlierer, der
       sich von der ganzen Welt gedemütigt fühlt.
       
       Aber noch mehr bete ich für mein Land. Denn jeder Schuss, der im aktuellen
       Krieg in der Ukraine fällt, hätte auch in Armenien fallen können. Nur hätte
       die Patrone hier für einen „kleinen Tod“ gesorgt, der unbemerkt geblieben
       wäre – gemäß dem allgemein akzeptierten Standard auf der Welt.
       
       Aus dem Russischen von Gaby Coldewey 
       
       Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA
       im September als Dokumentation heraus.
       
       27 May 2022
       
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