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       # taz.de -- Strom für E-Autos: Ignorante Ladesäulen
       
       > Der Wert von Strom schwankt durch Wind und Sonne erheblich. Die Preise
       > bleiben trotzdem gleich und damit auch das Verbraucherverhalten.
       
   IMG Bild: Immer der gleiche Preis – eine Ladesäule für E-Autos
       
       Ortstermin am Autobahnkreuz Hilden in Nordrhein-Westfalen, an einem der
       europaweit größten Ladeparks für Elektroautos. Es ist ein ambitioniertes
       Projekt, das – nette Anekdote am Rande – von einem regionalen Biobäcker
       realisiert wurde. Aber um das Projekt selbst soll es hier gar nicht gehen,
       sondern vielmehr darum, wie sich in Hilden exemplarisch die vielleicht
       größte Fehlsteuerung der Energiewende offenbart.
       
       Der [1][Wert einer Kilowattstunde Strom] schwankt in Deutschland inzwischen
       erheblich, was sich logisch aus dem steigenden Anteil von Solar- und
       Windstrom ergibt. Mal ist Strom im Überfluss im Netz, weil gerade eine
       Sturmfront übers Land zieht oder weil flächendeckend die Sonne auf die
       Dächer brennt. Wenn dann noch Wochenende ist und die Stromnachfrage gering,
       kann Strom für Stunden zu einem wertlosen Produkt verkommen.
       
       Zu anderen Zeiten hingegen, wenn Sonne und Wind gleichermaßen fehlen und es
       zudem auch noch kalt ist in Mitteleuropa, wird die Kilowattstunde Strom
       sehr wertvoll – schlichte Ökonomie; Angebot und Nachfrage eben. Der
       Spotmarkt der Strombörse macht diese Wertschwankungen zeitlich
       hochaufgelöst transparent: Im 15-Minuten-Takt des [2][Intraday-Markts]
       bekommt der Strom jeweils sein aktuelles Preisschild aufgedrückt.
       
       Betreiber flexibler Kraftwerke reagieren darauf. Sie erhöhen oder drosseln
       ihre Produktion entsprechend der Marktsignale und liefern so den Ausgleich,
       den das Netz für seine physische Stabilität dringend benötigt. So weit, so
       gut, so eingespielt. Zugleich aber herrscht im Land eine Praxis, die zu
       diesem ausgeklügelten System der Stromerzeugung so gar nicht passt. Sie
       könnte im weiteren Verlauf der Energiewende zu einem handfesten Problem
       werden.
       
       Womit wir wieder in Hilden sind. Betreiber haben hier Dutzende von
       Ladesäulen für Elektroautos installiert. An manchen können die Fahrzeuge
       mit einer Leistung von bis zu 250 Kilowatt tanken. Befremdlich jedoch: Für
       die Kunden ist der Preis zu allen Zeiten gleich – egal, ob die
       Kilowattstunde im Großhandel gerade 70 Cent kostet, wie schon der Fall,
       oder ob der Strom zu einem [3][negativen Preis] gehandelt wird, was
       ebenfalls immer wieder vorkommt.
       
       ## Keine passenden Messgeräte
       
       Würden die Verkaufspreise an die Preise der Strombörse gekoppelt, könnte
       bei hohem Anteil erneuerbarer Energien das Tanken billiger werden. Nur ist
       das bislang nicht praktikabel. Zwar erklärte das
       Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage, zeitvariable Tarife seien
       durchaus zulässig – sofern „entsprechend geeignete und
       konformitätsbewertete Messgeräte“ zur Verfügung stünden. Daran aber hapert
       es offenbar – an eichrechtlichen Fragen.
       
       Damit wird eine Absurdität der Energiewende-Wirtschaft deutlich: Während
       die Stromwirtschaft mit ihren Kraftwerken viel Aufwand betreibt, um die
       schwankende Erzeugung der Erneuerbaren auszugleichen, bleiben Anreize für
       Verbraucher, sich im Sinne des Stromnetzes zu verhalten, auf der Strecke.
       Die Chance, durch Verlagerungen von Nachfrage Extrembelastungen des
       Stromsystems zu entschärfen, wird damit verspielt.
       
       Unverständlich, bei diesen Mengen: Alljährlich könnten durch zeitvariables
       Laden von Autos 70 Milliarden Kilowattstunden auf solche Termine verschoben
       werden, zu denen ausreichend Strom vorhanden ist, analysierte jüngst das
       [4][Öko-Institut]. Das klingt plausibel. Denn wer beobachtet, wie sehr
       Autofahrer ihr Tankverhalten mitunter danach ausrichten, [5][ob das Benzin
       gerade ein paar Cent mehr oder weniger kostet], kann sich ausmalen, welche
       Effekte durch variable Strompreise an der Ladesäule zu erzielen sind.
       
       Zumal bei Strom noch weitaus höhere Einsparungen möglich sind als bei
       Benzin: Faktor fünf zwischen Tiefstpreis und Höchstpreis an der Ladesäule
       ist durchaus mal drin, wenn man die Preissignale der Börse eins zu eins
       durchreicht. Ähnliche Potenziale der Verbrauchsverlagerung ermittelte das
       Öko-Institut im Wärmesektor. Auch dieser wird das Stromsystem erheblich
       fordern, wenn die elektrische Wärmepumpe – aktuell als die große
       Alternative zum Erdgas hochgejubelt – mit Macht in die Häuser einzieht.
       
       ## Ungenutzte Einsparungsmöglichkeiten
       
       Die Folgen sind absehbar: Die Spitzenlast im Stromnetz wird an kalten Tagen
       beachtlich zulegen. Deshalb wird man auch bei der Wärmepumpe nicht
       umhinkommen, den Strompreis für die Verbraucher eng an den jeweils
       aktuellen Börsenpreis zu koppeln – auch wieder mit dem Ziel, dass
       Wärmepumpen bevorzugt dann laufen, wenn der Strom billig ist. Das setzt
       freilich Wärmespeicher voraus, damit die Wärme nicht exakt dann erzeugt
       werden muss, wenn man sie benötigt, sondern dann, wenn der Strommarkt dies
       attraktiv macht.
       
       Besser noch als mit Wärmepumpen im einzelnen Haus lässt sich das mit
       Großwärmepumpen realisieren, wie sie gerade in Mannheim oder Berlin im
       Rahmen von Forschungsprojekten aufgebaut werden. Diese erzeugen Wärme in
       Megawatt-Dimensionen, die per Wärmeleitung in die Häuser gebracht wird.
       Aufgrund ihrer Größe und weil Speicher in den Wärmenetzen ohnehin vorhanden
       sind, können Großwärmepumpen ihre Betriebszeiten perfekt am Strommarkt
       ausrichten.
       
       Energiewirtschaftlich ist dieser Ansatz charmant, weil die ökonomische
       Logik des Konzepts sich perfekt mit den Erfordernissen der Energiewende
       deckt. Denn immer, wenn ausreichend erneuerbar erzeugter Strom im Netz ist,
       machen niedrige Preise Wärmeerzeugung und Tanken attraktiv. Fallen die
       Erneuerbaren hingegen aus und das Netz ist vorwiegend fossil gespeist, sind
       die Preise entsprechend hoch.
       
       Für Großverbraucher, die zweistellige oder gar dreistellige
       Kilowatt-Leistungen beziehen, wird die Einführung flexibler Strompreise,
       die präzise durch Angebot und Nachfrage im Netz definiert sind, in Zukunft
       unumgänglich sein. Ohne die Einbindung der Verbraucher wird ein Stromsystem
       mit hohem Anteil von Solar und Wind kaum vernünftig und zu
       volkswirtschaftlich angemessenen Kosten zu managen sein.
       
       13 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Strom-wird-immer-teurer/!5818968
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=D4lw8yeN-aE
   DIR [3] /Negative-Preise-an-der-Stromboerse/!5555650
   DIR [4] https://www.oeko.de/
   DIR [5] /Tankrabatt-unbeliebt-aber-wirkungsvoll/!5855192
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernward Janzing
       
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