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       # taz.de -- Humanitäre Not in Afghanistan: Geldmangel nach dem Erdbeben
       
       > Nach dem Erdbeben in Afghanistan mit bis zu 5.000 Verletzten fehlen laut
       > Uno Milliarden Dollar für Hilfe. 3.000 Familien brauchen Notunterkünfte.
       
   IMG Bild: Afghanische Kinder in der vom Erdbeben schwer betroffenen Provinz Khost
       
       Langsam wird die Lage klarer nach [1][der Erdbebenkatastrophe im Südosten
       Afghanistans] vom 22. Juni. Insgesamt seien fast 362.000 Menschen in den
       Provinzen Paktika und Chost davon betroffen. Nach Angaben verschiedener
       UN-Unterorganisationen vom Montag wurden über 1.000 Menschen getötet und
       weitere 3.000 verletzt. Das Taliban-Gesundheitsministerium spricht sogar
       von bis zu 5.000 Verletzten. Viele Dörfer im Bebengebiet, vor allem im
       besonders schwer betroffenen Distrikt Barmal, [2][wurden noch gar nicht von
       Rettungsmannschaften und Nothilfe erreicht].
       
       3.000 Familien benötigen Notunterkünfte, weil ihre Häuser zerstört oder
       stark beschädigt sind. Bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 20
       Menschen in dem Gebiet sind das insgesamt 60.000 Obdachlose. Bei der
       vorherrschenden Lehmziegelbauweise sind Reparaturen bei schweren
       Beschädigungen fast unmöglich; es muss woanders neu gebaut werden.
       Gleichzeitig aber ist Land knapp.
       
       Viele Menschen übernachten zudem aus Furcht vor den täglichen Nachbeben im
       Freien. Die UNO befürchtet auch, dass wegen des Mangels an sauberem
       Trinkwasser Cholera und Durchfallerkrankungen ausbrechen könnten. Die
       Weltgesundheitsorganisation (WHO) verteilt bereits vorbeugend Medikamente.
       In den chronisch unterausgestatteten lokalen Kliniken werden unterdessen
       immer mehr Verletzte eingeliefert, darunter viele mit schweren Schädigungen
       und Traumatisierungen. Die kleine Klinik im besonders schwer betroffenen
       Distrikt Gian war schnell überlastet. In Gian errichtete Unicef inzwischen
       vier geschützte Räume für traumatisierte Kinder. Aber auch die schleunigst
       entsandten Notärzteteams der WHO, der Ärzte ohne Grenzen oder der in
       Afghanistan sehr aktiven italienischen NRO Emergency dürften bei der hohen
       Opferzahl zumindest kurzfristig überfordert sein.
       
       ## Große Finanzierungslücke
       
       Laut dem UN-Chef für Humanitäres, Martin Griffiths, gab die
       Weltorganisation am Wochenende 10 Millionen US-Dollar für Soforthilfe in
       Afghanistan frei. Gleichzeitig wies sein Landesbeauftragter Ramiz Alakbarov
       darauf hin, dass jetzt der Fokus „auf Nachhaltigkeit und der
       Wiederherstellung von Nahrungs- und Landwirtschaftssystemen“ liegen müsse,
       also langfristigem Wiederaufbau. Die UNO hat aber bei ihrem humanitären
       Appell für 2022, der schon vor dem Erdbeben herausging, eine
       Finanzierungslücke von fast 3 Milliarden Dollar ausgemacht.
       
       Von den benötigten über 4 Milliarden sei erst ein Drittel eingegangen, so
       Alakbarov vorigen Freitag vor dem Weltsicherheitsrat. Einige Geberländer
       hätten zugesagte Mittel noch nicht überwiesen. Das Geld sollen die bereits
       vor dem Erdbeben eingetretenen, verheerenden Folgen [3][der stärksten
       Dürre seit 20 Jahren sowie den Wirtschaftskollaps nach dem Abzug der
       westlichen Truppen] und der Taliban-Machtübernahme mildern. Auch die
       Gesundheitsinfrastruktur soll stabilisiert werden.
       
       Griffiths kritisierte aber auch, dass Taliban-Behörden trotz gegenteiliger
       Zusagen aus Kabul „zunehmend“ versuchten, sich in die Auswahl der
       Hilfeempfänger einzumischen und die Hilfe in die eigene Klientel zu
       kanalisieren. Das ist nicht in allen Fällen an sich problematisch, denn die
       Taliban priorisieren – in dieser Reihenfolge – Kriegsversehrte, Witwen,
       Waisen und Drogenabhängige. Es gefährdet aber die Unabhängigkeit der
       Hilfswerke. Griffiths fügte an, dass die „meisten Fälle von Einmischung“
       durch die Einbeziehung zentraler Taliban-Stellen in Kabul gelöst werden.
       „Aber für jedes gelöste Problem entsteht ein neues“, so Griffiths. Das
       verdeutlicht, dass die Talibanregierung nach wie vor keinen durchgehenden
       Zugriff auf das Verhalten ihrer Leute auf lokale Ebene hat oder keine
       internen Konflikte und Streitigkeiten riskieren will.
       
       27 Jun 2022
       
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