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       # taz.de -- Merkel, Atwood und summende Autos: Der Glaser schmeißt Scheiben ein
       
       > Die Altkanzlerin erfrischt mit faktenreicher Sturheit und der Tankrabatt
       > ist gescheitert. Außerdem: der britische Snobismus des Boris Johnson.
       
   IMG Bild: „Merkel plädiert für Diplomatie, die nicht widerlegt sei, wenn sie scheitert“
       
       taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche? 
       
       Friedrich Küppersbusch: „Früher war alles besser.“
       
       Und was wird besser in dieser? 
       
       Steinmeier fordert neues soziales Pflichtjahr.
       
       [1][Das Misstrauensvotum gegen den britischen Premier Boris Johnson ist
       gescheitert]. Ist das nun das Ende der „Partygate“-Affäre? 
       
       Vorname „Boris“ derzeit kein Selbstläufer in England. 2019 wählten viele
       Brexit oder Johnson oder beides, zusammen eine fette Mehrheit.
       
       Die zerfällt nun in Mehrbrexiteers, Wenigerbrexiteers, Gefrustete und
       Gefrostete. Und nicht zu wenige, die die Flegeleien des Struwwelputer als
       Ausdruck britischen Snobismus quite amusing finden. Thatcher rettete sich
       in den bizarren Falklandkrieg, May begegnete einem Untergang namens
       Johnson. Der selbst stellt den Briten die Frage, ob es auch mit einem
       Entertainer geht, wo kein Nachfolger sich aufschwingt. Prognose: Why not?
       
       Eine feuerfeste Ausgabe von [2][Margaret Atwood]s „Report der Magd“ wurde
       für 130.000 Dollar versteigert – um gegen die Verbannung bestimmter Bücher
       zu protestieren. Ist das eine gute Idee? 
       
       Autorin und Verlag feuern Aufmerksamkeit auf ein Buch, das uns 1985 ein
       ziemlich mieses Jetzt vorhersagte. Die „Magd“ beschreibt eine Diktatur
       fundamentalistischer Eiferer vor allem gegen Frauen; der Albtraum ist auch
       heute in den USA nicht final erschlagen. Man könnte schlechtere Bücher
       nicht verbrennen.
       
       [3][Angela Merkel ist zurück] – oder so ähnlich. Im ersten Interview seit
       Langem gesteht sie kaum Fehler in ihrer Politik ein. Richtig so? 
       
       „Jurassic Park“ läuft doch auch gut. Merkel plädiert für Diplomatie, die
       nicht widerlegt sei, wenn sie scheitert: Für den Satz braucht es jetzt mehr
       Mut als für ein Dutzend hofreiternde Wehrertüchtigungsreden. Die
       Altkanzlerin verzichtete auf das Argument, 2014 mit dem Minskprozess die
       Katastrophe acht Jahre aufgehalten zu haben.
       
       Acht Jahre, in denen die USA, die Nato, der Westen die Ukraine mit Geld,
       Waffen, Beratern vollpumpen konnten. Das unterscheidet auch Minsk von
       München 1938 und dem allfälligen „Appeasement“-Vorwurf.
       
       Nachdem Steinmeier die letzten 20, Kubicki gleich die letzten 50 Jahre
       ihrer Politik bedauert haben, erfrischt Merkel mit faktenreicher Sturheit.
       Sie spazierte fünf Wochen an der Ostseeküste und fing sich keinen Bückling.
       
       Seit knapp zwei Wochen gilt nun [4][das 9-Euro-Ticket]. Zeit für ein erstes
       Resümee: Alles ein kurzer Spaß oder der Beginn einer Verkehrswende? 
       
       Viele Züge machen so dicke Backen wie sonst nur die Konten der
       Mineralölkonzerne. Der ÖPNV erbringt für das Staatsgeld eine Mehrleistung:
       mehr Passagiere, mehr Fahrten, mehr Ärger. Die Tanken tun, was sie immer
       tun, und kassieren 3 Milliarden dafür.
       
       Das ist von vornherein ein Konstruktionsfehler. Nun hagelt es hilflose
       Versuche, von „Übergewinnsteuer“ über neues Kartellrecht bis zu
       rhetorischen Drohungen.
       
       Die FDP tremoliert, hat’s verbockt und zeigt nun auf Habeck: Der Glaser
       schmeißt die Scheiben ein und sagt: Da müssen neue rein. Einmal vollzanken,
       bitte. Stand jetzt ist die Spritsubvention gescheitert und das
       Günstigticket eine Chance.
       
       Apropos Verkehrswende: Ab 2035 soll laut EU [5][der Verkauf von Neuwagen
       mit Verbrennungsmotor verboten] sein. Wie geht es dann weiter? 
       
       Leiser. Wir sollten schon in Kitas und Kindergärten von „brummbrumm“ auf
       „summsumm“ umschulen.
       
       Seit Monaten steigen die Preise für Verbraucher*innen. Nun kündigt die
       Europäische Zentralbank nach einem Jahrzehnt [6][die Anhebung des
       Leitzinses] an. Wird das die Inflation dämpfen? 
       
       Hiermit verzichte ich auf Weltruhm als Finanzexperte und frage stattdessen:
       Was anderes wird passieren, als dass uns Handel und Dienstleister die
       gestiegenen Zinskosten auf die Preise draufknallen? (Tankstellen-Faktor mal
       5, uns war halt danach.)
       
       CDU und Grüne in NRW haben sich geeinigt: Sie werden die Regierung bilden.
       Welches Vorhaben sollte die Koalition unbedingt umsetzen? 
       
       Beide versprechen aus entgegengesetzten Richtungen eine „Versöhnung von
       Wirtschaft und Klima“. Bisher gibt es nur Terminpläne und Zuckerwatte aus
       dem Hochdruckgebläse. Unter den nun beginnenden Koalitionsverhandlungen
       wird durchsickern, ob es ein Nobelpreis wird, oder ’ne Landesregierung in
       Düsseldorf.
       
       Und was machen die Borussen? 
       
       Pausenunterhaltung: Transfergerüchte. Derzeit mehr Kandidaten als neue
       Freundinnen bei Mats Hummels.
       
       12 Jun 2022
       
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