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       # taz.de -- Bildungspolitik in Berlin: Ein wohlfeiler Angriff
       
       > Die CDU fordert die Missbilligung der Schulsenatorin. Astrid Busse sei
       > ideenlos und desinteressiert. Doch das greift zu kurz. Ein
       > Wochenkommentar.
       
   IMG Bild: Jetzt ist Schluss mit lustig: Schulsenatorin Busse (SPD)
       
       Es hat gar nicht so lange gedauert, bis Astrid-Sabine Busse (SPD) in die
       großen Fußstapfen ihrer Langzeitvorgängerin getreten ist. Am Donnerstag hat
       die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus einen Antrag angekündigt, in [1][dem
       die Amtsführung der Schulsenatorin missbilligt wird]. Das ist so etwas wie
       eine Rücktrittsforderung light, wie man in den 1990ern sagte. Und
       Rücktrittsforderungen hat Busses Vorgängerin Sandra Scheeres (auch SPD) in
       den zwei Legislaturperioden ihrer Amtszeit [2][en masse gesammelt] – aus
       der Opposition, von Lehrer*innenverbänden, von Betroffeneninitiativen. Ohne
       dass sie je einer davon Folge geleistet hätte.
       
       Auch Busse wird das nicht tun, wenn in der nächsten Plenarsitzung am
       kommenden Donnerstag über die in der [3][Geschäftsordnung des Parlaments
       unter Paragraf 45a] vorgesehene Missbilligung abgestimmt wird. Denn erstens
       sind dort keinerlei Konsequenzen für den Fall einer erfolgreichen
       Abstimmung vorgesehen, und zweitens wird der Antrag nicht erfolgreich sein,
       zumindest war es keiner dieser Art seit 2011. Frontal auf ein Mitglied der
       Regierung zu schießen, das weiß die CDU-Fraktion auch, schließt die Reihen
       der Angegriffenen am effektivsten.
       
       Die größte Oppositionsfraktion im Abgeordnetenhaus muss also in den Tagen
       vor der Abstimmung die Genugtuung über die Empörung auskosten, die sie mit
       dem Antrag auslöst. Und sich dann fragen lassen, was der denn bitte bringt
       und ob jemand aus ihren Reihen den Job besser machen könnte.
       
       Denn dass Busses Vorgängerin ständig von einer Seite – oder manchmal auch
       mehreren – massiv unter Beschuss stand, lag zum einen daran, dass
       angesichts von rund 360.000 Schüler*innen und der entsprechenden Zahl
       von Eltern plus den Lehrer*innen jede Menge Expert*innen mit
       profilierter Meinung am Start sind, ähnlich wie beim Trainer der
       Fußballnationalmannschaft der Männer.
       
       Zum anderen sind die Defizite im Berliner Bildungssystem ähnlich groß und
       bieten jede Menge Angriffspunkte. Es fehlen Schulplätze, es fehlen
       Pädagog*innen, die Ausstattung ist verbesserungswürdig, die Motivation der
       Lehrenden oft auch. Nicht alle Probleme sind berlinspezifisch und bestehen
       auch in anderen Bundesländern, aber für eine Rücktrittsforderung spielt das
       keine Rolle.
       
       Bei Busse kommt noch die politische Unerfahrenheit dazu. Die 65-Jährige war
       [4][zwar fast 30 Jahre Schulleiterin einer Grundschule] in Neukölln und
       Vorsitzende eines Lehrer*innenverbands. Aber sie war nicht in der SPD, der
       Partei, die sie jetzt ins Amt gehievt hat. Der gemeinsame Neuköllner
       Hintergrund von Busse und Regierungschefin Franziska Giffey dürfte eine
       wesentliche Rolle für ihre Ernennung gespielt haben.
       
       Dass Busse also politische Fehler machen würde, war zu erwarten, und die
       muss man einer Quereinsteigerin, erst recht in dieser Lebensphase, auch
       zugestehen. Da war es natürlich wenig hilfreich, wenn ausgerechnet
       SPD-Fraktionschef Raed Saleh erklärte, Busse habe sich bei den
       Haushaltsverhandlungen „über den Tisch ziehen lassen“. Man darf davon
       ausgehen, dass dieser Vorwurf in der Missbilligungsdebatte am Donnerstag
       auch von der Opposition zu hören sein wird.
       
       Ob Busse allerdings etwas dafür kann, dass der übliche
       Lehrer*innenmangel zu Schuljahresbeginn im kommenden Schuljahr noch
       etwas größer ausfallen wird, ist fraglich. Was die CDU-Fraktion aber nicht
       abhält, ihr fehlendes Engagement im Kampf für eine bessere personelle
       Ausstattung der Schulen vorzuwerfen. Denn die gewünschten Lehrer*innen
       gibt es schlicht nicht; sie wurden und werden nicht ausgebildet; nicht in
       Berlin, und zu geringem Ausmaß jenseits der Landesgrenze. Zudem sei Busse,
       so die Union, desinteressiert und ideenlos.
       
       Das soll nicht heißen, dass die Debatte am Donnerstag uninteressant sein
       wird. Spannend dürften dabei aber weniger die Angriffe der Opposition sein,
       als vielmehr die Verteidigungsstrategie der rot-grün-roten Koalition;
       sprich, ob sie mehr Argumente anführen können als die am Sommer wieder
       startende Wiederverbeamtung der Lehrer*innen wie in allen anderen
       Bundesländern auch, die selbst nach Einschätzung von Grünen und Linken den
       Personalmangel kaum beheben wird.
       
       ## Der Job ist nicht attraktiv
       
       Insgesamt ist der Angriff der Union auf Busse wohlfeil, schlicht weil der
       Job insgesamt nicht attraktiv ist. Auch Vorgängerin Scheeres wäre sicher
       über die ein oder andere Rücktrittsforderung gestolpert, wenn denn jemand
       da gewesen wäre, der aus der Koalition ihr Amt wirklich angestrebt hätte.
       Franziska Giffey antwortete, damals noch als SPD-Spitzenkandidatin, auf die
       Frage, wer denn unter ihrer Regentschaft Bildungssenatorin werden soll,
       [5][bei einer Debatte im taz-Café mit dem Satz]: „Jemand wird sich schon
       finden.“
       
       Doch so leicht ist es nicht. Das dürfte Giffey spätestens jetzt klar
       geworden sein. Sie hatte wohl gehofft, dass Busse die für die SPD wichtige
       bildungspolitische Flanke ruhig halten wird, ohne große Akzente setzen zu
       können, weil die meisten zentralen Entscheidungen bereits in der
       vergangenen Legislaturperiode getroffen wurden, etwa bei der Schulbau- und
       Kitaoffensive. Vielleicht kann das die Koalition bewegen, doch ein bisschen
       mehr Geld in Bildung zu investieren. Nicht unbedingt, weil viel immer viel
       hilft, sondern weil noch viel fehlt.
       
       4 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kritik-an-Bildungssenatorin-Busse-SPD/!5855253
   DIR [2] /Ruecktrittsforderung-gegen-Senatorin/!5744131
   DIR [3] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwim6pH17o74AhX__rsIHTQ9A8sQFnoECAkQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.parlament-berlin.de%2Fmedia%2Fdownload%2F478&usg=AOvVaw1cNRV4T9scH0BdvH9Q2H9s
   DIR [4] /Berlins-neue-Schulsenatorin-Busse-SPD/!5830555
   DIR [5] /taz-Talk-zur-Wahl-mit-Franziska-Giffey/!5799976
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Schulz
       
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