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       # taz.de -- Debatte über sozialen Pflichtdienst: Ramelow mahnt Gelassenheit an
       
       > Mit seinem Vorstoß zur sozialen Pflichtzeit scheint Bundespräsident
       > Steinmeier einen Nerv getroffen zu haben. Doch auch Befürworter melden
       > Bedenken an.
       
   IMG Bild: Findet soziale Pflichtdienste für junge Leute eine gute Sache: Bodo Ramelow
       
       Berlin dpa | In der von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
       angestoßenen [1][Debatte über einen sozialen Pflichtdienst] haben Kritiker
       der Idee stattdessen eine Stärkung der Freiwilligendienste gefordert. Nach
       Mitgliedern der Ampel-Koalition äußerten sich auch Vertreter von
       Gewerkschaften und Sozialverbänden ablehnend zum sozialen Pflichtdienst –
       während er in der CDU und beim Pflegerat auf Zustimmung stieß.
       
       Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Linke) mahnte an, gelassener auf das
       Thema zu blicken, und zog eine Parallele zur Schulpflicht. „Statt
       reflexartig einfach nur auf dem Bundespräsidenten rumzuhacken und wieder
       von neuem Zwang zu reden und dabei die Schulpflicht einfach auszublenden,
       werbe ich dafür, mit ein bisschen mehr Gelassenheit das Thema anzugucken“,
       sagte Ramelow der Deutschen Presse-Agentur. Die Schulpflicht sei auch ein
       Zwang und der Staat greife in das Leben von jungen Menschen ein. Er frage
       sich, weswegen man nicht noch ein Jahr mehr „dazu definieren“ könne.
       Ramelow hatte sich bereits in der Vergangenheit immer wieder für eine
       Pflichtzeit für junge Erwachsene ausgesprochen. Dagegen positionierte sich
       der Chef der Linken-Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, gegen eine soziale
       Pflichtzeit.
       
       Steinmeier hatte am Wochenende eine Debatte über einen sozialen
       Pflichtdienst angeregt und dies damit begründet, dass eine Dienstpflicht
       die Gemeinschaft stärken könnte. „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das
       Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine
       soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein“, sagte Steinmeier der Bild am
       Sonntag. „Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere
       Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den
       Gemeinsinn.“
       
       Ähnlich argumentiert nun die CDU: Die Gesellschaft werde immer
       pluralistischer, „gleichzeitig begegnen sich viele soziale und ethnische
       Milieus nicht mehr“, sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende,
       Carsten Linnemann, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Mit einem
       „verpflichtenden Gesellschaftsjahr“ könnte man dem entgegentreten.
       
       Obwohl Steinmeier allgemein von einer Pflichtzeit sprach, also nicht
       explizit junge Leute adressierte, wurde sein Vorstoß von vielen so
       ausgelegt. Aus Sicht des Pflegerats könnte eine soziale Pflichtzeit dazu
       beitragen, junge Menschen „mit Pflege und Gesundheitsversorgung und damit
       mit einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe in Berührung zu bringen“, sagte
       Präsidentin Christine Vogler den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
       Verhindert werden müsse aber, dass junge Menschen auf diesem Weg als
       preiswerte Pflegeersatzkräfte eingesetzt werden. „Das würde weder den
       jungen Leuten noch den zu Pflegenden gerecht werden“, sagte Vogler.
       
       Jugendorganisationen verschiedener Parteien, darunter die Jusos, die Jungen
       Liberalen und die Grüne Jugend, hatten Steinmeiers Vorschlag am Montag
       zurückgewiesen. Die Junge Union kann einer allgemeinen Dienstpflicht etwas
       abgewinnen. Ihr Chef Tilman Kuban sprach sich aber dafür aus, per
       Online-Umfrage zu klären, wie es um die Bereitschaft junger Leute stehe.
       „Ich schlage daher eine digitale Jugendbefragung der 14- bis 21-Jährigen
       vor. So geben wir denjenigen eine Stimme, über die hier gesprochen wird und
       hören, was sie eigentlich wollen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk
       Deutschland (RND).
       
       Die Lebenshilfe und der Paritätische Gesamtverband sprachen sich in der
       Rheinischen Post und im RND für die Stärkung der Angebote für
       Freiwilligendienste aus. In sozialer und gemeinnütziger Arbeit müssten
       „engagierte Freiwillige mit Motivation und Profis mit der richtigen
       Ausbildung ran“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich
       Schneider. Zum Teil gebe es zu wenig finanzierte Plätze für Freiwillige,
       beklagte die Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, Ulla Schmidt,
       in der Rheinischen Post. Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) forderte
       den Ausbau des Freiwilligendienstes. „Ziel des sozialen Engagements sollte
       allerdings nicht das Stopfen von Personallöchern in Einrichtungen und
       Diensten sein“, mahnte Präsident Adolf Bauer in den Funke-Zeitungen.
       
       Aus Sicht von Verdi-Chef Frank Werneke greift ein Pflichtdienst in
       unzulässiger Weise in die Lebensplanung von jungen Menschen ein. Zudem
       müssten „alle anstehenden staatlichen Aufgaben grundsätzlich im Rahmen der
       öffentlichen Daseinsvorsorge erledigt werden, die entsprechend ausreichend
       finanziert werden muss“, sagte er dem RND. Der Chef der Jugendorganisation
       des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Kristof Becker, kritisierte in den
       Funke-Zeitungen: „Wer junge Menschen davon überzeugen möchte, in bestimmten
       Bereichen zu arbeiten, der sollte für gute Ausbildungs- und
       Arbeitsbedingungen sorgen und nicht nach Pflichtdiensten schreien.“
       
       14 Jun 2022
       
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