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       # taz.de -- Defizite im Gesundheitssystem: Keinen Cent zu viel
       
       > Patient:innen sollen heute wenig Kosten. Statt Heilung steht Profit
       > im Vordergrund. Darüber sprechen will kaum jemand – aus Angst.
       
   IMG Bild: Am Ende verlieren alle: Patient:innen sowie Ärzt:innen
       
       Ärzt:in ist ein wunderbarer Beruf. Man kann Menschen helfen, heilen,
       trösten. Menschen sehen, Vertrauensperson sein. Das Glück mitempfinden,
       wenn ein Mensch gesund geworden ist, den man begleitet hat. Aber oft lässt
       das System nicht zu, dass Ärzt:innen ihren Beruf leben, wie er eigentlich
       gedacht war. Einer der wichtigsten Gründe: Gesundheit ist zur Ware
       geworden. Eine Ware wie ein Auto oder Toilettenpapier. Eine Ware, die
       Gewinn bringen soll. Kaputt gehen dabei die Patient:innen. Kaputt gehen
       dabei aber auch Ärzt:innen und Pflegekräfte.
       
       Patient:innen sollen so wenig wie möglich kosten und so viel wie
       möglich Geld bringen. In einer [1][SWR-Doku] aus dem vergangenen Jahr
       erklärt der Chefarzt einer Berliner Klinik, wie das in der Praxis aussieht:
       Wenn er auf Visite geht, hat er einen Computer dabei, auf dem die Diagnosen
       der Patient:innen stehen. Dort stehen auch die Kosten, die die:der
       Kranke bisher verursacht hat. Wenn die:der Patient:in zu teuer ist,
       steht das auch dort. Während der Arzt Patient:innen gegenübersteht,
       muss er wissen, wie viel Erlös sie dem Klinikum bringen. Ablesen lässt sich
       das an den sogenannten DRGs.
       
       DRG bedeutet Diagnosis Related Group. Das bedeutet verkürzt, dass jeder
       Diagnose eine Fallpauschale zugeordnet wird, ein bestimmter Betrag für
       diese oder jene Krankheit. In einem [2][Radio-Feature], auch des SWR,
       erklärt eine andere Ärztin, dass es in Kliniken extra
       Codier-Expert:innen gibt, die nur dazu da sind, um zu schauen, mit
       welchen Erkrankungen das Krankenhaus Geld verdienen kann. Die Ärztin
       erklärt, wie das läuft: „Dann steht ein Codier-Experte hinter mir und sagt:
       ‚Mensch, der ist jetzt aber schon ganz schön lange hier‘ oder ‚Da kriegen
       wir aber jetzt nicht viel Geld für. Können wir nicht gucken, ob der noch
       eine andere Diagnose hat, die vielleicht noch ein bisschen mehr Geld
       bringt?‘“
       
       ## Schweigen aus Angst
       
       Offen sprechen darüber die wenigsten Ärzt:innen, aus Angst, dass es ihrer
       Karriere schaden oder ihren Job gefährden könnte. Es gibt aber eine
       Vereinigung von Ärzt:innen, die sich wehren: [3][Die Bunten Kittel]. Sie
       demonstrieren und klären auf, wie vergiftet das System ist. Auf ihrer
       Webseite gibt es anonym verfasste Berichte von Ärzt:innen über ihren
       Arbeitsalltag. Ein:e Ärzt:in schreibt: „Dass bei Entscheidungen über die
       Gesundheit eines Menschen finanzielle Interessen Außenstehender eine
       signifikante Rolle spielen und sich Profite mit kranken Menschen machen
       lassen, möchte ich nicht als Normalität akzeptieren.“
       
       Das Problem: Es ist schon Normalität für die vielen Ärzt:innen und
       Pflegekräfte, die in diesem System verheizt werden, weil an Personal
       gespart wird und weil sie Menschen nicht wie Menschen, sondern wie
       Maschinen am laufenden Band behandeln müssen. Die perverse kapitalistische
       Logik lässt keine Zeit für Gespräche, für Fürsorge, für das, was den
       ärztlichen Beruf eigentlich zum schönsten Beruf der Welt macht.
       
       20 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ardmediathek.de/video/betrifft/operiert-und-abkassiert-wenn-aerzte-rendite-bringen-sollen/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzE0OTQ5NDg
   DIR [2] https://www.swr.de/swr2/doku-und-feature/zwischen-patientenwohl-und-oekonomie-krankenhaeuser-unter-druck-swr2-feature-2021-12-03-102.pdf
   DIR [3] https://www.bunte-kittel.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gilda Sahebi
       
       ## TAGS
       
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