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       # taz.de -- taz-Salon in Bremen zum Ukrainekrieg: Lieber Gulag als Tod
       
       > Wie spricht man über Krieg? Vielleicht am Besten aus einer Position der
       > Unsicherheit. Beim taz Salon haben drei Expert*innen ihr Zagen
       > offengelegt.
       
   IMG Bild: Roman Dubasevyc, Susanne Schattenberg und Tamina Kutscher beim taz Salon zum Ukrainekrieg
       
       Bremen taz | Eine unmögliche Frage ist es, die dieser taz Salon in Bremen
       gestellt hat – die nach der „Möglichkeit von Frieden“. Sie liegt auf der
       Hand, aber, ach, sie ist so schwierig, so unbequem, dass man manchmal
       schlucken muss im Verlauf dieses Abends.
       
       „Ich mache diesen Salon aus einer Position der Unsicherheit“, sagte Benno
       Schirrmeister, „als popeliger Regionalredakteur, der trotzdem nicht nur
       reden mag über Waffensysteme und Artillerie.“ Es ist nicht die schlechteste
       Position, um über den Krieg zu sprechen mit diesem starken Podium: Da ist
       Tamina Kutscher, Chefredakteurin der Online-Plattform dekoder.org, die
       versucht, der russischen, der ukrainischen, der belarussischen
       Zivilgesellschaft [1][das Wort zu geben:] Dekoder veröffentlicht und
       übersetzt Texte von dissidenten Journalist*innen und Posts aus sozialen
       Medien.
       
       Da ist Susanne Schattenberg, Direktorin der Bremer Forschungsstelle
       Osteuropa, deren Länderberichte, so Schirrmeister, „vielleicht die
       wichtigste deutschsprachige Quelle für Hintergrundinfos aus den früheren
       Ostblockstaaten“ sei. Und da ist [2][schließlich Roman Dubasevych,] der an
       der Uni Greifswald einen von nur zwei Ukrainistik-Lehrstühlen in
       Deutschland innehat – und an diesem Abend ein fast kompromissloses Plädoyer
       für das Überleben hält.
       
       Geballte Kompetenz also. Alleswisser*innen aber wollen sie gar nicht
       sein, eher gibt es Zweifel, Fragen, Abwägen. Niemand gibt vor, vor dem
       Angriff vom 24. Februar genau gewusst zu haben, was passieren würde. „Ich
       habe eine Woche vorher gehofft, dass über Diplomatie noch was geht“, sagt
       Kutscher. Und Schattenberg, die kannte natürlich Putins Vision einer
       russifizierten Ukraine, die der Präsident [3][vor einem Jahr veröffentlicht
       hatte.] „Aber das schien Theorie“, gibt sie zu. „Ich hätte nie gedacht,
       dass er das umsetzt.“ Einen offenen Angriffskrieg mit all seinen Risiken
       hätte sie dem vermeintlich nüchternen Kalkulator Putin nicht zugetraut.
       
       ## Frieden ist nicht gleich Frieden
       
       Kann man angesichts dieses imperialistischen Strebens einen Frieden mit
       Russland sinnvoll wollen, fragt Moderator Schirrmeister, fragt später,
       emotional, auch im Publikum eine Frau. Denn dass ein Frieden ein Frieden
       wäre, daran haben Schattenberg und Kutscher erhebliche Zweifel: Eine
       „Donbassisierung“ der gesamten Ukraine unter russischem Einfluss fürchtet
       Kutscher – ein Schreckensregime, in dem Oppositionelle verhaftet und
       ermordet würden.
       
       Am Ende müsse man die Diskussion um die Möglichkeit von Frieden den
       Ukrainer*innen überlassen, ist sich Kutscher mit Schattenberg einig. Als
       Ukrainer sitzt an diesem Abend nur Roman Dubasevych auf dem Podium; der
       Kulturwissenschaftler bringt eine schmerzhafte Alternative ein: sich
       abfinden mit dem Aggressor, trotz alledem.
       
       Mehrheitsfähig wäre das in der Ukraine aktuell wohl nicht, das sieht
       Dubasevych selbst: „Es herrscht eher das Selbstbild,Wir sind Kosaken, wir
       kämpfen bis zum Tod'“, sagt er. Auch in Bremen gibt es Gegenwind. „Wenn wir
       hier über Frieden reden, reden wir über Gulags“, sagt eine Zuschauerin.
       
       Doch selbst in einem Russland-hörigen Staat hätte Putin „keine Macht bis in
       die kleinste Zelle“, hält Dubasevych dagegen, man sehe das an Belarus, das
       sich aktuell gegen die Teilnahme am Krieg sperre. Den Gedanken an
       Repression, selbst an Gulags lässt er zu – als Alternative zum
       fortdauernden Sterben. „Man kann in der gleichen Straße vier Regime
       überlebt haben, ohne umzuziehen“, sagt Dubasevych.
       
       Das alles war natürlich viel komplexer – und wer die ganze Debatte als
       Video nachverfolgen will, hat hier die Chance dazu:
       
       30 Jun 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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