URI: 
       # taz.de -- Rechte Anschlagserie in Berlin-Neukölln: Ein perfektes Feindbild
       
       > Zwei Porträts: Ferat Kocak ist Antifaschist, Zeuge, engagierter
       > Politiker. Mirjam Blumenthal: Die Gewalt der Neonazis hat die nie
       > eingeschüchtert.
       
   IMG Bild: Ferat Kocak hat nicht nur einen Brandanschlag erlebt
       
       Porträt Eins: Ehe es bei Ferat Kocak brannte, hatten die Nazis ihn schon
       lange im Blick. Im Januar 2017, mehr als ein Jahr vor dem Anschlag, hatten
       sie sich am Telefon über ihn unterhalten. Als im Bezirk engagierter
       antifaschistischer Linker, dazu noch aus einer türkisch-kurdischen Familie
       war Kocak ein perfektes Feindbild. Was fehlte, war seine Wohnadresse.
       
       Die verschafften sich Sebastian T. und Tilo P. im Januar 2018, als sie ihn
       nach einem Treffen seiner Linken-Basisgruppe in einem Café im Süden
       Neuköllns per Auto nach Hause verfolgten. Zwei Wochen danach brannte Kocaks
       Wagen, der unter einem Carport direkt neben seinem Haus parkte, lichterloh.
       Die Polizei sprach im Nachhinein von Glück: Direkt neben dem brennenden
       Auto verläuft die Gasleitung in der Hauswand.
       
       Kocak ist seitdem so etwas wie die lauteste Stimme, die im Neukölln-Komplex
       zu vernehmen ist, vor allem mit seiner Kritik an den Sicherheitsbehörden.
       Er ist sich bewusst, damit auch weiter im Visier der Neonazis zu sein.
       Sorgen macht er sich vor allem um seine Familie. Engagiert ist der
       ehemalige Versicherungsmakler, der sich schon in seiner Jugend durch die
       Nazi-Anschläge und Ausschreitungen von Solingen bis Rostock-Lichtenhagen
       politisierte, seit der Zäsur des Anschlags aber umso mehr. Zumal der
       passionierte Kundgebungsredner im Herbst für die Linke ins Abgeordnetenhaus
       eingezogen ist. Nicht als angepasster Realpolitiker, sondern als Aktivist
       im Parlament, wie er selbst sagt. Die Einsetzung eines
       Untersuchungsausschusses war ihm lange ein dringendes Anliegen.
       
       Nun ist er gleich doppelt dabei: Er wird als Zeuge aussagen und ist
       gleichzeitig stellvertretendes Mitglied des Ausschusses. Eine
       problematische Doppelrolle sieht Kocak darin nicht. „Jeder Antifaschist
       müsste in diesem Untersuchungsausschuss befangen sein“, sagt er.
       
       Außerdem arbeite er seit Jahren zu dem Thema – unabhängig von seiner
       persönlichen Involviertheit. Erik Peter
       
       ## „Einschüchtern lasse ich mich nicht“
       
       Porträt Zwei: Mirjam Blumenthal wurde 1989 mit 16 Jahren das erste Mal von
       Neonazis zusammengeschlagen. Damals war das südliche Neukölln offenes
       Aufmarschgebiet vieler rechtsextremer Skinheads. An der Britzer
       Fritz-Karsen-Schule herrschte Alltagsrassismus und fast so was wie ein
       rechtsextremer Mainstream. Von den gekippten Verhältnissen berichtete die
       damals schon engagierte Blumenthal in einem taz-Interview. Zusammen mit
       einer Freundin sprach sie über rechtsextreme Schlägergangs an den
       U-Bahnhöfen in Britz, rechten Allmachtsfantasien nach Wahlerfolgen der
       Republikanern und rechts-offenen Subkulturen.
       
       Blumenthal engagierte sich damals bei der SPD-nahen sozialistischen
       Jugendorganisation die Falken. Auch deswegen brachten die Faschos in ihrer
       Klasse rechte Sprüche oder antisemitische Lieder, um sie zu ärgern. Zum
       Beispiel: „Ein Jude steht im Walde, da kommt ein Panzer und fährt ihn um.“
       Sie sagte dazu: „Bei Diskussionen bin ich immer die Einzige, die was gegen
       deren Sachen sagt.“ Auch deswegen lauerten zehn Jugendliche mit Doc Martns
       und Bomberjacken damals vor ihrer Haustür. Sie entkam knapp, etwas später
       hatte sie weniger Glück.
       
       1991 beging der ebenfalls in Südneukölln aufgewachsene spätere
       NSU-Unterstützer Carsten Szczepanski einen Brandanschlag auf einen
       Falken-Bus. Als der NSU sich 2011 selbst enttarnte, stand Blumenthals Name
       auf der Feindesliste des NSU-Kerntrios. Auch die Falken blieben über die
       Jahre ein Anschlagsziel für Neonazis: 2011 gab es zwei Brandanschläge auf
       das Falkenhaus, die auch zur Neuköllner Anschlagserie zählen. 2017 wurde
       Blumenthals Auto angezündet, die heute 49-Jährige hat bis heute unzählige
       Morddrohungen erhalten. „Das macht Angst, aber einschüchtern lasse ich mich
       dadurch nicht. Wir müssen diese Demokratie schützen“, sagt sie, trotz
       allem.
       
       Seit Herbst ist Blumenthal für die SPD Bezirksstadträtin für Jugend und
       Gesundheit in Neukölln. Auch sonst hat sie einiges erreicht: Dass sich die
       Fritz-Karsen-Schule mittlerweile zur „Schule ohne Rassismus“ gemausert hat,
       ist auch Engagierten wie ihr zu verdanken. Gareth Joswig
       
       16 Jun 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
   DIR Gareth Joswig
       
       ## TAGS
       
   DIR Rechter Terror in Berlin-Neukölln
   DIR Rechtsradikalismus
   DIR Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
   DIR Rechter Terror in Berlin-Neukölln
   DIR Rechter Terror in Berlin-Neukölln
   DIR Rechter Terror in Berlin-Neukölln
   DIR Rechter Terror in Berlin-Neukölln
   DIR Rechter Terror in Berlin-Neukölln
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rechte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: Kein rechter Terror ohne Trauma
       
       Dass die Opfer im Neukölln-Komplex keine Nebenkläger sein dürfen, ist ein
       Armutszeugnis – für den Umgang mit Betroffenen und den Kampf gegen Rechts.
       
   DIR Neukölln-Komplex: Aufklärung kennt keine Sommerpause
       
       Der Untersuchungsausschuss zur rechtsextremen Terrorserie in Neukölln hat
       seine Arbeit aufgenommen. Nun heißt es erstmal Akten wälzen.
       
   DIR Rechte Anschlagserie in Berlin-Neukölln: Der überfällige Ausschuss
       
       Am Donnerstag nimmt der Untersuchungsausschuss die Arbeit auf. Betroffene
       fordern seit langem Antworten – und ziehen Parallelen zum NSU.
       
   DIR Untersuchungsausschuss Neukölln: AfD darf doch mitmachen
       
       Im dritten Anlauf erhält der Kandidat der extrem rechten AfD im Parlament
       eine Mehrheit. Der Ausschuss soll eine rechte Anschlagsserie aufklären.
       
   DIR Rechte Anschlagsserie in Neukölln: Es gibt noch viel mehr zu klären
       
       Ausgerechnet die FDP verhindert, dass im Neukölln-Untersuchungsausschuss
       AfD-Mitglieder sitzen. Das ist richtig, auch wenn die Taktik unklar bleibt.