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       # taz.de -- Misstrauensvotum gegen Boris Johnson: Er kann erst mal weitermachen
       
       > Der britische Premier übersteht das gegen ihn gerichtete
       > Misstrauensvotum. Doch es zeigt, dass parteiintern viele nicht hinter ihm
       > stehen.
       
   IMG Bild: Boris Johnson am Montagabend nach dem überstandenen Misstrauensvotum
       
       London taz | „Ich glaube, es war eine extrem gutes, positives, beendendes
       und eindeutiges Ergebnis … ein sehr gutes Resultat für Politik und Land“,
       so die adjektivreiche Reaktion des britischen Premierministers Boris
       Johnson, nachdem er ein [1][kurzfristig angekündigtes und durchgezogenes
       innerparteiliches Misstrauensvotum] gegen ihn am Montagabend überstanden
       hatte.
       
       Viele Reden waren dazu im Laufe des Tages in der britischen Politik
       gehalten worden. Und noch mehr gab es auf Twitter zu bestaunen – die einen
       für, die anderen gegen Johnson, bis schließlich um 21 Uhr Graham Brady, der
       Vorsitzende des 1922 Committees – die Vereinigung der konservativen
       parlamentarischen Hinterbänkler:innen – das Ergebnis bekannt gab. Von
       den 359 konservativen Abgeordneten, die sich an der geheimen Abstimmung
       beteiligten, blieben 211 Abgeordnete Johnson treu und jubelten entsprechend
       laut. Johnson sprach sie später direkt an:
       
       „Ich bin Kollegen für die Unterstützung, die sie mir gaben, dankbar.
       Selbstverständlich verstehe ich, dass das, was wir jetzt brauchen, das
       Zueinanderkommen als Regierung und Partei ist.“ Das Ergebnis gebe „uns die
       Möglichkeit“, endlich „unsere Arbeit zu verrichten.“
       
       Die 148 Rebell:innen gegen Johnson entsprechen 41.2 Prozent der
       Fraktion. Damit hat Johnson das Misstrauensvotum zwar politisch überlebt,
       doch ist zugleich die Zahl seiner parteiinternen Gegner:innen auf eine
       nicht zu ignorierende Größe angewachsen.
       
       ## Johnsons Rückhalt geringer als bei vielen Vorgänger:innen
       
       Dabei hatte Johnson am Montag alles drangesetzt, ein Malheur zu verhindern:
       Er führte Gespräche mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski und versprach
       ihm Raketen, war bei einem Empfang für Estlands Premierministerin und
       schickte persönlich signierte Briefe an konservative Parlamentarier, in
       denen er Steuersenkungen versprach.
       
       Während Finanzminister Rishi Sunak am Abend erleichtert twitterte, man
       werde alle Querelen hinter sich lassen und nun wichtige Politik machen,
       blieben andere skeptisch. Und das nicht ohne Grund. Historisch betrachtet
       ist der innerparteiliche Widerstand gegen Johnson größer als gegen Theresa
       May. Die hatte 2018 nach dem Misstrauensvotum gegen sich noch 63 Prozent
       der Partei hinter sich. Selbst im Vergleich mit Margaret Thatcher im Jahr
       1990, wo 40,9 Prozent der Fraktion sich hinter Michael Heseltine gestellt
       hatten, und John Major 1995, wo bei einem Misstrauensvotum die Rebellen nur
       auf 27,1 Prozent gekommen waren, schnitt Johnson schlechter ab.
       
       Der Abgeordnete Roger Gale, der seit 1983 im Unterhaus sitzt, sagte der
       BBC, es werde nicht mehr lange dauern, bis Johnson weg sei. Denn der hätte
       starken Gegenwind zu befürchten, wie etwa die Entscheidung eines
       parlamentarischen Ausschusses, ob er bezüglich des [2][Partygate-Skandals]
       im Unterhaus die Unwahrheit gesagt habe.
       
       Bei Theresa May hatte es nur sechs Monate nach dem Misstrauensvotum gegen
       sie gedauert, bis sie entmachtet war. „Kein Vergleich!“, meinte der
       Abgeordnete Simon Hart, der Johnson treu geblieben war, da die Torys damals
       von ihrem nordirischen Partner, der DUP, abhängig gewesen seien.
       
       ## Johnson: Rückhalt jetzt größer als bei Wahl zum Tory-Chef
       
       Johnson verwies nach der Abstimmung darauf, dass er mit den 58,8 Prozent
       der Stimmen mehr Zustimmung bekommen hatte als bei seiner Wahl zum
       Parteiführer, wo es nur 51 Prozent gewesen waren.
       
       Der Tory-Hinterbänkler [3][Andrew Bridgens] sagte hingegen, Johnsons
       Kabinett sollte die Warnzeichen erkennen und Johnson zum Rücktritt
       überreden. „Ich mache eine Vorhersage. Bis zum nächsten Parteikongress im
       Herbst wird Johnson weg sein“, sagte Bridgens der BBC.
       Ex-Gesundheitsminister Jeremy Hunt, der Johnson 2019 im Kampf um die
       Parteiführung unterlegen war, erklärte, er stimme gegen Johnson und für
       Veränderungen in der britischen Politik.
       
       Dass die Torys zwei anstehende Nachwahlen verlieren könnten, wurde von
       Unterstützer:innen Johnsons als Midterm-Blues kleingeredet, den alle
       Regierungsparteien erlitten. Doch Johnson könnte sowohl in der
       alteingesessenen konservativen Region Tiverton and Honiton in Devon,
       Westengland, als auch in der 2019 eroberten Labourhochburg Wakefield im
       Norden Englands verlieren.
       
       Johnson wird sich nun beeilen, konservative Bonbons zu verteilen, etwa ein
       neues Vorkaufsrecht nach dem Modell Thatchers für Menschen in
       Sozialwohnungen, ihre vier Wände sozialen Wohngesellschaften abzukaufen,
       damit sie so zu Kleinkapitalist:innen werden.
       
       ## Anti-Korruptionsbeauftragter fordert Johnsons Rücktritt
       
       Zu den aufsehenerregenden Entwicklungen am Montag zählte übrigens auch der
       Rücktritt des Anti-Korruptions-Beauftragten der britischen Regierung, John
       Penrose, der dabei ausdrücklich Partygate zitierte. Er forderte, Johnson
       müsse jetzt ebenfalls gehen, während der konservative Abgeordnete Jesse
       Norman Johnsons geplante Abschiebungen von Asylbewerber:innen nach
       Ruanda als sozial spaltend darstellte.
       
       Johnsons größter Herausforderer ist nicht mehr die Labouropposition. Die
       tat sich schwer, unter Parteiführer Starmer eindeutig gegen Johnson in der
       Pandemie zu punkten. Gefährlich sind für den Premier neben konservativen
       Abgeordneten inzwischen auch die rechten britischen Medien. Dort fand man
       am Dienstagmorgen kaum ein gutes Wort für Johnson, weder im Daily Mail noch
       im Daily Express oder der Times. Und der Daily Telegraph hatte gleich
       mehrere johnsonfeindliche Kommentare.
       
       7 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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