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       # taz.de -- Opposition in Afghanistan: Nadelstiche gegen Taliban
       
       > In Afghanistan gibt es Widerstand, aber er bleibt zersplittert und
       > schwach. Das liegt an Kriegserschöpfung und der Korruption der
       > Vorgängerregierung.
       
   IMG Bild: Ein afghanischer Taliban-Kämpfer bewacht Hilfsgüter für die Opfer des Erdbebens
       
       Afghanistans Taliban sehen sich gleich an mehreren Fronten mit bewaffnetem
       Widerstand konfrontiert. Dahinter stehen vor allem Fraktionen, die bis zu
       ihrem Machtverlust im vorigen August als Verbündete des Westens gegen die
       Taliban kämpften. Auch wenn die Unzufriedenheit mit der
       Unterdrückungspolitik der neuen Machthaber weit verbreitet ist, bleibt eine
       breitere Mobilisierung bisher aus. Viele Menschen in Afghanistan sehen die
       Anführer der Taliban-Gegner als stellvertretend [1][für die systemische
       Korruption der Vorgängerregierung] und verbinden sie mit Kriegsverbrechen.
       
       Die Taliban-kritische Internetzeitung Hascht-e Sobh fragte, wie man sicher
       sein könne, dass diese „gescheiterten Politiker ihr Verhalten der
       Vergangenheit ablegen könnten“. Vor allem aber herrscht weitverbreitete
       Kriegsmüdigkeit, sodass sich viele mit der Taliban-Herrschaft arrangieren.
       
       Gefahr von diesen Gruppen geht für die Taliban vor allem deshalb aus, weil
       sie sich auf ethnische Gruppen stützen, die Nord- und Zentral-Afghanistan
       bewohnen. Das ist etwa die Hälfte der fast 40 Millionen starken
       Bevölkerung. Viele [2][afghanische Hasara], Usbeken, Tadschiken und
       Turkmenen interpretieren die Taliban-Unterdrückung als Politik gegen ihre
       jeweilige ethnische Gruppe. Sollten sich solche Revolten ausbreiten,
       könnten sie die Herrschaft der Taliban in halb Afghanistan zumindest
       destabilisieren.
       
       ## Ethnische Meuterei
       
       Zuletzt gab es sogar eine ethnische Meuterei in den eigenen Reihen.
       Angeführt wurde sie von Maulawi Mehdi Mudschahed, dem einzigen Hasara, der
       jemals eine höhere formale Position bei den Taliban innehatte. Nach ihrer
       Machtübernahme hatten sie Mehdi zum Geheimdienstchef in der Hasara-Provinz
       Bamian ernannt, setzten ihn im März aber wieder ab. Daraufhin zog er sich
       mit 150 Bewaffneten in seinen Heimatdistrikt Balchab in der Provinz
       Sarepul zurück und vertrieb den dortigen Taliban-Gouverneur. Seine Meuterei
       finanzierte er durch die Besteuerung von Kohletransporten aus den örtlichen
       Gruben.
       
       Als Emissäre scheiterten, Mehdi per Verhandlung wieder auf Linie zu
       bringen, griffen die Taliban Ende voriger Woche schließlich an. Nach
       viertägigen Kämpfen, bei denen sie 850 Kämpfer und Hubschrauber einsetzten,
       nahmen sie am Sonnabend Mehdis Hauptquartier in Terchodsch, dem
       Distriktzentrum von Balchab, wieder ein. Seine Gefolgsleute zogen sich in
       die umliegenden Berge zurück. Laut afghanischen Oppositionsmedien
       exekutierten die Taliban danach unbeteiligte Zivilisten sowie gefangene
       Mehdi-Kämpfer. Mehrere hundert Hasaras sollen aus Angst vor weiteren
       Racheakten aus dem Ort geflohen sein.
       
       ## Ein Dutzend oppositionelle Gruppen
       
       Selbst wenn Mehdi sich in den Bergen halten kann, dürfte ein Zusammengehen
       mit anderen Aufstandsgruppen schwierig sein. Sie misstrauen ihm wegen
       seines zeitweiligen Bundes mit den Taliban. Seit vorigem August haben sich
       etwa ein Dutzend solcher Gruppen gebildet, die behaupten, bewaffnet gegen
       die Taliban vorzugehen. Am bekanntesten ist [3][die Nationale
       Widerstandsfront (NWF)]. Sie ist vor allem im Pandschirtal aktiv, einer
       alten Hochburg des Kampfes schon gegen die sowjetische Besatzung (1979–89)
       und gegen das erste Taliban-Regime (1996–2001). Fast täglich meldet ihr
       sehr aktiver Medienflügel Angriffe auf die Taliban. Am 17. Juni schossen
       sie einen Hubschrauber der Taliban ab und nahmen dessen Besatzung gefangen.
       
       Anführer der Front ist der 32-jährige Ahmad Massud, Sohn des bekanntesten
       antisowjetischen Mudschaheddin-Kommandanten Ahmad Schah Massud, den 2001
       Al-Qaida-Agenten ermordeten. Massud junior wurde auch von westlichen
       Unterstützern als langfristige Führungsfigur im Kampf gegen die Taliban
       aufgebaut. Unter anderem studierte er an der britischen Militärakademie von
       Sandhurst. Aber auch er war nicht in der Lage, im September 2021 die
       Taliban an der Eroberung von Pandschir zu hindern, das als letzte der 34
       Provinzen des Landes an sie fiel.
       
       ## Klandestine Unterstützung
       
       Massud behauptet, über 4.000 Kämpfer zu verfügen, darunter lokale Milizen
       und ins Pandschir geflohene Spezialkräfte der alten, US-gestützten
       Regierungsarmee. International ist er gut vernetzt, etwa mit einem
       offiziellen Verbindungsbüro in Washington. An Mitteln für Lobbyarbeit fehlt
       es offenbar nicht. Im Mai erklärte Präsident Trumps ehemaliger
       Sicherheitsberater, der Rechtsaußen John Bolton, Massuds Front verfüge über
       „starke Unterstützung“ im US-Kongress. In den USA gibt es eine Tradition
       der klandestinen Unterstützung von Aufstandsbewegungen, ohne dass die
       Regierung offiziell beteiligt ist.
       
       Aber selbst viele ehemalige Kampfgefährten seines Vaters erkennen aus
       eigenen Ambitionen Ahmad Massuds Führungsrolle nicht an. Dazu gehört der
       frühere Geheimdienstchef und Vizepräsident Amrullah Saleh, der sich
       unmittelbar nach der Flucht von Präsident Aschraf Ghani zum amtierenden
       Staatsoberhaupt erklärte.
       
       ## Nur kleine Scharmützel
       
       Ein von mehreren Ex-Warlords im Mai bei einem Treffen in Ankara gegründeter
       Rat zur Nationalen Rettung schließt weder Massud noch Saleh ein. Einige der
       selbsterklärten Widerstandsgruppen dürften außerdem lediglich im Internet
       existieren. Mehr als zu kleineren Scharmützeln und Anschlägen auf
       Taliban-Patrouillen war auch die NWF bisher nicht in der Lage. Sie
       kontrolliert kein Territorium und hat keinen Zugang zu Rückzugsgebieten in
       Nachbarländern. Die Regierungen der USA und Großbritanniens erklärten
       bereits, dass sie keine Versuche unterstützten, das Taliban-Regime auf
       militärischem Wege zu stürzen.
       
       Revolten wie der Mehdis entgegenzuwirken ist offenbar auch Ziel einer
       großen Versammlung in Kabul, für die die Taliban landesweit Islamgelehrte
       und Stammesführer einberufen haben. Sie soll am Mittwoch beginnen.
       Afghanische Beobachter vermuten, dass die Taliban nun offiziell ihr Emirat
       ausrufen und mit Hilfe der Geistlichen islamisch legitimieren wollen. Damit
       könnten sie jeglichen Widerstand als „antiislamisch“ denunzieren und
       bekämpfen.
       
       27 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Vormarsch-der-Taliban-in-Afghanistan/!5788071
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       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Ruttig
       
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