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       # taz.de -- Comic thematisiert Klima und Natur: Erwachendes Bewusstsein
       
       > Die Comic-Serien „Jonas Valentin“ und „Simon vom Fluss“ thematisierten
       > Natur und Klima in fantastischen Geschichten. Sie werden wieder
       > aufgelegt.
       
   IMG Bild: Szene aus „Jonas Valentin“
       
       In nicht wenigen Comics spielt die Natur eine große Rolle. Was wäre der
       Western ohne die Landschaften, vor allem im Südwesten der USA, was wäre die
       Science-Fiction ohne die fantasievolle Schilderung der Fauna und Flora
       ferner Planeten?
       
       In den allermeisten Fällen wird die Natur aber schlicht als etwas Gegebenes
       betrachtet; sie ist malerische Kulisse menschlicher Aktivitäten.
       Ökologische Probleme und die Notwendigkeit eines achtsamen Umgangs mit der
       Umwelt werden, zumal in Genre-Comics, kaum verhandelt.
       
       Aber es gibt Ausnahmen, darunter zwei bemerkenswerte frühe Beispiele: die
       frankobelgischen Serien „Jonas Valentin“ und „Simon vom Fluss“.
       
       Die Ursprünge von „Jonas Valentin“ liegen in einer Rubrik, die der 1956
       geborene Frank Pé ab 1978 im Spirou-Magazin zeichnete und schrieb. Dort
       ließ er seinen jugendlichen Helden, der im Original „Broussaille“ –
       französisch für „Gestrüpp“, aber auch „Strubbelkopf“ – heißt, über
       einheimische Wildtiere referieren.
       
       Aus dieser unterhaltsamen Form von Biologieunterricht gingen
       Kurzgeschichten hervor und in Zusammenarbeit mit dem Szenaristen Michel de
       Bom alias Bom fünf zwischen 1987 und 2003 veröffentlichte Alben, die der
       Splitter Verlag nun in einer sehr gut aufbereiteten, zweibändigen
       Gesamtausgabe lizensiert hat.
       
       ## Geheimnis einer Höhle unter dem Museum
       
       In „Der Traum des Wals“, seinem ersten albumlangen Abenteuer, wird Jonas
       von Träumen heimgesucht, die in rätselhafter Verbindung zu einem alten Buch
       stehen, das er zufällig in einem Antiquariat erwirbt. Zugleich fliegen
       riesige Möwenschwärme durch die Stadt. In einer Höhle, die sich tief unter
       dem Brüsseler Museum für Naturgeschichte befindet, macht Jonas schließlich
       eine überraschende Entdeckung.
       
       In „Der Hüter des Lichts“ reist er zu seinem liebenswürdig-cholerischen
       Onkel René aufs Land. In der Nähe von dessen Haus wird eine große Fabrik
       gebaut, die in umweltschonender Weise dem Recycling diverser Wertstoffe
       dienen soll.
       
       Frank Pé gehört einer Generation an, die ab Anfang der 1980er auf ganz
       eigene Weise die frankofone Comic-Szene erneuert hat. Im Vorwort der
       Gesamtausgabe erklärt er: „Wir hatten kein Interesse, 'Erwachsenen-Comics
       zu machen, denn damals bedeutete das, nackte Frauen zu zeichnen mit großen
       Brüsten oder Science-Fiction mit hermetischen Szenarien.“ Pé und seine
       Mitstreiter orientierten sich an den klassischen [1][frankobelgischen
       Comics von André Franquin, Maurice Tillieux und Hergé,] modernisierten aber
       deren Ansätze.
       
       So entstanden Werke, in denen sich die scharfe Trennlinie zwischen Comics
       für Minderjährige und für Erwachsene verwischt. „Jonas Valentin“ ist
       hierfür ein mustergültiges Beispiel, wegen der Thematisierung von
       Umweltfragen, aber auch wegen des poetisch-fantastischen Einschlags, den
       die Serie besitzt: So imaginiert Jonas etwa die schlecht gelaunten Insassen
       einer Straßenbahn als auf einem gigantischen Katzenwels reitend.
       
       ## Grün-schwarz kolorierter Alptraum
       
       In einem grün-schwarz kolorierten Alptraum zersplittert mit einer
       Glasscheibe auch die Panelreihung, und große Panels, die an Einstellungen
       aus Hitchcocks „Die Vögel“ erinnern, zeigen aus extremen Perspektiven die
       Stadt, über der eine Möwe fliegt.
       
       In „Simon vom Fluss“ komponiert Claude Auclair seine Seiten ebenfalls
       sorgfältig und großzügig. Mitunter ordnet er die Panels zu dekorativen,
       symmetrischen Tableaus an, nach dem Vorbild von Edgar P. Jacobs („Blake und
       Mortimer“).
       
       Oder er beschränkt sich auf drei, vier große Panels im Hoch- und
       Querformat, die ihre Gegenstände in effektvollem Wechsel aus der Nähe und
       Distanz zeigen. Immer wieder nimmt Auclair auch die heute so populäre
       Lost-Places-Fotografie vorweg.
       
       Am eindrücklichsten gelingt ihm die Darstellung pittoresken Verfalls:
       funktionslos gewordene Strommasten, marode Bahnhöfe, menschenleere
       Großstadtstraßen und -plätze. „Simon vom Fluss“ spielt in einem
       postapokalyptischen Frankreich. Nach einer Ära der Kriege und Bürgerkriege
       ist die Zivilisation weltweit zusammengebrochen. Ansatzweise erhalten hat
       sie sich in einigen Industriekomplexen und Großstädten, den „Zentren“.
       
       ## Rücksichtslose Militaristen und Ausbeuter
       
       Dort allerdings regieren rücksichtslose Militaristen und Ausbeuter. Die
       übrigen Menschen leben wie in vorindustriellen Zeiten verstreut in kleinen
       Siedlungen. Simon, als Sohn eines bedeutenden Wissenschaftlers noch vor dem
       großen Untergang geboren, durchstreift diese Welt wie ein Trapper in einem
       Spätwestern; sein physiognomisches Vorbild ist Robert Redford in „Jeremiah
       Johnson“ (1972). „Simon“ besteht aus neun zwischen 1973 und 1988 erschienen
       Bänden, die CrossCult in einer dreibändigen Gesamtausgabe versammelt, deren
       üppiger redaktioneller Teil für die deutsche Übersetzung noch etwas ergänzt
       wurde.
       
       Wie Frank Pé war Claude Auclair, der 1990 mit gerade 46 Jahren verstarb,
       ein Erneuerer der Comic-Tradition; allerdings arbeitete er nicht für
       Spirou, sondern für das Konkurrenz-Magazin Tintin, das sich damals
       gleichfalls zu verjüngen suchte. Zeichnerisch ist er stark Joseph Gillain
       alias Jijé, dem Lehrmeister Jean Girauds, verpflichtet.
       
       Inhaltlich bietet die Lektüre von „Simon“ eine Zeitreise – nicht nur in die
       Zukunft, sondern in die Entstehungszeit dieses Comics. Vom erwachenden
       feministischen Selbstbewusstsein und der Ablehnung gewalttätiger
       Männlichkeit über die Gefahren der Atomkraft und die spirituell gefärbte
       Hoffnung auf eine Versöhnung mit der Natur bis hin zum Leben in
       Gemeinschaften Gleichgesinnter – die Post-68er-Diskurse, die hier
       verhandelt werden, sind unübersehbar.
       
       Das kommt teilweise etwas naiv und in den Dialogen arg deklamatorisch
       daher. Zumindest in der aktuellen Weltlage mag man darauf dennoch nicht mit
       Ironie reagieren: Auclair beschwört nicht nur die Katastrophe, sondern auch
       die Kraft der Utopie.
       
       14 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Drei-Comic-Klassiker-in-Belgien/!5608353
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christoph Haas
       
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