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       # taz.de -- Kinokomödie „Der beste Film aller Zeiten“: Spielfeld der Eitelkeiten
       
       > Dem Größenwahn beim Platzen zuzusehen, stiftet Schadenfreude. Davon gibt
       > es reichlich in der Komödie „Der beste Film aller Zeiten“.
       
   IMG Bild: Die Regisseurin Lola Cuevas (Penélope Cruz) mit einem ihrer Löwen (Antonia Banderas)
       
       Auf wundersame Weise hat es Daniel Mantovani auch in diesen Film geschafft.
       Mantovani ist jener argentinische Nobelpreisträger, der sein
       Heimatstädtchen Salas zum Handlungsort seiner Geschichten erklärt. Salas,
       wo sich Grausamkeit und Mittelmaß die Hand reichen. Wo sich brutale
       Vorkommnisse ereignen, Männer in Gießereien verbrennen und Zwillingsbrüder
       derselben Prostituierten verfallen. Salas ist gleichsam Ausdruck wie
       Bedingung von Mantovanis weltberühmtem Werk.
       
       Was, Sie haben noch nie von ihm gehört? Das ist bedauerlich, aber auch
       nicht weiter überraschend. Denn Daniel Mantovani und seine Romane
       existieren einzig im Universum des Regieduos Gastón Duprat und Mariano
       Cohn.
       
       Die beiden Regisseure begannen ihre Karriere im argentinischen Fernsehen,
       schufen dort innovative Formate und versuchten sich bald an Langfilmen.
       [1][Mit „Der Nobelpreisträger“ („El ciudadano ilustre“) wurden sie 2016 im
       Wettbewerb von Venedig auch einem größeren Publikum bekannt.] In der Rolle
       des Nobelpreisträgers Daniel Mantovani wurde Oscar Martínez mit einer Coppa
       Volpi als bester Darsteller ausgezeichnet. In „Der beste Film aller Zeiten“
       („Competencia oficial“) hat die Figur des Mantovani nun eine kleine, aber
       pointierte Funktion: Er ist der Autor des Romans, um dessen Verfilmung es
       gehen soll.
       
       Als Person tritt er dabei allerdings nicht in Erscheinung, denn Duprat und
       Cohn haben sich diesmal dazu entschieden, Oscar Martínez mit einer anderen
       Hauptrolle zu bedenken.
       
       Als Meisterschauspieler Iván Torres mimt er den feinsinnigen
       Intellektuellen, der mit seiner Frau, einer Kinderbuchautorin,
       Experimentalwerke von in Düsseldorf gestrandeten Kanadiern auf Vinyl
       genießt. Seinen Schülern empfiehlt er, sich gründlich Gedanken darüber zu
       machen, ob sie das Handwerk des Schauspielers wirklich erlernen möchten,
       denn nur einer unter ihnen hätte wirklich das Zeug dazu (und im Übrigen
       bräuchte die Welt vor allem Zahnärzte). Gegenüber niederen Verführungen
       tritt er unbestechlich auf und sagt Sätze wie: „Ich hasse es, wenn man mich
       zwingt, privilegiert zu sein.“
       
       Und so ist er, gerade aufgrund seiner vermeintlichen Zurückhaltung und
       Tiefe, schnell als kolossales Ego zu erkennen.
       
       ## Vergnügliche Enttarnung
       
       Die Kunst von Gastón Duprat und Mariano Cohn ist die der vergnüglichen
       Enttarnung. Sie beherrschen ihr Metier. Im so abstoßenden wie köstlichen
       Dokumentarfilm „Todo sobre el asado“ (2016), der sich einer besonderen
       Kulturtechnik Argentiniens widmet – dem asado, einer Grillmahlzeit von fast
       heiliger Dimension –, ließen sie zahlreiche (männliche) Grillexperten zu
       Wort kommen.
       
       Sie alle fabulierten munter vor sich hin, demonstrierten das Wasser, das
       ihnen beim Anblick der fachmännisch zerteilten Rinderteile in den Mündern
       zusammenfloss. Duprat und Cohn ließen sie gewähren. Brachten aber auch eine
       Zahnärztin mit ins Spiel, die den Mundgeruch betonte, welcher viele
       Asado-Liebhaber befalle.
       
       Es sind geschickte Manöver, die beide vollführen: Ihr Ziel ist es nicht,
       einen Sachverhalt zu erklären. Vielmehr lassen sie etwas in seiner ganzen
       schrecklichen Schönheit, seiner überwältigenden Stumpfheit wirken – und
       setzen anschließend einen Kontrapunkt.
       
       „Der beste Film aller Zeiten“ lebt von diesem Prinzip, indem er sich vor
       allem der Dynamik zweier Schauspielerfiguren hingibt. Einer von ihnen ist
       besagter Iván Torres, der Kultivierte, Bescheidene. Sein Gegenpol heißt
       Félix Rivero (Antonio Banderas). Rivero ist ein Star, ein
       Publikumsliebling, ein eitler Sack, der seine Muskeln mit einem EMS-Gerät
       stimulieren lässt, während eine seiner namenlos bleibenden Geliebten nackig
       im Hintergrund hockt. Rivero hat sogar noch mehr Preise als Torres
       eingeheimst, und das, obwohl seine Filmtränen nicht einmal echte Tränen
       sind, sondern bloße vom Mentholstift hervorgerufene Tropfen.
       
       ## Regisseurin mit Anspruch
       
       Mit beiden herumplagen muss sich Lola Cuevas (Penélope Cruz), Regisseurin
       mit Anspruch und Gewinnerin einer Goldenen Palme. Sie wurde von
       Multimillionär Humberto Suárez (José Luis Gómez) beauftragt, Mantovanis
       Roman über zwei rivalisierende Brüder zu verfilmen. Suárez tritt als
       Produzent in Erscheinung, denn er sitzt in einem Schlamassel: Zwar habe er
       in seinem Leben unvorstellbare Reichtümer angehäuft, aber kein Renommee.
       Der beste Film aller Zeiten soll diesen Missstand beseitigen.
       
       Und so beginnen die Proben in seinem ansonsten ungenutzt bleibenden
       Stiftungsgebäude, einem Ort schier gigantischen Ausmaßes, der wirkt wie
       eine sonderbar verschachtelte Pyramide. Es ist eine Architektur, die Platz
       generiert. Platz, um in einem „Zustand permanenter Poesie“ zu verweilen,
       wie es Iván Torres’ Gattin einmal nennt. Poetisch ist das, was während der
       darauffolgenden Tage passiert, aber keineswegs. Die Sprechproben geraten
       zum Kräftemessen, zum Spielfeld vieler kleiner Sticheleien und Experimente.
       
       ## Eine wertvolle Spannung kreieren
       
       Die Regisseurin Lola, deren Frisur an Björks „Biophilia“-Phase erinnert
       (ein Berg roter, flauschiger Locken), treibt Iván und Félix an ihre
       Grenzen, indem sie die beiden etwa unter einen schwebenden Findling
       platziert. Die Angst, das schwere Ding könnte fallen, solle eine wertvolle
       Spannung kreieren. In einer anderen Situation arbeitet sie daran, ihrer
       aller Ego zu brechen, indem sie erhaltene Auszeichnungen einem
       Metallschredder zum Fraß vorwirft.
       
       „Der beste Film aller Zeiten“ ist eine Selbstreflexion über das Kino, das
       Filmemachen, den Drang, Bedeutsames zu schaffen und ruhmreich zu sein. Cohn
       und Duprat arbeiten dafür mit überzogenen Figuren, die einem dennoch
       bekannt vorkommen. Menschen, die ihren Lebensweg mit einer ziemlichen
       Radikalität verfolgen, in Superlativen leben und sich in ihren Attitüden
       gegenseitig konterkarieren.
       
       Es ist ein großes Vergnügen, diesen entfesselten Kräften zuzusehen, einer
       eitlen Welt, wie man sie in anderen Gewichtungen immer wieder vorgeführt
       bekam (Fellini, Wilder, Mankiewicz) und heute noch bekommt (Assayas,
       [2][Östlund], [3][Ferrara]). Es ist eine Freude, explizit auch eine
       Schadenfreude, Größenwahn auf der Leinwand beim Platzen beizuwohnen.
       
       Ein Vergnügen, das sich noch roher vielleicht in „Der Nobelpreisträger“
       manifestierte, jenem Spießrutenlauf des Daniel Mantovani durch sein lange
       verschmähtes, doch bis aufs Äußerste ausgeschlachtete Salas. Wo aus dem
       frisch erkorenen Ehrenbürger binnen weniger Tage eine Persona non grata
       wurde. Und die aufgrund von Distanz angekitschten oder verdrängten
       Erinnerungen einen harten Abgleich mit der Realität erfuhren. „Der beste
       Film aller Zeiten“ ergeht sich hingegen in einem Wettbewerb, einem
       Hahnenkampf um das vorzüglichste Spiel, angeleitet, unterwandert und zum
       Teil auch mitgetragen von einer Regisseurin, die, bewusst oder auch nicht,
       das Selbstwertgefühl der Männer provoziert.
       
       Dass Gastón Duprat und Mariano Cohn dabei eine Welt schaffen, in der
       Dokumentarisches und Fiktives interagieren und Zitate auf das eigene Werk
       verweisen – so gibt es in „Der Nobelpreisträger“ ein asado, in welchem
       Sätze aus „Todo sobre el asado“ fallen – macht das Ganze umso spannender.
       Und es verdeutlicht, dass beide ihre Inspiration für Schwarzhumoriges
       nirgendwo anders auflesen als dort, wie es sich gemeinhin tagtäglich
       präsentiert: vor den eigenen Augen.
       
       29 Jun 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Carolin Weidner
       
       ## TAGS
       
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