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       # taz.de -- Waldbrände in Brandenburg: Da brennt kein Wald
       
       > Treuenbrietzen, Beelitz und jetzt noch die sächsisch-brandenburgische
       > Landesgrenze. Was da brennt, sind Kiefernforste – und unsere Lebensweise.
       
   IMG Bild: Brand in Treuenbrietzen
       
       Was ist ein Wald? Das ist einfach, werden Sie jetzt sagen, ein Wald ist
       eine Ansammlung von Bäumen. Aber dann waren Sie noch nicht in Brandenburg.
       
       Denn in Brandenburg sieht man, wenn man am Wochenende einen Spaziergang
       macht, den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wenn man den schmalen Trampelpfad
       entlangläuft und dabei nach links und rechts schaut, dann steht da zwar ein
       Baum neben einem Baum, und da ist noch einer, aber trotzdem fehlt: der
       Wald. Der Boden ist trocken und von Nadeln bedeckt, die Bäume wachsen
       kerzengerade in den Himmel.
       
       Am Wochenende 18./19. Juni 2022 [1][brannten in Brandenburg] viele dieser
       Bäume, an mindestens 13 Orten. Zwei der Brände konnten nicht schnell
       gelöscht werden. Rund um die Orte Treuenbrietzen und Beelitz brannte es auf
       einer Fläche von insgesamt 400 Hektar. Das entspricht – ein strapazierter
       Vergleich – fast 560 Fußballfeldern. Hunderte Menschen mussten ihre Häuser
       verlassen, bis am Montag die Erlösung kam. Es regnete.
       
       ## Da brennen Plantagen
       
       Auch am letzten Juni-Wochenende 2022 sollte es wieder heiß und trocken
       werden in Brandenburg, über 30 Grad waren angekündigt. Es wird also wieder
       brennen. Darauf kann man eine Schachtel nicht ausgedrückter Kippen
       verwetten. Und der Sommer fängt gerade erst an.
       
       Aber was in Brandenburg brannte, das war meist kein Wald. Es waren Forste,
       also Plantagen, industrielle Anlagen zur Produktion von Holz.
       
       Brandenburgs sogenannter Wald besteht heute zu 70 Prozent aus
       Kiefernforsten. Kiefern wachsen gerade und schnell: Man kann sie wunderbar
       in eine Säge schieben und aus ihnen Bretter schneiden; Bretter, die man
       sich dann vor den Kopf nageln kann.
       
       Was man mit einem Kiefernbrett vorm Kopf dann nicht mehr sieht: dass
       Kiefern den Boden aussaugen, bis der Grundwasserspiegel sinkt. Irgendwoher
       muss das schnelle Wachstum ja kommen. Kiefernforste bilden auch keine gute
       Umgebung für andere Pflanzen. Und sie machen den märkischen Sand noch
       trockener.
       
       ## Kiefernforste dienen Profitmaximierung
       
       Trotzdem werden Waldbrände oft als gemeinschaftliches Schicksal verklärt
       wie eine Flut oder ein Tsunami. Und nicht als Nebenwirkung eines
       gefährlichen Industriezweigs, der Holzproduktion. Dabei sollte man daran
       erinnern: Kiefernforste sind meist Privatbesitz, auch wenn sie teilweise
       kommunal bewirtschaftet werden. Sie dienen der Profitmaximierung. Die
       Kosten für den Einsatz von Feuerwehrleuten, die Schäden durch den Brand
       trägt die Gesellschaft. Das Muster ist bekannt: Gewinne werden
       privatisiert, Risiken vergemeinschaftet.
       
       Wenn am Wochenende ein Maisfeld oder eine Fabrikhalle gebrannt hätte, wäre
       der Aufschrei deutlich leiser. Man würde schneller fragen, wer für den
       Brand verantwortlich war, warum der Betreiber der Fabrikhalle sich nicht um
       ausreichenden Brandschutz gekümmert hat. Der deutsche Wald dagegen bleibt
       in der öffentlichen Wahrnehmung ein Mythos, dabei ist er auch eine
       Industrie.
       
       Wer ist dafür verantwortlich, dass der Wald, der kein Wald ist, brennt? Wie
       kann es sein, dass dort Kiefer neben Kiefer gepflanzt wird?
       
       Echte Mischwälder brennen nicht so schnell. Sie bleiben auch bei Hitze
       feucht und reduzieren die Umgebungstemperatur. Laubbäume sorgen dafür, dass
       der Boden um sie herum feucht bleibt. Hätte der Mensch nicht in den Wald
       eingegriffen, wäre Brandenburg heute von Mischwäldern bedeckt. Glauben Sie
       mir nicht? Dann glauben Sie bitte [2][Pierre Ibisch], Waldexperte und
       Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, mit dem
       ich für diesen Text gesprochen habe.
       
       ## Waldumbau braucht mehr Tempo
       
       Übrigens kann auch so ein Mischwald profitabel bewirtschaftet werden. Zwar
       mit niedrigeren Profitraten als ein reiner Kiefernforst, aber dafür
       nachhaltig. Und mit einem deutlich geringeren Risiko, alle Bäume auf einmal
       durch Waldbrand oder Borkenkäfer zu verlieren. Der Umbau zum Mischwald
       geschieht bereits, in manchen Bundesländern schneller als in anderen. Wer
       durch den Wald läuft, sieht es schon, wenn hier und da kleine Eichen
       zwischen den hohen Kiefern wachsen. Nur: Der Umbau des Waldes geht viel zu
       langsam.
       
       Diese Versuche, die Kiefernplantagen langsam auszudünnen und zwischen den
       Kiefern Laubbäume zu pflanzen, scheitern häufig oder dauern sehr lange. Es
       ist aufwendig und teuer, zwischen den trockenen Kiefern neue Laubbäume zu
       pflanzen. Die Brände vom Wochenende zeigen: Der Umbau der Kiefernforste in
       echte Wälder muss schneller gehen. Entweder bauen wir freiwillig um – oder
       die Erderhitzung erledigt das für uns mit allen damit verbundenen Gefahren.
       
       Könnte man nun so weit gehen und sagen: Solange niemand zu Schaden kommt,
       ist es gut, wenn der Wald, der kein Wald ist, abbrennt?
       
       ## Feuerabweisender Wald
       
       Dafür spricht, dass abgebrannte Bäume ein guter Nährboden sind. Nach dem
       Brand können Laubbäume auf einer großen Fläche wachsen. Forscher aus dem
       brandenburgischen Eberswalde haben nach Waldbränden im Jahr 2018 einen Teil
       der abgebrannten Fläche sich selbst überlassen und gewartet, was passiert.
       Von ganz allein wuchsen Birken und Pappeln, Moos und Pilze breiteten sich
       aus. Ein echter Wald eben. „Pyrophob“ heißt das Projekt, feuerabweisend.
       
       Doch große Waldbrände wie an den vergangenen Wochenenden sind viel zu
       gefährlich, um sie sich zu wünschen, und sie setzen sehr viel CO2 frei. Die
       Forscher aus Eberswalde glauben aber, dass kontrollierte Brände am
       Waldboden durchaus helfen können, so, wie es in der Heide und in Südeuropa
       längst üblich ist. Kontrollierte Brände entfernen Nadeln und schaffen gute
       Bedingungen, damit im Schatten der Kiefern schnell Laubbäume wachsen können
       und ein echter Wald entsteht.
       
       Und es gibt noch einen anderen Grund, warum es gut ist, wenn es in
       Brandenburg brennt. Und der hat nichts mit dem Wald und seiner Ökologie zu
       tun, sondern mit dem Bewusstsein. Das Leben der Menschen in
       Industrieländern basiert darauf, die Folgen des eigenen Lebensstils zu
       verdrängen und auszulagern: Externalisierung heißt das auf Wissenschaftlich
       oder, einen Buchtitel zum Thema zitierend: [3][Neben uns die Sintflut].
       
       ## Unsere Normalität brennt
       
       Wem es besser gefällt, der kann auch das passende Sprichwort nehmen: Aus
       den Augen, aus dem Sinn. Diese Methode war lange erfolgreich. Globale
       Lieferketten sorgten für günstige Waren aus dem Ausland– und für die
       Zerstörung des Regenwalds zugunsten des deutschen Fleischhungers.
       
       Was da also in Brandenburg brennt, ist nicht nur ein Wald, der keiner ist.
       Sondern auch unsere Normalität. Und es ist gut, wenn sich die nicht nur
       weit weg in Kalifornien, im brasilianischen Dschungel, auf Ölfeldern im
       Irak und an einer russischen Pipeline zeigt. Sondern vor der Haustür.
       
       Dann wird man sich hoffentlich in 20 Jahren im Rückblick sagen, dass der
       Brand der Bäume den Wald gerettet hat.
       
       26 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Botaniker-ueber-Braende-in-Brandenburg/!5862102
   DIR [2] https://www.hnee.de/en/Faculties/Faculty-of-Forest-and-Environment/Professors/Pierre-Ibisch/Pierre-L.-Ibisch-E2208.htm
   DIR [3] https://www.soziopolis.de/neben-uns-die-sintflut.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kersten Augustin
       
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