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       # taz.de -- Lo-Fi-Platte von Einmannband Rickolus: Bittersüßes Alter
       
       > Rickolus erinnert auf dem Album „Bones“ an den jungen Bruce Springsteen.
       > Die Songs bewegen sich zwischen Nostalgie und Zuversicht.
       
   IMG Bild: Der Musiker Rickolus
       
       Wäre Bruce Springsteen etwas unbeschwerter und im Florida der 90er Jahre
       aufgewachsen statt in der hässlichen New-Jersey-Suburbia, hätte sein
       Debütalbum vielleicht auch so geklungen wie „Bones“ – das neue Album des
       US-Einmannprojekts Rickolus.
       
       „Greetings from Jax Beach, Fla.“ lautet der bunte, selbstgemalte Schriftzug
       auf dem Frontcover. Und nicht nur dieser erinnert an Springsteens erstes
       Album „Greetings from Asbury Park, N. J.“ (veröffentlicht 1973). Schon der
       Gesang und die ersten Töne auf dem Klavier des Auftaktsongs „Beach Town“
       lassen bei Rickolus auch musikalisch sofort an den jungen Boss denken.
       
       Erst recht, als sein Lied Fahrt aufnimmt und ein Saxofon im Hintergrund
       einsetzt. Sein Gesang erinnnert manchmal auch an Billie Joe Armstrong
       (Green Day), wobei seine Eigenkompositionen weit weniger hitzig, sondern
       viel geordneter klingen.
       
       Denn Rickolus, der eigentlich Rick Colado heißt, ist nicht mittendrin im
       Sturm und Drang seiner Jugend wie Springsteen damals, sondern blickt mit
       seinen 40 Jahren nun schon auf ebendiese Jugend zurück. „Es ist auch eine
       Hommage an eine Welt, die es nicht mehr gibt, und sie handelt von dem
       bittersüßen Dilemma, alt zu werden“, sagt der Musiker, der vor 20 Jahren
       die Garage-Pop-Band Julius Airwave gründete.
       
       Für ihn scheint das Dilemma hauptsächlich darin zu bestehen, melancholisch
       bis nostalgisch auf die 90er Jahre zu blicken. In den Songs schildert er
       selbstgemachte Tapes, wilde Fahrten mit dem Skateboard und Träume von den
       ersten Lieben.
       
       ## Ups and Downs der Jugend
       
       „Somewhere between up and down“, heißt es in „Beach Town“, sei seine Jugend
       verlaufen. Und durch diese Ups und Downs führt Rickolus die Hörer:innen
       dann auch. Mal von der Akustikgitarre begleitet, mal von einem balladesken
       Klavier. Dann wieder ertönt ein astreiner Stratocaster-E-Gitarren-Sound und
       lässt es poppig und fast fröhlich klingen, in dem Song „Keep on Dancing“.
       
       Die Rhythmusgitarre ist nie besonders kompliziert, Rickolus versteht sich
       auf eingängige Riffs und bleibt sowohl bei Gitarre als auch am Klavier
       locker und solide. In „Dirt Road“ bekommt man dann auch mal eine
       Mundharmonika zu hören, auf die man bei dieser Springsteen-inspirierten
       Platte so lange gewartet hat.
       
       Es ist freilich nicht alles unbeschwert: In „Shivering“ geht es um Freunde,
       die der Künstler an die Sucht verloren hat. Im Großen und Ganzen wandeln
       seine Songs zwischen Nostalgie und Zuversicht hin und her, gehen ineinander
       über, wie die Ups und Downs der Jugend es eben auch tun. Rickolus weckt in
       „Bones“ jugendliche Gefühle, doch an Evergreens des Genres, wie Don
       MacLeans Smashhit „American Pie“ kommt er dann doch nicht ganz ran.
       
       Und dennoch, der Indiekünstler schafft eingängige Melodien zum Mitsingen,
       die in der Kneipe oder auch am Straßenrand sehr gut funktionieren. Um tief
       unter die Haut zu gehen, dafür reicht das dann doch eher nicht. Muss
       vielleicht auch nicht.
       
       ## Das Album hat DIY-Charakter
       
       „Dies ist der Song, den wir in unserem Schlafzimmer in den 90ern
       aufnahmen“, singt Rickolus im Song „4 Track Love Song“ und so klingt auch
       das gesamte Album, wie ein guter Lo-Fi Track, den man auf seinem
       Vierspurgerät selbst aufgenommen hat, der auch mal mit mitgeschnittenen
       Gelächter endet. Gekünstelt ist das Do-it-yourself-Paket aber nicht, denn
       Rickolus produziert alle seine Musik selbst und spielt auch den Großteil
       der Instrumente alleine ein. Nicht nur eine Hommage also an eine Welt, die
       es nicht mehr gibt, sondern der gelungene Versuch, diese Welt der
       selbstgemachten Tapes zu erhalten.
       
       Tocotronic-Bassist Jan Müller hat Rickolus übrigens 2019 in der Berliner
       Bar „Donau 115“ für sich entdeckt. „Auf der winzigen Bühne erblickten wir
       Rickolus, der in einem skurrilen One-Man-Band-Setting Gitarre, Schlagzeug
       und Gesang gleichzeitig spielte“, erzählt er.
       
       Sofort sei er hingerissen gewesen und habe ihm eine Platte abgekauft. Nun
       geht Rickolus auf Tournee, unter anderem begleitet er dabei für einige
       Konzerte Tocotronic. Auch das eine Band, die mit dem „bittersüßen Dilemma,
       alt zu werden“ zu kämpfen hat.
       
       16 Jun 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ruth Lang Fuentes
       
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