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       # taz.de -- Prag übernimmt EU-Ratspräsidentschaft: Versüßen war einmal
       
       > Tschechien übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft. Überschattet vom Krieg,
       > startet die Regierung mit großen politischen Versprechungen.
       
   IMG Bild: Übergabe der EU-Ratspräsidentschaft: Petr Fiala, Emmanuel Macron und Magdalena Andersson
       
       Einen Würfelzucker als Maskottchen hatte sich Tschechien gewählt, als es im
       Jahre 2009 zum ersten Mal die EU-Ratspräsidentschaft übernahm. Fünf Jahre
       nach dem vielbejubelten Beitritt des Landes zur Union versprach Tschechien,
       sie „versüßen zu wollen“. Die Idee von Europa als Kaffeehaus, in dem die
       Tschechen fürs Süße sorgen, endete in einer Kaffeefahrt über böhmische
       Dörfer. Kaum besaß Prag das Ratspräsidentschaftszepter, fiel die Regierung
       in einem absurden Intrigenstadl. Und viele wünschten sich, man hätte bei
       der Symbolik lieber eine andere nützliche böhmische Erfindung bemüht: die
       Schicht-Seife.
       
       Jetzt darf Tschechien wieder. Pünktlich zum 1. Juli, wenn die Schulferien
       beginnen und das Land runterfährt, beginnt die [1][tschechische
       EU-Ratspräsidentschaft 2.0]. Ging es den Tschechen beim ersten Versuch noch
       um Imagepflege als mitteleuropäisches Zuckerschnäuzchen, sind die
       Prioritäten heute vom Krieg in der Ukraine bestimmt: Flüchtlingskrise
       bewältigen und Ukraine wieder aufbauen, die Energiezufuhr sichern, den
       europäischen Cyberspace schützen und dabei nicht nur die Wirtschaft
       stärken, sondern auch die Widerstandsfähigkeit demokratischer
       Institutionen.
       
       ## Gegen die russische Aggression
       
       Bestimmend für die Agenda, mit der Prag bis Jahresende die EU lenken will,
       ist die „russische Aggression“, die das „Programm der Ratspräsidentschaft“
       wiederholt betont. Als Antwort auf die russische Aggression schlägt Prag
       mehr EU-Einsatz bei der Erhaltung der Souveränität der territorialen
       Integrität der Ukraine vor, wirbt für stärkere Sanktionen gegen Russland
       und mehr Waffen für die Ukraine. Solidarität, Effektivität und Flexibilität
       sei aber vor allem gefordert, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen.
       Während Tschechien sich einerseits besonders für eine bessere Koordination
       von Gesundheitsvorsorge und Schulbildung einsetzen will, hat es sich
       ebenfalls zur Aufgabe seiner Ratspräsidentschaft gesetzt, den Wiederaufbau
       der Ukraine voranzutreiben.
       
       Nicht nur der Krieg in der Ukraine, sondern die „wachsende globale
       Instabilität“ überhaupt hat die Rolle der Nato als Partner der EU neu
       definiert, was Tschechien in den kommenden sechs Monaten noch weiter
       bearbeiten möchte. Ob gemeinsame Militärsysteme oder Kampf gegen
       Klimawandel: Das tschechische Programm für die EU-Ratspräsidentschaft
       besteht aus vielen guten Vorsätzen, Ideen und Versprechen, überschattet
       eben von „russischer Aggression“.
       
       ## Unklarer Freiheits- und Demokratiebegriff
       
       Tschechien wähnt die Demokratie in Gefahr. Deshalb setzt „die Tschechische
       Ratspräsidentschaft auch auf Einhaltung und Stärkung von Freiheiten und
       europäischen Werten“, verspricht das Programm. Wer bestimmt, was Freiheiten
       und europäische Werte sein sollen, lässt es dabei im Dunkeln. Im Land
       selbst hat die Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Petr Fiala
       mehrere Internetseiten abschalten lassen, die außerhalb eines normalen
       demokratischen Prozesses in Tschechien als demokratiefeindlich oder im
       Widerstreit mit europäischen Werten stehend eingestuft wurden. Doch im
       Licht der russischen Aggression verteidigte Fiala die umstrittene Maßnahme.
       
       Ob der Fokus auf Russland und Außenpolitik von innenpolitischen Problemen
       ablenken kann, die Fialas Regierungskoalition plagen, bleibt abzuwarten.
       [2][Nach dem Korruptionsskandal in der liberalkonservativen Partei Stan ist
       die Fünferkoalition in ihrer Legitimität geschwächt]. Steigende Energie-
       und Lebensmittelpreise sagen der Regierung nicht unbedingt eine rosige
       Zukunft voraus.
       
       1 Jul 2022
       
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